Henning Kagermann Foto: D.
Ausserhofer/Acatech
Herr Kagermann, Sie als bisheriger Vorsitzender der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE), was für ein Auto fahren Sie privat?
Kagermann: Ich fahre zwei. Ich habe seit fünf Jahren einen BMW i3, mit dem ich von Königs Wusterhausen nach Berlin reinpendele. Und für lange Strecken habe ich noch einen Benziner.
Wann wird der Benziner auch umgestellt auf E-Antrieb?
Dazu müsste die Reichweite größer werden. Das wird noch etwas dauern. Bis dahin ist es für mich die umweltfreundlichste Lösung, das bestehende Auto weiter zu fahren, denn die Herstellung eines neuen Autos verursacht ja auch ökologische Kosten.
Auch andere Autofahrer sehen die Reichweite als Problem. Wann wird es gelöst?
Das passiert schon. Manches neue Modell hat eine echte Reichweite von 400 Kilometern. In drei bis vier Jahren werden es 600 Kilometer sein. Wenn wir bei realen 400 bis 500 Kilometern sind, ist das Thema durch. Zeitgleich wird nämlich das Problem gelöst, trotz größerer Batterien die Ladezeit kurz zu halten. Deshalb war es richtig, neue Schnellladesäulen aufzubauen. Hätten wir schon vor Jahren die Infrastruktur hochgezogen, wäre die heute veraltet.
Gerade das Modellangebot der deutschen Hersteller wird kritisiert. Zu Recht?
Wir haben heute mehr als 30 Modelle, 2020 werden es mindestens 100 sein. Dann werden wir in allen Segmenten E-Autos haben. Am Anfang gab es kleine Modelle, gekauft wurden aber Autos mit einer Riesenbatterie für 100.000 Euro. Für die anderen Kunden spielt der Preis natürlich eine wichtige Rolle. 2025 werden wir Kostengleichheit zum Verbrenner haben. Vielleicht noch nicht in der Anschaffung, aber sicher bei den Gesamtkosten des Autos.
Den deutschen Herstellern wird vorgeworfen, sie wollten jetzt noch möglichst viel Geld mit SUV mit Verbrennungsmotor verdienen. Und die neuen E-Autos von Audi und Mercedes wiegen zwei Tonnen. Ist es sinnvoll, gerade solche E-Modelle anzubieten?
Die Hersteller richten sich hier nach den Verbraucherwünschen. Seien wir doch froh, wenn wir auch in diesem Segment Elektrofahrzeuge bekommen, da sparen wir noch mehr Benzin als bei den Kleinwagen. Und durch die Kostendegression bekommen wir auch Preissenkungen bei den kleineren E-Autos. Der Aufschlag von 60.000 auf 65.000 Euro wird eher hingenommen als der von 15.000 auf 20.000 Euro. Gerade da muss was passieren. Die kleinen Elektrofahrzeuge waren rational der richtige Ansatz, keine Frage.
Viele Kunden klagen, es gebe zu wenige Ladesäulen. Fachleute halten dagegen, in manchen Städten gebe es schon fast ein Überangebot – insbesondere, wenn man bedenke, dass die meisten Leute zuhause oder am Arbeitsplatz laden. Wie sehen Sie das?
Im Durchschnitt haben wir genug Ladesäulen und auch die richtigen. Es wird auch Regionen geben, die noch nicht gut genug ausgestattet sind. Wir haben aber schon einen guten Mix aus Schnellladesäulen mit höheren Preisen und Normalladesäulen, die billiger sind. Wir beobachten einen Trend zum Schnellladen. Und wir werden Ende des Jahres mit 400 Schnellladesäulen an Autobahnraststätten als erstes Land der Welt ein flächendeckendes Netz in diesem Bereich haben. Die Förderprogramme für Ladesäulen werden sehr gut angenommen. Für den Hochlauf brauchen wir die Förderung, aber in Zukunft werden sich die Säulen über den Markt rechnen.
Viele Ladesäulen sind defekt oder von Verbrennern zugeparkt.
Zugeparkt stimmt, das ist häufig ein Problem. Defekt? Es gibt ein paar ältere Säulen, die vielleicht nicht mehr so gut gewartet werden, aber das ist die Ausnahme. Wir haben ja erst 2016 den EU-weiten technischen Standard bekommen. Jetzt muss jede öffentliche Ladesäule mindestens CCS unterstützen.
Hat die Dieselkrise der E-Mobilität geholfen?
Sie hat das Thema E-Mobilität wieder in den Fokus gerückt. Wenn sich dann auch noch das Portemonnaie öffnet, umso besser.
Würde es der Elektromobilität nützen, wenn sich die Bundesregierung in Brüssel für scharfe CO2-Grenzwerte für Autos einsetzen würde?
Das ist schwer zu sagen. Wir müssen eine Balance schaffen aus sauberer Umwelt, verbraucherfreundlicher Mobilität und dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit des Mobilitäts- und Produktionsstandortes. Wie bei der Energiewende haben wir ein Zieldreieck. Ich möchte aber der Arbeit der neuen Plattform Zukunft der Mobilität nicht vorgreifen. Es wird Aufgabe der Plattform sein, die Politik hierzu zu beraten: Wir werden der Politik Lösungsvorschläge vorstellen, entscheiden wird sie.
Jetzt hat die Plattform Elektromobilität eingeräumt, dass die eine Million E-Autos nicht 2020, sondern erst 2022 erreicht wird. Wie realistisch ist dieses Ziel?
Wir haben ein Prognosemodell, das von einem unabhängigen wissenschaftlichen Institut entwickelt wurde. Alle Beteiligten in der NPE haben dem Modell zugestimmt. Wir nutzen es nach wie vor, haben aber die eine oder andere Annahme angepasst, denn das Modell war zu optimistisch. Zum Beispiel wurde die Wirkung des Umweltbonus‘ beim Kauf eines Elektrofahrzeuges nicht richtig eingeschätzt.
Die Plattform erwartet ja, dass im Jahr 2030 zehn bis fünfzehn Prozent der neu zugelassenen Autos Elektrofahrzeuge sein werden. Ein Fortschritt, aber reicht der, um die Klimaziele im Verkehrsbereich zu schaffen?
Das müssen wir jetzt ausloten. Aber zu den Prognosen der NPE kann ich sagen: Da ist noch Spielraum nach oben. Wenn wir erstmal die Kostenparität erreicht haben, geht da noch mehr.
Eine wichtige Rolle spielt dabei die Batterietechnik. Vor Kurzem hat das Forschungszentrum Jülich einen Durchbruch bei der Festkörperbatterie verkündet. Welche Entwicklung erwarten Sie und welche Rolle spielt Deutschland dabei?
Die NPE hat in ihren Analysen gezeigt, dass sich der Einstieg in die Batteriezellproduktion in den nächsten Generationen rechnen kann, also bei optimierten Lithium-Ionen-Batterien oder der Festkörpertechnologie. Experten nehmen an, dass bis 2030 Festkörperakkus kommen werden. Jülich sprach ja auch von zehn Jahren, die es noch braucht. Dann gibt es noch mal einen Schub, weil diese Akkus zum Beispiel leichter und leistungsfähiger sind. Meine persönliche Meinung ist: Wir sollten in die Erforschung dieser Technologie weiter investieren und dann auch in Betracht ziehen, in die Produktion in Deutschland einzusteigen. Wir können ja schon heute Zellen produzieren, aber noch nicht zu wettbewerbsfähigen Kosten.
Aber der chinesische Hersteller CATL will es künftig in Erfurt schaffen.
Das liegt aber nicht am Standort, sondern daran, dass sie ihr langjähriges Know-how in der Prozessoptimierung einbringen. Da sind wir noch nicht so weit.
Wenn Deutschland in der nächsten oder übernächsten Batteriegeneration in die Zellfertigung einsteigen würde, welche europäischen Länder wären Verbündete?
Es gibt ja schon Gespräche auf europäischer Ebene. Frankreich und Italien könnten mitmachen, sie gehören ja zu den Ländern, die eine eigene Automobilindustrie haben.
Produktionsstandorte sind aber oft in Polen oder Ungarn.
Ja, die profitieren ebenso davon. Aber auch unsere Industrie hat einen Vorteil durch diese günstigen Standorte. So sichern wir gemeinsam unsere Wettbewerbsfähigkeit.
Ein wichtiges Thema bei der E-Mobilität sind die Rohstoffe. China sichert sich Vorkommen nicht nur in Afrika. Wie kann Deutschland eine umwelt- und menschenverträgliche Versorgung sicherstellen, ohne von den Chinesen abgehängt zu werden?
Wir sollten das Instrument Rohstoffagentur wieder stärken. Bei den kritischen Rohstoffen müssen wir langfristige Verträge aushandeln, vielleicht auch bei der Erschließung helfen, wie es zum Beispiel die Chinesen machen. Wenn wir das tun, dann unter menschenwürdigen Bedingungen. Darauf können wir bei Vertragsabschluss hinwirken. Wir haben bestimmte Standards, und die Transparenz ist hoch. Die Gesellschaft akzeptiert es nicht, dass diese Standards nicht in ähnlicher Weise auch im Ausland eingehalten werden.
Wie sieht es mit der Beschäftigung in der deutschen Autoindustrie durch die E-Mobilität aus?
Nach Auffassung der NPE im aktuellen Fortschrittsbericht wird die Beschäftigung bis 2025 sogar noch steigen, unter anderem wegen der Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge. Aber 2030 könnte es schon deutlich weniger sein. Wir sind uns aber mit den Tarifpartnern einig, dass sich der Strukturwandel einvernehmlich bewältigen lässt, wenn wir rechtzeitig handeln.
Welches Potenzial sehen Sie für elektrische Lkw und Busse?
Das ist wegen der großen Batterien nicht so einfach. Es lohnt sich für bestimmte Busse, die einen solchen Takt fahren, dass die Akkus immer wieder aufgeladen werden können. Es gibt ja auch Busse mit Oberleitung. In China gibt es Busflotten, bei denen die Batterien ausgewechselt werden. Mittelfristig werden auch andere Kraftstoff- und Antriebsarten wie Wasserstoff und Brennstoffzelle in Betracht kommen.
E-Autos sollen auch zu Akteuren am Strommarkt werden.
Ja, es gibt schon Unternehmen, die saugen ein bisschen Strom aus dem Akku Ihres Autos und handeln damit. Damit stabilisieren sie das Netz und verdienen Geld. Das ist mit IT alles machbar. So könnten wir einen zu starken Ausbau der Stromerzeugungsanlagen für die Nachfragespitzen umgehen.
Mit Blick auf die neue Plattform Mobilität: Ist es sinnvoll, die heute 45 Millionen Verbrenner-Pkw durch E-Autos zu ersetzen?
Nein, so einfach, nach dem Prinzip „One fits all“, geht es leider nicht. Wir brauchen ein intelligentes Portfolio an Kraftstoff- und Antriebsarten. Zum Beispiel könnten Biokraftstoffe für Lastwagen oder synthetische Kraftstoffe für Flugzeuge genutzt werden. Die effizientesten nehmen wir für die Masse, also die Pkw.
Aber die neue Plattform soll ja nicht nur über Antriebe reden, sondern über Mobilität allgemein. Wie sieht es mit dem Öffentlichen Verkehr aus, Radfahrern, Fußgängern?
Unser Auftrag ist es, verkehrsträgerübergreifend zu arbeiten. Das Thema Fußgänger reicht dann schon in die Stadtplanung hinein.
Was ist mit Sharing und autonomem Fahren?
Das ist natürlich wichtig, deshalb haben wir ja eine eigene Arbeitsgruppe zur Digitalisierung. Wenn das autonome Fahren kommt, werden Transportdienste günstiger. Was bedeutet das für den Öffentlichen Nahverkehr, wenn Sharing immer billiger wird? Wenn sich beides aufeinander zubewegen würde, wäre das wünschenswert. Ich habe schon vor drei Jahren gesagt: Die Zukunft ist autonom, vernetzt und elektrisch. Wenn ich Autos teile, ist die Auslastung viel höher, die Flächennutzung besser. Dann ist es auch nicht schlimm, wenn das Auto in der Anschaffung deutlich teurer ist. Und der CO2-Fußabdruck ist viel kleiner.
Als bekannt wurde, dass Sie auch die neue Plattform leiten würden, haben zum Beispiel die Umweltverbände gesagt: Kagermanns Leistung bei der Plattform Elektromobilität war nicht so überzeugend, als dass er diesen Job machen sollte. Was halten Sie Ihren Kritikern entgegen?
Ich würde sagen, dass die Nationale Plattform Elektromobilität sehr erfolgreich war. Ich denke, die 150 Beteiligten sind sehr zufrieden. Es gibt immer welche, die hätten gewollt, dass noch mehr erreicht wird. Entscheidend ist, dass die Weichen für den erfolgreichen Start in den Massenmarkt grundlegend gestellt sind.
Das Interview führte Jens Tartler.