Standpunkte Das fossile Imperium schlägt zurück

Foto: DIW

Die Energie-Ökonomin Claudia Kemfert setzt sich in ihrem neuen Buch mit den Angriffen der Verteidiger des fossilen Energiesystems auf das Neue auseinander. Ein Vorabdruck: Die Energiewende ist ein Friedensprojekt

von Claudia Kemfert

veröffentlicht am 15.04.2017

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Der Klimawandel per se ist ungerecht. Seine größten Verursacher sind die reichsten Profiteure der fossilen Energien, und sie haben am wenigsten mit seinen Folgen zu kämpfen. Die größten Klimaschäden treffen jene, deren Treibhausgasemissionen am allerniedrigsten sind. Hinzu kommt, dass die Emissionen dort zu Buche schlagen, wo produziert wird, nicht dort, wo konsumiert und verbraucht wird. Kritik daran kommt nicht nur von Wissenschaftlern, sozialen oder politischen Aktivisten: Auch dem Papst ist es ein Dorn im Auge, dass die Ärmsten der Welt die Folgen eines Energieverbrauchs tragen müssen, den die wohlhabenden Industrieländer zu verantworten haben und nicht zu ändern bereit sind.


Wir werden nicht einfach in anderer Energieform weitermachen können wie bisher. So bequem die Vorstellung sein mag, dass sich nichts ändert, wir werden nicht einfach Energiesparbirnen statt Glühlampen verwenden, Teslas statt Benzinern oder Dieselmotoren fahren und in Energiesparhäusern leben – wir werden uns radikal umstellen und sehr viel Energie sparen müssen. Eine Verkehrswende, so sehr das die Verfechter der Einzelmobilität schmerzen mag, wird nicht ohne Carsharing und ÖPNV auskommen.


Alles hat seinen Preis, davon bin ich überzeugt: Eine Verhaltensänderung der reichen wie der armen Menschen wird ohne wirtschaftlichen Anreiz nicht gelingen. Es ist keine kleine Veränderung, die auf uns zukommt, sondern eine radikale Umwälzung unserer Arbeits-, Wirtschafts- und Lebenswelten und unseres Konsums – mit Verzicht allein werden wir das nicht bewältigen können. Wenn wir es wollen, wird es ein Gewinn für alle sein. Damit das gelingt, brauchen wir keine trägen politischen Prozesse und keine Ablenkungsmanöver der fossilen Industrie. Wir brauchen politische Unabhängigkeit von den Interessen einer rückwärtsgewandten Industrie und technologische und wirtschaftliche Innovationen für die neue Energiewelt.


Ob in den USA oder in Afrika, Indien, China oder Deutschland: Die erneuerbaren Energien und der Klimaschutz sorgen überall auf der Welt für Bildung und Wohlstand. Die Energiewende entschärft geopolitische Konflikte, verhindert Kriege um Ressourcen und ermöglicht medizinische Versorgung. Die Energiewende bietet Menschen, die sonst mangels Perspektive aus ihrer Heimat flüchten müssten, eine Zukunft und eine Existenzgrundlage. Die Energiewende sorgt dafür, dass Strom bezahlbar wird, Kinder einen Schulabschluss und Frauen eine Ausbildung machen können. Kurz: Die Energiewende ist die wichtigste Antwort auf die in aller Welt schwelenden Konflikte, den Terror, die Angst und die Armut.


Wir werden weitere Finanzkrisen, Konflikte und Kriege in der Welt erleben, wir werden erschüttert sein und unsere Timelines und Tagesordnungen werden darum kreisen. Wir werden so lange davon vereinnahmt sein, bis die Krise überstanden und der Krieg zu Ende ist. Die Energiekrise hingegen und der Klimawandel werden kein Ende finden, sie werden uns immer beschäftigen – die Frage ist, in welchem Ausmaß sie unser aller Lebensumgebung beeinflussen werden und wie groß die Ströme an Klimaflüchtlingen sein werden, die uns erreichen, weil ihr Lebensraum durch die globale Erwärmung unwiederbringlich zerstört ist.


Es wäre fatal, den Ausgang des Friedensprojekts Energiewende von den Interessen der fossilen Energiewelt abhängig zu machen. Es wäre fatal, den Kampf um die wirtschaftlichen Vorteile einer dem Untergang geweihten Industrie in einen Krieg um mangelnde Ressourcen und energiepolitische Abhängigkeiten münden zu lassen.


In die Energiewende zu investieren heißt auch, in globale Gerechtigkeit investieren. Anders als viele befürchten, werden Grundrechte nicht weniger, wenn alle sie teilen. Das Einzige, was weniger werden könnte, sind die Privilegien Einzelner. Claudia Kemfert



Auszug aus:


Claudia Kemfert: 
Das fossile Imperium schlägt zurückWarum wir die Energiewende jetzt verteidigen müssen, 132 Seiten, Softcover € 14,90 (D)
ISBN 978-3-86774-566-6



Über das Buch:


Was kaum jemand merkt: In News und Netz tobt ein brandgefährlicher Krieg um Energie. Überall auf der Welt ist ein Comeback fossiler Energien zu beobachten. Auch in Deutschland, dem Mutterland der Energiewende. Das deutsche Erneuerbare- Energien-Gesetz wurde zulasten der Energiewende novelliert und in Brüssel blockieren ausgerechnet die deutschen Klimapioniere die Emissionsgrenzwerte. Lobbyisten lenken von dieser Wende in der Energiewende bewusst ab. Sie verbreiten gezielt Fehlinformationen und schüren Mythen, die hartnäckig die Runde machen.


Bestsellerautorin Claudia Kemfert warnt: Fake News sind im Kampf um Macht und Geld zur Waffe geworden – auch in Sachen Energiewende. Lobbyisten verbreiten gezielt Fehlinformationen und schüren Mythen, die hartnäckig die Runde machen. In ihrem topaktuellen Buch »Das fossile Imperium schlägt zurück« widerlegt die Energieökonomin die gängigen Irrtümer mit sachlichen Argumenten und wissenschaftlichen Fakten.


Zehn Behauptungen unterzieht sie einem gründlichen Faktencheck:


  1. „Die Energiewende ist bis 2022 nicht zu schaffen.“
  2. „Zielmarke 2050 – So lang im Voraus kann man doch gar nicht planen!“
  3. „Die erneuerbaren Energien brauchen ein Tempolimit!“
  4. „Es drohen Blackouts.“
  5. „Die Energiewende lässt die Strompreise explodieren“
  6. „Es droht ein Kosten-Tsunami durch die Energiewende.“
  7. „Die Energiewende führt zu einer De-Industrialisierung in Deutschland.“
  8. „Wir brauchen keine Planwirtschaft – die Energiewirtschaft braucht Markt.“
  9. „Die Energiewende führt zur sozialen Verelendung.“
  10. „Mit seinem Alleingang isoliert sich Deutschland und gerät international ins Abseits.“

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