Standpunkte Am Thermostat der Welt drehen?

Warum die großtechnische Beeinflussung des Klimas wohl kaum dazu beitragen wird, die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erfüllen, begründen Mark Lawrence und Stefan Schäfer vom IASS in ihrem Standpunkt.

von Mark Lawrence

veröffentlicht am 16.07.2017

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Einst sagte Newt Gingrich, der frühere Sprecher des US-Repräsentantenhauses sowie Wahlkampfberater von Donald Trump: “Geoengineering enthält das Versprechen, die globale Erwärmung für nur ein paar Milliarden Dollar pro Jahr anzugehen. Anstatt den normalen amerikanischen Bürger zu bestrafen, hätten wir eine Möglichkeit, die Erderwärmung mithilfe wissenschaftlicher Innovationen anzugehen…Unsere Botschaft sollte sein: Her mit dem amerikanischen Erfindergeist. Stoppt das grüne Schwein.”


Wird sich die Trump-Regierung dieser Ansicht anschließen?  Schwer zu sagen. Es ist vieles widersprüchlich in der amerikanischen (Klima-)Politik – aber einiges ist klar. Unter anderem zeigen Meinungsumfragen in den USA, dass die Standpunkte beim Thema Klimawandel nicht etwa von der Religion oder der ethnischen oder sozialen Herkunft abhängen, sondern fast ausschließlich von der parteipolitischen Präferenz: Die überwiegende Mehrheit der Republikaner unterstützen Klimaschutzmaßnahmen nicht.  Der Ausstieg aus dem Pariser Abkommen ist also in erster Linie ein symbolisches Bekenntnis Trumps zum republikanischen Dogma, durch das der republikanischen Wählerschaft ein Erfolgserlebnis beschert werden soll.


Das Pariser Abkommen, Erreichbarkeit der Klimaschutzziele
und Diskussionen um Klima-Geoengineering


Dennoch mögen sich angesichts des Ausstiegs der USA aus dem Pariser Abkommen viele nochmals fragen, wie es überhaupt um die Erreichbarkeit der in Paris formulierten Ziele steht. Können die Staaten der Welt tatsächlich ihre Emissionen so weit reduzieren, dass das in Paris beschlossene Ziel, die globale Erwärmung weit unter zwei Grad (am besten sogar unter 1,5 Grad) zu halten, noch erreicht werden kann? Dafür wäre schnelles Handeln gefragt: Um das 2-Grad-Ziel allein durch Emissionsminderungen einzuhalten, müsste die gesamte Welt ihre CO2-Emissionen innerhalb von 30 bis 40 Jahren auf Null herunterfahren. Um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, müsste dies sogar in etwa ein bis maximal zwei Jahrzehnten geschehen. Die dafür notwendige Transformation grundlegender Gesellschaftsstrukturen—zum Beispiel der Energieerzeugung, Mobilität und Landwirtschaft— müsste schnell und umfassend umgesetzt werden, was vielen zweifelhaft, wenn nicht sogar undenkbar erscheint.


Und daher werden immer öfter Klima-Geoengineering Maßnahmen ins Spiel gebracht. Solche Technologien agieren jenseits von Emissionsreduktionen, um durch eine gezielte Manipulation des Erdsystems die Abkühlung des globalen Klimas zu ermöglichen. Zwei übergreifende Ansätze werden diskutiert: Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre zu entfernen, sowie technische Maßnahmen zur Veränderung der Strahlungsbilanz der Erde. Für beide Ansätze gibt es viele Vorschläge, wie sie zu bewerkstelligen seien. Und bei beiden zeigt der heutige Stand der Forschung, dass ihr Klimaschutzpotential entweder stark begrenzt ist oder aber die mit ihnen verbundenen möglichen Risiken und Nebenfolgen so schwer abzuschätzen sind, dass ihr künftiger Einsatz nicht verlässlich einzuplanen ist.


Wie lässt sich Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen?


Als Beispiel: Eine der meist diskutierten Technologien zur Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre ist die Kopplung von Bioenergiegewinnung an Kohlendioxidabscheidung und -speicherung (BECCS) das bedeutet: Bioenergy with Carbon Capture and Storage, also Bioenergie verbunden mit CCS. Hierzu wird in Kraftwerken Biomasse zur Energieerzeugung verfeuert. Ein Großteil des im Verbrennungsprozess freiwerdenden Kohlendioxids wird sodann, noch bevor es in die Atmosphäre eintritt, eingefangen, um es schließlich dauerhaft unterirdisch zu deponieren. Da die Biomasse im Wachstumsprozess der Atmosphäre Kohlendioxid entzieht, wäre so eine Netto-Entnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre möglich. Bisher gibt es zu dieser Technologie nur eine Handvoll kleiner Versuchsanlagen weltweit.


Weitere Vorschläge zur großmaßstäblichen Kohlendioxidentfernung sind Aufforstung, die Produktion von Biokohle, das Düngen der Ozeane mit Nährstoffen, um so das Algenwachstum anzuregen, die Kalkung der Ozeane, um sie zu alkalisieren, und die direkte chemische Entfernung von Kohlendioxid aus der Umgebungsluft. Jeder dieser Vorschläge birgt eigene Potentiale und Probleme.


Was müssten diese Technologien leisten, um einen bemerkbaren Effekt auf das Klima zu erzielen? In den allermeisten Szenarien des Weltklimarats (IPCC), in denen das 2-Grad-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 66 Prozent erreicht wird, wird davon ausgegangen, dass schon bis zum Ende des 21. Jahrhunderts 500 bis 800 Gigatonnen Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernt werden—rund 15 bis 20 Mal so viel, wie heute jährlich emittiert wird. Wie enorm der hierfür notwendige Infrastrukturaufbau wäre, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie groß beispielsweise die Öl- und Kohleindustrien sind, die das Kohlendioxid zuvorderst in die Atmosphäre befördern. Dabei ist noch nicht klar, ob eine der vorgeschlagenen Technologien überhaupt eine Kohlendioxidentfernung in diesem Ausmaß ermöglichen könnte. In jedem Fall müssten neue, große Industrien ins Leben gerufen werden—ein energieintensives Unterfangen, das, in Abwesenheit von großmaßstäblich verfügbaren erneuerbaren Energiequellen,  erstmal zusätzliche Emissionen erzeugen würde, die dann später wieder entfernt werden müssten.


Eingriffe in die Strahlungsbilanz der Erde


Bei den Technologien zur Veränderung der Strahlungsbilanz der Erde steht häufig ein Ansatz im Fokus, bei dem reflektierende Partikel in die Stratosphäre eingebracht würden. So soll die Menge an Sonnenlicht, die die Erde erreicht, reduziert werden. Weitere Vorschläge sehen vor, Stratokumuluswolken über den Ozeanen aufzuhellen, damit weniger Sonnenlicht die Erde erreicht, oder Zirruswolken auszudünnen, damit mehr Infrarotstrahlung von der Erde ins All entweichen kann. Da aber Zirruswolken gleichzeitig auch Sonnenlicht ins All reflektieren, ist beim heutigen Forschungsstand nicht klar, ob eine Ausdünnung wirklich zu einer Abkühlung oder nicht doch sogar zu einer Erwärmung führen würde.


Während eine Reduzierung des einfallenden Sonnenlichts in Modellrechnungen eine rasche Absenkung globaler Durchschnittstemperaturen zur Folge hat, sind die daraus resultierenden regionalen Temperaturunterschiede bisher nicht hinreichend erforscht. Weiterhin werden Auswirkungen auf Klimaparameter wie die Niederschlagsstärke und deren Verteilung, sowie unerwünschte Nebenfolgen, etwa für die Ozonschicht, erwartet. Und auch wenn weitere Forschung als Grundlage für die künftige Entscheidungsfindung unerlässlich ist, ist ein fundamentales Problem bei all diesen Ansätzen, dass heutige Klimamodelle weder detailliert noch leistungsstark genug sind, um genaue Vorhersagen zu den Effekten und Nebenfolgen zu ermöglichen. Sogar nach einem Eingriff in das Klima wären die Effekte nicht klar messbar—hierfür ist das Klimasystem von Jahr zu Jahr zu variabel. Es würde möglicherweise Jahrzehnte dauern, bis die Effekte gut charakterisiert wären, und auch dann bliebe es fraglich, inwiefern einzelne Schwankungen einem Eingriff zugeschrieben werden könnten.


Drehen am globalen Thermostat


Aus dieser Situation entsteht ein grundsätzliches Problem: Wenn ein Eingriff stattfindet und danach Wetterextreme auftreten, dann könnten diejenigen, die unter den Extremen leiden, immer versuchen diejenigen, die am „globalen Thermostat“ drehen, verantwortlich zu machen—egal, ob die Wahrscheinlichkeit des Auftretens des Extremereignisses letztlich durch den Eingriff erhöht wurde oder nicht. Gerade in Zeiten, in denen  wissenschaftlich basierte Fakten im politischen Diskurs vermehrt ignoriert werden, ist dies ein bedrohliches Szenario. Zwischenstaatliche Konflikte scheinen unter solchen Umständen schwer vermeidbar.


Vor dem Hintergrund unseres heutigen Wissens wird also ersichtlich, dass keine der angedachten Maßnahmen für Klima-Geoengineering verlässlich zum Erreichen der Ziele des Pariser Abkommens beitragen kann. Ein rascher und umfassender Umbau gesellschaftlicher Strukturen hin zu einer Kohlendioxid-freien Produktions- und Konsumkultur, bei gleichzeitiger Anpassung an unvermeidbare Klimaveränderungen, bleibt zurzeit der einzige bekannte Weg, um die Herausforderungen des Klimaschutzes zu meistern. Die Entscheidung der US-Regierung, im „fossilen Zeitalter“ zu bleiben, wird diesen Umbau nicht verhindern, ihn aber vor allem in den USA verlangsamen – beim Klimaschutz wird es also möglicherweise „America last“ heißen.


Und welche Rolle könnte Klima-Geoengineering in der amerikanischen Politik spielen? Bisher haben sich weder die Republikaner noch die Demokraten klar dafür oder dagegen ausgesprochen. Ob sich ihre Haltung dazu, wie beim Klimawandel, stark entlang Parteilinien orientieren wird und wie sich die Standpunkte der Parteien zum Klima-Geoengineering formieren, bedarf einer vertieften politischen Analyse.


Auf jeden Fall gilt: Für eine solch komplexe und weitreichende Entscheidung wie dem Einsatz von Klima-Geoengineering Maßnahmen sollte man auf eine solide Wissensbasis zurückgreifen können. Dafür muss weiter Forschung zum Klima-Geoengineering betrieben werden — auf eine verantwortungsvolle, kontrollierte und reflexive Art, die sich am gesellschaftlichen Gemeinwohl orientiert und die öffentliche Teilhabe, Transparenz, unabhängige Bewertung und die Entwicklung von Regulierungsmaßnahmen fördert.


Teile dieses Beitrags sind zuvor in der Juni-Ausgabe von bizz energy erschienen.


Mark Lawrence ist Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS), Potsdam


Stefan Schäfer ist Forschungsgruppenleiter am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS), Potsdam und Visiting Fellow an der Universität Oxford


Das von den Forschungsministerien des Bundes und des Landes Brandenburg geförderte Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) hat das Ziel, Entwicklungspfade für die globale Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft aufzuzeigen. Zentrale Forschungsthemen sind die Energiewende, aufkommende Technologien, Klimawandel, Luftqualität, systemische Risiken, Governance und Partizipation sowie Kulturen der Transformation.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen