„Das Scheitern dieser Koalition ist Gift für die Wirtschaft“

Sabine Nallinger spricht im Interview mit Tagesspiegel Background über die Bedeutung der gescheiterten Sondierungsgespräche für die Wirtschaft, verpasste Planungssicherheit und die Notwendigkeit einer neuen Regierung, klimaschädliche Subventionen abzuschaffen.

veröffentlicht am 20.11.2017

aktualisiert am 16.11.2018

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Frau Nallinger, die Jamaika-Koalition auf Bundesebene ist in der Nacht zum vergangenen Montag endgültig gescheitert. Auch die Themen Klima und Energie hatten ihren Anteil daran. Inwiefern hat das Ergebnis nun Einfluss auf die Ausrichtung der deutschen Wirtschaft beim Klimaschutz?


Das Scheitern dieser Koalition ist Gift für die Wirtschaft. Denn Unternehmen brauchen Planungs- und Investitionssicherheit, um sich mit ihren Produkten und Dienstleistungen so aufzustellen, dass sie ihren Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten können. Da ist ein längerer politischer Stillstand nicht hilfreich. Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch auf europäischer Ebene, wo Deutschland gerade ausfällt. Klar ist aber auch: Das Scheitern von Jamaika bremst die deutschen Unternehmen beim Wandel zu einer treibhausgasneutralen Wirtschaft zwar. Die Richtung ist jedoch klar und davon werden sich zukunftsgewandte Unternehmen auch nicht abbringen lassen, um sich wettbewerbsfähig für die Märkte aufzustellen.


Vor rund einer Woche erst haben mehr als 50 Unternehmen einen Appell an die Koalitionäre verfasst, in dem sie sich zu einer ganzen Reihe von Themen wie Verkehrs- und Wärmewende oder CO2-Bepreisung an die Politik wenden und ambitioniertere Maßnahmen einfordern. Die FDP-Generalsekretärin twitterte in der Nacht jedoch wieder über die angeblich ideologische Energiepolitik der Grünen, die der Industrie schaden würde. Wurde Ihr Appell in Berlin also nicht gehört?


Die Erklärung, die wir als Stiftung mit angestoßen haben, ist die größte und umfassendste Unternehmenserklärung für ambitionierten Klimaschutz, die es in Deutschland je gab. Sie können davon ausgehen, dass das bei allen Fraktionen auf Gehör gestoßen ist und für ordentlich Diskussionen gesorgt hat. Ich glaube, es wäre möglich gewesen, beim Thema Klima- und Energiepolitik Kompromisse zu finden – wenn es denn alle wirklich gewollt hätten.


Kann man wirklich sagen, dass die deutsche Wirtschaft geschlossen hinter Klimaschutz steht?


Ich spreche mit sehr vielen Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen und da habe ich schon das Gefühl, dass bei allen angekommen ist, dass die Entwicklung in Richtung einer treibhausgasneutralen Wirtschaft geht und jeder seinen Beitrag dazu leisten muss. Klar gibt es über das Wie und die Schnelligkeit dieses Wandels viel Diskussionen. In unserem Appell an die Politik sind ja eben nicht nur die Unternehmen der erneuerbaren Branche dabei.


Zu den Unterzeichnern gehören auch energieintensive und produzierende Unternehmen, wie große Bauunternehmen oder auch ein ganz großer Papierhersteller. Mit an Bord sind auch die Energieversorger EnBW und die Stadtwerke München, die beide noch Kohle in ihrem Portfolio haben. Sie alle gehören nicht zu den direkten Gewinnern der Energiewende, unterstützen diesen Wandel der Wirtschaft aber und wollen ihn mitgestalten. Damit ihnen das gelingt, bringen sie sich mit ihren Interessen ein, denn sie brauchen Planungssicherheit.


Ein konkretes Datum, etwa „Kohleausstieg bis XY“, ist für die Industrie also besser als die Wege im Klimaschutz gänzlich offen zu lassen?


Je konkreter die Planung, desto besser. Ob am Ende eine Jahreszahl gesetzt wird oder ein anderes Instrument, wie ein wirksamer CO2-Preis, zielführender ist, muss je nach Thema mit allen Stakeholdern entschieden werden. Wichtig ist, dass die Unternehmen sich verlässlich vorbereiten können und ein plötzliches Umschwenken oder sogar Brüche vermieden werden. Deutschland hat das Pariser Abkommen unterzeichnet, in dem sich Staaten zu nationale Beiträgen festlegen. Die gilt es, einzuhalten. Das hat die Bundeskanzlerin auch nochmal in ihrer Rede in Bonn betont. Und Deutschland tut gut daran, das jetzt anzugehen, anstatt es wieder zu verschleppen – wie bei dem 2020-Ziel. Es wird doch mit jedem Jahr aufwändiger, wenn das hinausgeschoben wird. Hingegen bietet die Arbeit, diese Klimaziele einzuhalten, sehr große Chancen für die deutsche Wirtschaft insgesamt.


Der Bundesverband der Deutschen Wirtschaft (BDI) hat jüngst die Kernergebnisse einer Studie zu Industrie und Klimaschutz vorgestellt. Dort werden auch die Wachstumschancen der Energiewende betont – eine durchaus unübliche Sicht des BDI. Würden Sie sagen, der alte Konflikt zwischen Unternehmen, die beim Klimaschutz mauern und denen, die seit jeher dem Thema offen gegenüber stehen, ist endgültig vorbei?


Erst einmal freue ich mich, dass die Herangehensweise, Klimaschutz als Chance zu nutzen, sich immer weiter durchsetzt. Um den Wandel der Wirtschaft gemeinsam erfolgreich stemmen und uns damit wettbewerbs- und zukunftsfähig aufstellen zu können, müssen alle an einem Strang ziehen. Aber: Die Berechnungen des BDI unterstellen immerhin noch gewaltige Mehrkosten für die Energiewende, beispielsweise über den Umbau der Infrastruktur. Mir gefällt dieses Wort Mehrkosten nicht. Denn das sind nicht nur Investitionen in eine saubere Zukunft, sondern es sorgt für Innovationen und Investitionen, volle Auftragsbücher und schafft Arbeitsplätze.


Dann müsste es ja eigentlich sehr schnell gehen mit der Einführung eines CO2-Preises. Damit wäre Deutschland schon ein Stück näher dran am Kohleausstieg.


Auch hier sind viele Unternehmen einen Schritt weiter als die Politik. Viele Unternehmen sind für eine ernsthafte Debatte zu einem CO2-Preis – das zeigt auch unsere Erklärung. Und um jetzt die übliche Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit vorwegzunehmen: Die im internationalen Wettbewerb stehende energieintensive Industrie benötigt kluge politische Rahmensetzungen, um nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, sondern auch ihre Transformation zu ermöglichen. Teilweise haben wir das ja auch schon. Und im Gegenzug zu einem wirksamen CO2-Preis muss dann auch über die Reform von Steuern und Abgaben gesprochen werden. Damit dies weitestgehend aufkommensneutral ist und keine emissionsintensiven Industrien abziehen – und anderswo mit weniger Innovationen eher mehr Emissionen verursachen. Ob am Ende über den CO2-Preis alleine der Kohleausstieg rechtzeitig gelingt, muss mit Blick auf die Erreichung der Klimaziele entschieden werden.


Was braucht es noch für konkrete Maßnahmen?


Die Sonderregelungen für den Energieträger Kohle gehören meiner Meinung nach abgeschafft. Hingegen sollte es viel mehr finanzielle Förderung in klimafreundliche Technologien geben. Hier ist der Ausbau der erneuerbaren Energien nur ein Teil. Unternehmen sind gerade sehr daran interessiert, neue Modelle im Bereich Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft zu entwickeln. Für sie ist das pure Effizienz, neue Produktionsverfahren sparen ihnen Geld. Alle Blicke müssen sich jetzt auf solche neuen Verfahren richten. Damit werden alle Subventionen in klimaschädliche Technologien hinfällig. Ja schlimmer noch: Sie sind absolut kontraproduktiv und verlangsamen den Wandel der Wirtschaft nur unnötig und zu hohen Kosten für die Allgemeinheit.


Was erwartet die deutsche Wirtschaft nun von den Parteien?


Es muss nun darauf ankommen, so bald wie möglich eine Lösung zu finden, damit wir wieder eine Regierung haben. Eine politische Hängepartie darf es nicht geben. Die Wirtschaft erwartet von der Politik, dass es Kompromissbereitschaft bei allen politischen Akteuren gibt. Auch beim Klimaschutz gilt das. Denn heute ist Klimaschutzpolitik auch Wirtschaftspolitik, mit der Unternehmen und Volkswirtschaften sich zukunfts- und wettbewerbsfähig aufstellen. Deutschland darf hierbei nicht den Anschluss verlieren und muss schnell wieder handlungsfähig werden.


Sabine Nallinger ist seit 2015 Vorstandsmitglied der Stiftung 2Grad. Als Zusammenschluss von Geschäftsführern, Vorstandsvorsitzenden und Familienunternehmern setzt sich die Stiftung für eine Beschränkung der Erderwärmung auf zwei Grad ein.

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