Ja, wir haben es gekannt: das Gefühl der Unangreifbarkeit. Haben wir, die Energiewirtschaft, nicht verlässlich Leistungen erbracht, die aus dem Alltag der Menschen nicht wegzudenken sind? Haben wir nicht dafür gesorgt, dass die Lichter nicht ausgingen, dass die Häuser warm und das Bier kalt blieb und dass die Wirtschaft arbeiten und wachsen konnte? Haben wir nicht Hunderttausende gut bezahlte Arbeitsplätze bereitgestellt? Haben wir nicht Milliarden investiert und Milliarden an Steuern gezahlt? Hatten wir nicht ein enges – vielleicht zu enges – Verhältnis zur Politik?
Und doch hat uns das alles nicht davor geschützt, dass in unserer Branche kein Stein auf dem anderen geblieben ist. Die traditionellen Wertschöpfungsketten der Energiewirtschaft wurden aufgebrochen, die herkömmlichen Geschäftsmodelle zerlegt und das Modell des integrierten Energieversorgers ein für alle Mal beendet. Wir bei Eon haben uns als Energiedienstleister mit klarem Fokus auf unsere Kunden neu erfunden. Leicht ist uns das gewiss nicht gefallen. Niemand verabschiedet sich gerne von einem Geschäftsmodell, mit dem er 100 Jahre erfolgreich war. Vom trügerischen Mythos der Unangreifbarkeit blieben aber nicht mehr als Geschichten aus der angeblich guten alten Zeit.
Jetzt hören wir, die Automobilindustrie solle sich entschlossen auf Elektromobilität umstellen, um dem Schicksal der Energiewirtschaft zu entgehen. Denn sie habe zu lange am Alten festgehalten und sei deshalb vom Neuen überrollt worden. Die darin enthaltene abschätzige Unterstellung über die Energiewirtschaft missachtet die ungeheuren Anstrengungen und auch Opfer der Beschäftigten und die erfolgreiche Neuaufstellung eines Unternehmens wie Eon. Schon deshalb scheint es mir geboten, den Weg der Energiewirtschaft und von Eon etwas genauer anzusehen.
Auf Dauer kann man keine Technologie und kein Geschäftsmodell gegen die Gesellschaft betreiben. Die Energiewirtschaft wurde aber als widerspenstig wahrgenommen. Und zugegeben: Lange haben wir eher gesagt, was nicht geht, als Wege aufgezeigt, wie Neues möglich gemacht werden kann. Ich kann mich noch gut erinnern an Diskussionen im Führungskreis von Eon in der ersten Hälfte der 2000er Jahre über die Möglichkeiten der erneuerbaren Energien: Zu teuer, unausgereift, unzuverlässig, nicht mehr als eine Nischentechnologie. Diese technisch-wirtschaftlichen Einwände gegen eine industrielle Nutzung der Erneuerbaren waren nicht leicht zu widerlegen. Schwerer wog aber vielleicht, was man ein „kulturelles Vorurteil“ nennen könnte: Diese allenfalls amüsanten Liebhabereien werden doch niemals Großkraftwerke mit ihren evidenten Effizienzvorteilen ersetzen können! Um es klar zu sagen: Wenn ein Unternehmen, zunächst in seiner Führung, nicht wirklich von neuen technologischen Konzepten überzeugt ist, fehlt auch die Kraft zu den notwendigen klaren Entscheidungen. Es gibt keine halbherzigen und dennoch erfolgreichen Revolutionen.
Wenige von uns hätten sich damals vorstellen können, dass wir schon wenige Jahre später beginnen würden, einen Offshore-Windpark nach dem anderen zu bauen! Dass wir Marktführer für Ladestationen für Elektrofahrzeuge in Dänemark werden und dieses Konzept auch in Deutschland ausrollen. Dass wir einmal eine Offensive mit Solarprodukten einschließlich Batterien starten würden, wie wir es im laufenden Jahr getan haben!
2006 haben wir eine eigene Gesellschaft für die Erneuerbaren gegründet. Bewusst getrennt vom übrigen Konzern, damit sich das Geschäft ungehindert entfalten kann. Seither haben wir dort über 10 Milliarden Euro investiert und sind heute in der Spitze der globalen Wind-Offshore-Industrie.
2012 haben wir auch für das Geschäft mit dezentralen Energielösungen eine eigene Gesellschaft gegründet. Auch hier war uns wichtig, das Geschäft möglichst unabhängig von dem zu entwickeln, was man „Konzerndenke“ nennen könnte. So entstand ein weiterer Katalysator im Wandel von Eon.
Im Ringen um die Zustimmung der Gesellschaft zählt es wenig, ob man Recht hat. Sondern ob man die Gesellschaft und damit die Menschen glaubhaft ernst nimmt. Die Menschen sind zu Recht besorgt um Klima und Umwelt. Sie wollen Taten, keinen Expertenjargon. Für einen ehemaligen Energiemonopolisten, der seine „Kunden“ einst paternalistisch umsorgte, war dies ein wichtiger Lernprozess.
Der Energiewandel in Deutschland ist ohne Frage zunächst staatlich initiiert worden. Die staatliche Technologiesteuerung bis hin zum Technologieverbot ist aber ein ambivalentes Instrument. Einerseits liegt darin die mutige Annahme, die Verlierer und Gewinner der Zukunft weit im Voraus erkennen zu können. Andererseits kann sie mit enormer Hebelwirkung alte Strukturen aufbrechen und neuen Technologien zum Durchbruch am Markt verhelfen. Schließlich war auch das Internet am Anfang ein staatliches Projekt – auch wenn dessen revolutionäre Kraft niemand voraus geahnt hat.
Auch der staatlich mit Zwangseinspeisung verfügte und mit Milliardensubventionen geförderte Umstieg von fossiler auf erneuerbare Energie hat einen Prozess ausgelöst, der inzwischen die Energiemärkte fundamental verändert hat. Der Staat wurde als Treiber dieser Entwicklung längst von der Eigendynamik des technischen Fortschritts und der Kundenwünsche abgelöst. Was mit Technologiepolitik begann, ist inzwischen zur autonomen Marktentwicklung geworden. In der Politik ist das noch nicht überall angekommen. Dies ist vielleicht das größte Problem staatlicher Technologiesteuerung: Den richtigen Moment zu erkennen, an dem die Politik auf den Rücksitz wechseln sollte.
Es wäre ein frustrierender Gedanke, dass ein gewaltsames Aufbrechen der alten Energiestrukturen notwendig war, um ausreichend Veränderungsbereitschaft freizusetzen. Wäre es nicht auch anders gegangen – gemeinsam mit den Unternehmen? Jedenfalls: Die Politik scheint bereit, mit der Automobilindustrie schonender umzugehen.
Im Verkehr stehen Fahrverbote für Dieselfahrzeuge im Raum. Durch Nachrüstung der Software sollen sie möglichst vermieden werden. Längst wird aber auch bei uns ein Verbot des Verbrennungsmotors schlechthin gefordert. Andere Länder, wie Frankreich, Großbritannien, Norwegen oder Indien wollen offenbar diesen Weg gehen.
Auch für die Stromerzeugung aus Kohle werden staatlich orchestrierte Ausstiegsszenarien diskutiert. Ein besonders drastischer Fall eines Technologieverbots ist aber der Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland. Er hat den Anpassungsdruck für die Betreiberunternehmen enorm verschärft. Ihnen wurde eines ihrer tragenden Geschäfte genommen. Dabei steht das Ob längst nicht mehr in Frage. Die Kernenergie hat in Deutschland keinen gesellschaftlichen Konsens mehr. Und gegen die Gesellschaft zu arbeiten, ist für ein Unternehmen wie Eon keine Option. Nur, mussten die politischen Entscheidungen unbedingt so ausfallen, dass die betroffenen Unternehmen über Jahre in eine ernste wirtschaftliche Schieflage gerieten?
Noch hat die Automobilindustrie ihr industriepolitisches „Fukushima“ nicht erlebt. Ein derart tiefer Eingriff in ihre unternehmerischen Strukturen wird ihr auch hoffentlich erspart bleiben.
Allen Energiewandels zum Trotz bleiben konventionelle Kraftwerke noch für längere Zeit als Backup des Energiesystems notwendig. Sie werden am Ende nicht von den Erneuerbaren verdrängt werden, sondern von Energiespeichern, intelligenten Netzen und Nachfragemanagement – aber so weit sind wir noch nicht. Also werden die konventionellen und die neuen, erneuerbaren und dezentralen Energietechnologien mindestens mittelfristig nebeneinander existieren. Ähnliches wird nach aller Voraussicht auch in den Verkehrsmärkten der Fall sein.
Unternehmerisch verlangt dies einen schonenden Umgang mit den Beschäftigten und den Vermögenswerten der herkömmlichen Geschäftsbereiche. Das Neue sollte auf den Schultern, nicht auf den Trümmern des Alten entstehen. Wir haben deshalb Uniper, in der wir unsere klassischen Energiegeschäfte wie konventionelle Kraftwerke und den Energiehandel überführt haben, als wettbewerbsfähiges Unternehmen ausgestaltet. Der Börsenerfolg von Uniper kann sich sehen lassen, wie der von Eon im laufenden Jahr übrigens auch. Mit unserem Konzept haben wir die Kapitalmärkte überzeugt, die Bewertung beider Unternehmen liegt heute über 40 Prozent höher als die der alten integrierten Eon vor der strategischen Neuaufstellung.
Ich will nicht behaupten, von den erwähnten Gesellschaften für erneuerbare Energien und Kundenlösungen, die wir schon vor Jahren gegründet haben, habe ein gerader Weg zur heutigen Eon geführt, dem ganz auf Erneuerbare, Energienetze und Kundenlösungen konzentrierten Energiedienstleister. Wir haben in den 2000er Jahren weiterhin auch in konventionelle Kraftwerke investiert – sicher mehr, als aus heutiger Sicht sinnvoll gewesen wäre.
Die Frage war: Wir können wir im Strudel der Ereignisse den festen Boden belastbarer, langfristiger Trends erreichen? Das Bild war widersprüchlich: Wie ernst nahm die Politik den Klimaschutz? Die Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen war ein Fehlschlag, und Europa hat den Europäischen Emissionshandel dahinsiechen lassen. Wie nachhaltig ist also der von Politik und Gesellschaft eingeschlagene Weg in die Energiezukunft, wenn es um klare, langfristig belastbare Entscheidungen ging?
Entscheidend für unsere strategische Neuausrichtung war deshalb nicht die Politik, sondern im Gegenteil die Analyse, dass der Energiewandel sich von der Politik emanzipiert hat. Der heutige Wandel ist technologiegetrieben und viel wichtiger noch: Er wird von den Kunden selbst gewünscht und gestaltet. Haushalte und Unternehmen können heute aus einer Fülle individualisierbarer und meist digitaler Energielösungen auf der Basis von Solarenergie plus Batterie, Brennstoffzelle oder Kraft-Wärme-Kopplung wählen. Zugleich lösen sich die Erneuerbaren aus der Abhängigkeit von hohen Subventionen, wie in den Auktionen für Windparks auf See oder an Land sowie für große Solaranlagen deutlich wurde. Die erfolgreichen Gebote lagen durchweg erheblich unter den bisherigen Fördersätzen und sanken bei Wind-Offshore bis auf null. Hinzu kommt: Die revolutionäre Kraft der Digitalisierung wird vielleicht nicht im Tempo, aber in der Wirkung auf die Geschäftsmodelle dem Fukushima-Einschnitt für die Branche nicht nachstehen.
Der Energiewandel wird damit von einem Projekt der Politik zu einem der Kunden, unabhängig davon, ob etwa die USA aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen oder Großbritannien aus dem Europäischen Emissionshandel. Nach unserer Überzeugung ist es genau dieser Wendepunkt, der eine grundlegend neue unternehmerische Ausrichtung der Strategie und der Struktur möglich und erforderlich werden ließ. Ob in den Verkehrsmärkten dieser Punkt erreicht ist, müssen andere beurteilen und entscheiden.
Wir bei Eon sind davon überzeugt, dass die erneuerbare, dezentrale und elektrische Energiezukunft begonnen hat. Wir glauben auch, dass Elektromobilität daher eine entscheidende Rolle spielen wird. Deswegen werden wir hier entscheidend mitgestalten, als Partner von Kunden und der Automobilunternehmen. Wir haben uns mit Haut und Haar dieser Zukunft verschrieben. Dabei wissen wir, dass wir nur mit und für die Kunden erfolgreich sein werden. Unsere Geschäfte sind operativ stark, wie die Ergebnisse des ersten Halbjahres zeigen. Ein abschreckendes Beispiel etwa für die Automobilindustrie? Wohl kaum. Aber vielleicht ein Beispiel dafür, dass wir nicht in einer Zeit einfacher Lösungen leben.