Ein Tempolimit auf Autobahnen, die Angleichung der Steuern für Diesel und Benzin und eine Quote für E-Autos: Das sind drei Vorschläge von insgesamt 19, die eine Arbeitsgruppe in der von der Bundesregierung eingesetzten „Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität“ (NPM) Ende vergangenen Jahres aufgelistet hat. Die Aufgabe der NPM ist es, Vorschläge zu machen, wie denn das Klimaschutzziel im Verkehrssektor erreicht werden kann. Dieses Ziel lautet: 42 Prozent weniger Treibhausgasemissionen im Jahr 2030 gegenüber dem Referenzjahr 1990. Im Jahr 2018 lag die Emissionsmenge übrigens zwei Prozent über 1990. Der Verkehr ist DAS Sorgenkind des Klimaschutzes.
In der verkehrswissenschaftlichen Diskussion gibt es seit vielen Jahren einen breiten Konsens, dass die Vorschläge der Kommission sinnvoll sind. Geschwindigkeitsbegrenzungen, Abbau der Dieselsubventionen und die anderen längst bekannten Vorschläge sind überfällig. Klar ist aber auch, dass das keinesfalls reicht. Ein paar E-Busse, einige Kilometer Fahrradwege oder einige batterieelektrische Taxis mehr sind gut, aber sie sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir brauchen eine Verkehrswende und einen wirklichen Paradigmenwechsel.
Radwege um parkende Autos herum
Der Schlüssel für eine nachhaltige Mobilität liegt in der Aufteilung und Bepreisung des öffentlichen Raumes. Jahrzehntelang dominierte der gesellschaftlich breit gehegte und politisch gepflegte Wunsch, dass dieser öffentliche Raum in erster Linie den privaten Autos gehört. „Freie Fahrt für freie Bürger“ bedeutet vor allen Dingen „freies Parken für alle“. Damit sind Alternativen praktisch nicht möglich, für sie fehlt einfach der Platz. Das Berliner „Mobilitätsgesetz“ dokumentiert dieses Dilemma auf nahezu grausame Weise: Neue Fahrradwege müssen kunstvoll um parkende Autos herumgeführt werden und schaffen unterm Strich mehr Gefahren als mehr Platz für Fahrräder.
Ohne eine Neuverteilung des öffentlichen Platzes wird es nicht gehen. Um die Klimaziele im Verkehr überhaupt annäherungsweise zu erreichen, sind weitere grundlegendere Maßnahmen notwendig: Der öffentliche Nahverkehr (ÖPNV) muss quantitativ und qualitativ auf eine ganz neue Stufe gestellt werden. So wie der ÖPNV heute funktioniert, stellt er selbst in Berlin für viele keine Alternative zum Auto dar. Es müssen mehr Busse und Bahnen verfügbar sein, die Taktung noch enger und die Vernetzung mit individuellen Fahrzeugen wie Autos und Rädern über attraktive digitale Angebote endlich möglich werden.
Zweifelsohne muss der Verkehr insgesamt auch besser fließen. Weniger Autos mit geringerer Durchschnittsgeschwindigkeit sind dabei eine erfolgversprechende Perspektive. Damit reduzieren sich die Schadstoffe und auch die Unfallzahlen gehen deutlich zurück. Um den städtischen Verkehr flüssiger und nachhaltiger zu gestalten, sind die Fahrzeuge aber viel besser auszunutzen. Sie stehen derzeit durchschnittlich mehr als 23 Stunden am Tag nur herum. Die Lösung liegt auf der Hand: Das Sharing ist einer privaten Verfügbarkeit vorzuziehen.
Die Privilegien privater Autos müssen zugunsten neuer digitaler Optionen abgebaut werden. Dazu gehören der Dienstwagen als Entgeltersatz, die Entfernungspauschale und vor allem das günstige oder sogar kostenlose Parken im öffentlichen Raum. Es kann nicht sein, dass fast überall im inneren Berliner S-Bahn-Ring jedes private Fahrzeug kostenlos oder zu einer symbolischen Gebühr für Bewohnerparken von 10,20 Euro pro Jahr parkt, während Sharing-Autos beispielsweise monatlich 85 Euro zu entrichten haben.
Wir stehen also erst ganz am Anfang. Aber es tut sich was. Für immer mehr Menschen ist das mobile Internet das Maß der Dinge. In Deutschland gibt es bereits mehr Smartphones als Autos. Mit der dauerhaften Nutzung der digitalen Geräte verschieben sich die Präferenzen. Nicht mehr der Besitz eines Transportmittels ist wichtig, sondern der unmittelbare Zugang. Es scheint fast schon paradox: Der Wunsch nach individueller Mobilität, der jahrzehntelang nahezu ausschließlich mit dem privaten Auto garantiert war, kehrt sich um.
Privatbesitz an Fahrzeugen wird mehr und mehr zu einem Hindernis für räumliche Mobilität. Natürlich erst in den Ballungsräumen, aber zunehmend auch auf dem Lande. Mittels digitaler Zugänge können immer mehr Menschen von Verkehrsmittel zu Verkehrsmittel wechseln. Bahnen, Bussen, Autos, Räder und neuerdings sogar Scooter und Tretroller werden zu einem gigantischen Fuhrpark. Die Chance ist da, dass es nicht nur flexibler und bequemer, sondern auch nachhaltiger wird.
Paris, London, Madrid und Oslo enteilen uns
Der Kreis schließt sich: Im Sharing-Modus kann die Zahl der Fahrzeuge in einer Stadt zumindest gedeckelt werden, weil die Nutzungsfrequenz pro Einheit deutlich steigt. Solange aber der Parkplatz vor der Tür (fast) kostenlos ist, bleibt der Anreiz groß, ein eigenes Auto als „Mobilitätsreserve“ zu „bevorraten“, und die Fläche für die neue Vielfalt fehlt damit.
Wir haben uns an die
Privilegierung der privaten Autos gewöhnt, weil wir es gut fanden und im
wahrsten Sinne auch vorankamen. Doch jetzt stehen wir im Stau und ersticken
geradezu im Blech. Berlin könnte den Wechsel von einer Besitz- zu einer
Zugangskultur im Verkehr vorantreiben. Kaum irgendwo anders sind die Bedingungen für eine klimaschonende Verkehrswende besser: eine kompakte Stadtstruktur, vergleichsweise gute Infrastrukturen und vor allen Dingen Menschen, die offen und in Veränderungen geübt sind. Doch die Berliner Politik bleibt zaghaft, zögerlich, kleinmütig. Paris, London, Madrid, Oslo oder auch Helsinki enteilen uns zusehends.