Oft wird die Sicht klarer, wenn man die Perspektive wechselt. Der Sozialpsychologe Harald Welzer, der vor einiger Zeit einen Gastvortrag am Produktionstechnischen Zentrum Hannover gehalten hat, wählt dazu das Futur II und betrachtet aus dieser Perspektive, was wir getan haben werden.
Wir sehen dann, wie Digitalisierung und Klimawandel unsere Gesellschaft und die gesamte Welt in einer beispiellosen Weise verändert haben werden. Ob wir uns aus dieser Perspektive als Akteure beziegunsgweise Mitläufer einer womöglich katastrophalen Entwicklung sehen oder als diejenigen, die unsere künftige Gesellschaft im positiven Sinne mitgestalten, hängt davon ab, was wir jetzt und in den nächsten Jahren entscheiden werden.
Beide, Digitalisierung – im Gewand von Industrie 4.0 – und Klimawandel, sind zentrale Themen für die Produktion. Die Art und Weise, wie mit ihnen umgegangen wird, ist allerdings sehr unterschiedlich. Quasi zeitgleich mit dem neuen Schlagwort Industrie 4.0 startete vor einigen Jahren eine enorme Mobilisierung mit dem Ziel, deutsche Unternehmen zu digitalisieren und zu vernetzen, um im globalen Wettbewerb vorn zu sein. Dabei ist auch eine vorbildliche, sehr enge Zusammenarbeit von produktionstechnischen Hochschulinstituten und Unternehmen, insbesondere auch dem Mittelstand, entstanden.
Auch wenn gelegentlich zu Recht bemängelt wird, dass uns als Gesellschaft eine Vision fehlt, auf welche digital-vernetzte Zukunft wir denn insgesamt zusteuern wollen, ist die Digitalisierung aus Sicht der Produktion eine Erfolgsgeschichte. Und auch mit Blick auf den Klimaschutz kann Digitalisierung unterstützen, etwa bei der Verknüpfung von Produkten mit Informationen zu deren Recycling.
Dass Maßnahmen zum Klimaschutz in der Produktion nicht dieselbe Relevanz haben, ist naheliegend, aber fatal. Warum naheliegend? Mehr Klimaschutz sorgt auf den ersten Blick für das Gegenteil von Digitalisierung, denn die übliche Motivation hierfür ist die Produktivitätssteigerung von Unternehmen. Klimaschutz-Maßnahmen werfen jedoch im Wettbewerb vermeintlich zurück. Fatal ist das, weil der Klimawandel – das wird niemand ernsthaft bezweifeln – das größere Thema im Sinne eines Futur II ist: Wenn wir es nicht geschafft haben werden, ihn auf ein verträgliches Maß abzubremsen, hinterlassen wir den nächsten Generationen einen Planeten, der inkompatibel ist mit den (Über-)Lebensbedingungen der Mehrzahl der Menschen und auch mit zivilisatorischen Errungenschaften wie Demokratie, Freiheit oder Sicherheit.
Der Hebel in der Produktion ist groß, das lässt sich auf den Webseiten des Bundesumweltamtes nachlesen. Demnach verbrauchen alle Produktionsbereiche zusammen fast drei Viertel der in Deutschland benötigten Primärenergie. Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes daran lag 2013 bei 38 Prozent. Und trotz immer höherer Energieeffizienz war der Primärenergiebedarf der Produktion im gleichen Jahrinsgesamt noch genauso hoch wie 1995. Allein der Sektor „Metalle“ schlug hier unverändert mit 700.000 Terajoule zu Buche. Diese Zahlen machen klar: Es ist noch viel Luft nach oben.
Die WGP steht zum Zwei-Grad-Klimaziel der Bundesregierung, und in den einzelnen Hochschulinstituten erforscht sie bereits seit Jahren sehr erfolgreich ressourcenschonende Verfahren. So ist mein WGP-Kollege Fritz Klocke Vorsitzender des Fraunhofer-Verbundprojekts „Ressourceneffiziente Produktion“, das sich zum Ziel gesetzt hat, Fertigungssysteme, Werkstoffe und Komponenten, Produktionsprozesse oder auch Infrastrukturbetriebe zu entwickeln, die Unternehmen einen effizienten Umgang mit Ressourcen wie Energie, Material und Personal ermöglichen.
Bereits im vergangenen Jahr ging unter meinem Vorgänger Eberhard Abele das auf zunächst zehn Jahre angelegte Kopernikus-Projekt des Bundesforschungsministeriums „SynErgie“ an den Start. Sechs WGP-Forschungsinstitute arbeiten mit rund 100 Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft daran, dass sich insbesondere die energieintensiven Branchen auf die Nutzung regenerativer, also volatiler Energien einstellen können. Damit wird der Energiebedarf zum großen Teil von klimaschädlichen Emissionen entkoppelt, Unternehmen profitieren von niedrigeren Strompreisen in Zeiten ohne Engpässe. Das Projekt macht drastische Energieeinsparungen bei sinkendem Schadstoff-Ausstoß möglich und bringt uns damit einen wichtigen Schritt weiter auf dem Weg zu unserem Zwei-Grad-Klimaziel.
Nicht zuletzt werden klimafreundliche Technologien und Prozesse in einzelnen WGP-Hochschulinstituten sehr erfolgreich erforscht. Da ich die größte Detailkenntnis von den Projekten in meinem eigenen Institut am Produktionstechnischen Zentrum der Leibniz Universität in Hannover habe, drei Beispiele von dort: Wir haben Werkzeugmaschinen optimiert, so dass sie ein Drittel weniger Energie verbrauchen. Wir sorgen dafür, dass wertvolle Werkzeuge nach dem Verschleiß nicht recycelt, sondern noch mindestens eine weitere Generation als Werkzeug genutzt werden können. Wir haben Prozesse entwickelt, um Titanspäne, die in gigantischem Ausmaß in der Fertigung für die Luftfahrt entstehen, als hochwertigen Rohstoff weiternutzen zu können. Ressourcenschonung bedeutet dabei immer auch Energie/Emissionseinsparung, da Werkstoffe – insbesondere Seltene Erden – mit immer mehr Energieaufwand gewonnen werden müssen.
So trägt die WGP schon jetzt maßgeblich dazu bei, die Grundlagen für klimafreundliche Technologien und Prozesse in der Produktion zu schaffen. Trotzdem sollten wir unser Engagement natürlich weiter ausbauen.
Darüber hinaus möchte ich als neuer Präsident der WGP zwei weitere Ansätze folgen lassen. Schwieriger als die Erforschung neuer Technologien wird es, wenn es um das geht, was jenseits der Maschine und des Prozesses geschieht, was aber für eine erfolgreiche „Klima-Industrie“ unverzichtbar ist: die Haltung. Julian Allwood, ein sehr geschätzter Kollege aus der Produktionstechnik, Professor an der University of Cambridge/UK und Mitverfasser des Klimaberichts der Vereinten Nationen, hat den Mitarbeitern des Produktionstechnischen Zentrums als Fazit eines Vortrags den Rat auf den Weg gegeben „Engage in a new form of public dialogue“. Sie sollten Greenwashing entlarven und sich nicht auf ihre Rolle als reine Technologen zurückziehen.
Die Botschaft: Wenn (technische) Effizienz auf unersättliche Lifestyles des „Immer mehr“ trifft, kann man relative Einsparungen und ein wohliges, aber trügerisches Öko-Gefühl erzeugen, doch keine absoluten Einsparungen. Die aber brauchen wir, und zwar schnell. Auch wenn es wehtut und wir womöglich auch im persönlichen Umfeld Standards in Frage stellen müssen – etwa das selbstverständliche Fliegen (mit horrender Emissionsbilanz) zu Konferenzen und internationalen Projekttreffen. Das wäre der zweite Ansatz, und hier gibt es viel zu tun, innerhalb unserer Hochschulinstitute, in der Lehre, aber auch als Partner in dem zu Recht geforderten „Öffentlichen Dialog“.
Bei einem dritten Ansatz, und hier kommen die Unternehmen ins Spiel, sollten wir unsere zukunftsfähigen Technologien nutzen und unserem gesellschaftlichen Auftrag als Hochschulinstitute nachkommen, indem wir in den Dialog treten mit Unternehmen, Verbänden und Interessensvertretungen. Als Präsident werde ich zügig das Gespräch suchen beispielsweise mit dem VDMA und dem VDW, die sich über Blue Competence bereits mit dem Thema Klimaschutz in der Industrie auseinandersetzen. Es gibt sie ja längst, die Unternehmen, die beweisen, dass Produktion made in Germany klimaneutral und erfolgreich sein kann – und dass Mitarbeiter durchaus nicht an Dienst-Fahrrädern leiden. Die WGP kann jedoch mit ihren aktuellen Forschungsergebnissen etwa zu ressourceneffizienten Prozessketten einen maßgeblichen Anteil bei der Formulierung aktueller Ziele für den Klimaschutz in der Industrie beitragen.
Auch wenn sich manche Maßnahmen auf den ersten Blick negativ auf die Produktivität auswirken – auf den zweiten Blick sind sie möglicherweise ein Wettbewerbsvorteil. Denn Klimaschutz wird weltweit einen immer höheren Stellenwert einnehmen. Letztlich kommt es darauf an, dass die Grenze der planetaren CO2-Kapazitäten, die wir bis 2050 einhalten müssen, um das Ziel einer maximalen Erwärmung um zwei Grad nicht zu reißen, die feste Größe ist. Alle anderen Größen sind die Parameter, die es innerhalb dieses Rahmens zu optimieren gilt. Nur dann haben wir eine Chance, im Futur II zu sagen: Wir werden es geschafft haben.
Berend Denkena ist Leiter des Instituts für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen, das mit rund 90 Wissenschaftlichen Mitarbeitern das größte Institut am Produktionstechnischen Zentrum der Leibniz Universität Hannover ist. Seit dem Januar ist er Präsident der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik WGP.