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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Netzanschluss für den Straßenverkehr erleichtern

Fanny Tausendteufel, Projektleiterin Industriepolitik bei Agora Verkehrswende
Fanny Tausendteufel, Projektleiterin Industriepolitik bei Agora Verkehrswende Foto: Agora

Für die Energiewende im Verkehr müssen viele neue Ladepunkte an das Stromnetz angeschlossen werden. Momentan nehmen die Antragsverfahren jedoch oft viel Zeit in Anspruch, und die Preise setzen falsche Anreize. Drei Maßnahmen, die sich schnell und relativ kostengünstig umsetzen lassen, könnten die Lage spürbar verbessern: eine Online-Karte mit den verfügbaren Netzkapazitäten, Angebote für ungesicherte Leistung und variable Netzentgelte.

von Fanny Tausendteufel

veröffentlicht am 20.06.2024

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Immer mehr Fahrzeuge mit immer größeren Batterien sollen bei Bedarf möglichst schnell mit Strom versorgt werden können – von Pkw über Busse und Lieferfahrzeuge bis zu großen Last- und Sattelzügen im Fernverkehr. Doch der Anschluss von Ladepunkten an das Stromnetz kommt oft nur langsam voran. Auch die Kosten für den Netzanschluss und die Netznutzung lassen mögliche Investoren und Betreiber zögern.

Politik, Regulierung und Strombranche suchen bereits gemeinsam nach Wegen, wie Netzanschlüsse schneller und kostengünstiger bereitgestellt werden können. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) führte zum Beispiel jüngst einen Branchendialog zur Beschleunigung von Netzanschlüssen durch. Die Beteiligten verständigten sich in einer Fokus-Agenda auf ein gemeinsames Arbeitsprogramm. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) brachte seine Stellungnahme „Mehr Tempo beim Netzanschluss“ in die Debatte ein.

Dabei wird deutlich, dass grundsätzlicher Reformbedarf bei der Regulierung der Stromnetze besteht. Doch die Zeit ist knapp, denn das Tempo beim Hochlauf der Elektromobilität ist entscheidend für den Klimaschutz im Verkehr und die Wettbewerbschancen der deutschen Automobilindustrie.

Zudem steigt nicht nur durch den Verkehrssektor der Druck, neue Netzanschlüsse einzurichten. Gleichzeitig müssen auch immer mehr Anwendungen in den Bereichen Wärme und Industrie elektrifiziert sowie immer mehr Erneuerbare-Energien-Anlagen an die Stromverteilnetze angeschlossen werden.

Bessere Orientierung für Betreiber von Ladeinfrastruktur

Es braucht daher einen pragmatischen Ansatz. Regulierer sollten zunächst die Maßnahmen umsetzen, die sich schnell und möglichst günstig umsetzen lassen und den größtmöglichen Effekt haben. Ziel ist es, dass der Netzanschluss so schnell und einfach geht, dass Betreiber ein ausreichendes Angebot an Ladeinfrastruktur anbieten können.

Zudem sollten die Kosten für den Anschluss an das Stromnetz und dessen Nutzung so gestaltet sein, dass Ladeinfrastruktur bezahlbar und ihr Betrieb als Geschäftsmodell möglich ist. Gleichzeitig muss die Integration von Ladepunkten beziehungsweise Elektrofahrzeugen auch aus Sicht des Stromsystems effizient gestaltet werden.

Drei Maßnahmen spielen dabei eine besondere Rolle. Erstens wäre eine gemeinsame Karte der Verteilnetzbetreiber mit verfügbaren Netzkapazitäten hilfreich, um die Netzanschlusszeiten deutlich zu verkürzen. Denn einer der zentralen Gründe für die teilweise sehr langen Netzanschlusszeiten ist die mangelnde Verfügbarkeit von Daten zur Netzauslastung. Betreiber von Ladeinfrastruktur fragen mögliche Standorte in einem „Trial-and-Error-Verfahren” an, ohne vorher zu wissen, ob dort grundsätzlich Netzkapazität verfügbar wäre. Dadurch erhöhen sich die Anzahl der Anschlussanfragen und der Aufwand für Netzbetreiber umso mehr.

Mit einer Netzkarte könnten Ladeinfrastrukturbetreiber leichter Standorte identifizieren, die aus Netzsicht geeignet sind, und ihre Anfragen an die verfügbaren Netzkapazitäten anpassen. Der Verteilnetzbetreiber Mitnetz bietet eine derartige Netzkarte bereits an, auch Netze BW arbeitet an einer indikativen Netzausauskunft.

Im Masterplan Ladeinfrastruktur II wird angekündigt, dass das BMWK bis zum zweiten Quartal 2023 verlässliche Maßnahmen unterbreiten wird, damit Verteilnetzbetreiber Karten der Mittel- und Hochspannungsebene in einem einheitlichen digitalen Format vorhalten. Bisher wurde jedoch lediglich ein Teil dieser Maßnahmen umgesetzt: die Übermittlung von Netzkarten an die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur zur Bedarfsplanung öffentlicher Ladeinfrastruktur.

Mehr Angebot, attraktivere Preise, bessere Netzauslastung

Zweitens sollten Netzbetreiber sogenannte ungesicherte Leistung als Angebotskomponente einführen. Denn oft nehmen Netzanschlussverfahren viel Zeit in Anspruch, weil die erforderliche Netzkapazität nicht in vollem Umfang zur Verfügung steht. Die langen Planungshorizonte beim Netzausbau machen eine Übergangslösung erforderlich: Kann an einem Standort die angefragte Netzanschlusskapazität nicht vollständig abgedeckt werden, könnten Verteilnetzbetreiber die Leistung, die nur zeitweise geboten werden kann, als ungesicherte Leistung anbieten – so lange, bis der notwendige Netzausbau für die vollständige gesicherte Leistung umgesetzt ist.

Drittens würde die Einführung dynamischer Netzentgelte auf Mittel- und Hochspannungsebene helfen, die Kosten für Ladeinfrastruktur zu senken. Bislang gelten feste Jahresleistungspreise, weil der Netzausbau für die Übertragungsleistung nötig ist und deren Bereitstellung Kosten verursacht. Je höher die angeforderte Anschlussleistung, desto höher der Preis. Doch dieses System führt dazu, dass vor allem Anschlüsse mit niedriger Leistung eingerichtet werden, und erschwert somit die Elektrifizierung im Straßenverkehr.

Gerade während des frühen Hochlaufs von Lkw-Schnellladeparks können feste Leistungspreise für eine zu diesem Zeitpunkt noch selten abgerufene Spitzenleistung den schnellen Ausbau von Ladeinfrastruktur bremsen. Denn wenn erst nur wenige Kilowattstunden verkauft werden und der Leistungspreis unverändert hoch ist, müssen die Abnehmer umso mehr pro Kilowattstunde zahlen. Ein tragfähiges Geschäftsmodell für Ladepunkte mit hoher Leistung ist so kaum möglich.

Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit stärken

Mit der Einführung zeitvariabler Netzentgelte könnten die Kosten für Netzausbau und somit auch die Netzentgelte für sämtliche Verbraucher:innen, inklusive Betreibern von Ladeinfrastruktur, gesenkt werden. Die Entgelte sinken, wenn das Netz wenig ausgelastet ist; umgekehrt steigen sie, wenn das Netz stark ausgelastet ist. Die stärkere Ausrichtung der Netzentgelte an der zeitlich variierenden Auslastung des Stromnetzes setzt Anreize , das bestehende Netz intensiver zu nutzen.

Denkbar wäre eine entsprechende Weiterentwicklung der sogenannten atypischen Netzentgelte – also der Sonderentgelte für die Nutzung des Netzes zu lastschwachen Zeiten. Die Bundesnetzagentur plant, eine Konsultation zu diesem Thema noch im Jahr 2024 zu starten.

Der rasche Aufbau der Ladeinfrastruktur für elektrische Fahrzeuge ist entscheidend für Deutschlands Ziel, ein Leitmarkt für Elektromobilität zu werden. Dieses Ziel steht nicht nur für die Umstellung von Fahrzeugantrieben auf erneuerbare Energien und die Reduzierung von Treibhausgasen, sondern auch für die Zukunftsperspektiven der deutschen Automobilindustrie im internationalen Wettbewerb.

Die genannten drei Maßnahmen – Kartierung der verfügbaren Netzkapazitäten, Öffnung des Marktes für Anschlüsse mit ungesicherter Leistung, variable Tarife für die Nutzung der Netze – könnten wesentlich dazu beitragen, Netzanschlussprozesse schneller und kosteneffizienter zu gestalten. Damit wäre ein erster pragmatischer Schritt getan. Der grundsätzliche Bedarf zur Reform der Netzregulierung für die Energiewende bliebe jedoch weiterhin bestehen.

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