„Großbritannien ist europäischer Vorreiter im Klimaschutz und hat seit 1990 seine Emissionen um 42 Prozent reduziert“, weist Rebecca Bertram von der Heinrich-Böll-Stiftung auf den wichtigen Beitrag des Landes hin. Deshalb sei der Brexit für die europäische Energie- und Klimapolitik ein Verlust. „Großbritannien hat auf europäischer Ebene oft eine Vorreiterrolle in der Klima- und Energiepolitik eingenommen und war in Sachen Klimaschutz oft ein wichtiger Verbündeter Deutschlands bei schwierigen EU-Verhandlungen.“
Nach dem Brexit werde die EU nicht mehr auf die Expertise und das diplomatische Geschick der britischen Klimaverhandler zurückgreifen können, sagt Rebecca Bertram. Das wertet auch Jonathan Gaventa von der Denkfabrik E3G als Verlust für die EU: „Für Großbritannien hatte der Klimaschutz Priorität. Es wird für die verbleibenden EU-Mitglieder eine Menge zusätzliche Arbeit bedeuten, das Klimaabkommen von Paris auf Kurs zu halten“, glaubt er.
Dass Großbritannien im Emissionshandel (ETS) der EU bleibt, ist eher unwahrscheinlich, sagt Martin Nesbit vom Institute for European Environmental Policy. Oberste Regulierungsinstanz für den ETS ist nämlich der Europäische Gerichtshof. Gerade ihm will das Vereinte Königreich aber auf keinen Fall mehr unterworfen sein. Dies war eine der Kernargumente für den Brexit.
Fall Großbritannien weiterhin am ETS teilzunehmen will, böte sich das Instrument der Linking Directive an. Die Richtlinie wurde schon 2004 verabschiedet, um Nationen außerhalb der EU mit dem ETS zu verknüpfen. Um dieses Instrument nutzen zu können, müsste Großbritannien aber erst einmal einen eigenen Emissionshandel aufsetzen, sagt Jonathan Gaventa. Das dürfte ein langwieriges Unterfangen werden, schätzt er. Auch Martin Nesbit hält es für sehr unwahrscheinlich, dass es Großbritannien innerhalb der knapp zwei Jahre bis zum Austritt gelingt, ein eigenes System zu schaffen.
Ungeklärt ist noch die Frage, was mit den von Großbritannien herausgegebenen Verschmutzungszertifikaten passiert, die inzwischen im Besitz von Unternehmen außerhalb des Vereinten Königreichs sind und was mit dem britischen Anteil an den überschüssigen Emissionsberechtigungen geschieht. „Hier sollte die EU-Kommission bald einen Vorschlag machen“, meint Nesbit. Sonst sieht er die Gefahr, dass die Preise der Zertifikate fallen. Dazu könnten auch die wirtschaftlichen Folgen eines Brexit mit einem Rückgang des Wirtschaftswachstums beitragen. Eine niedrigere Nachfrage nach Energie würde den Preis der Zertifikate dann weiter drücken.
Schon im April hatte Energieminister Greg Clark angekündigt, dass Großbritannien nach dem EU-Austritt im internen Energiemarkt bleiben will. Clark möchte die Zahl der Interkonnektoren – also der länderübergreifenden Energieleitungen – zum Festland und nach Irland sogar noch erhöhen, sagte er nach Angaben der britischen Zeitung „Guardian“. Es sei in niemandes Interesse, funktionierende Märkte zu zerschneiden.
Tatsächlich habe die britische Industrie „kein Interesse, die physischen Verbindungen zu kappen“, sagt Energieexerte Matthias Buck von Agora Energiewende. „Die Unternehmen sind am Zugang zu günstigem Strom vom Kontinent interessiert.“
„Bleibt Großbritannien Teil des EU-Energiemarkts, muss es sich Regeln unterwerfen, die es nicht mehr selbst mitbestimmen kann“, gibt Oliver Geden von der Stiftung für Wissenschaft und Politik zu bedenken. Die Binnenmarktrichtlinien für Gas und Strom beziehungsweise die Entscheidungen der Regulierungsbehörde Acer würden weiter gelten. Oder es würden im Rahmen der Brexit-Verhandlungen bilaterale Abkommen wie mit der Schweiz geschlossen. Offenbar versuche Clark mit der Äußerung Interessengruppen zu beruhigen und den Eindruck zu erwecken, der Brexit sei kein disruptives Ereignis, sagt Geden.