Obwohl in der Europäischen Union seit Anfang der 1970er Jahre immer strengere Abgasstandards gelten, hat sich die Luftqualität in den Städten nicht maßgeblich verbessert. Schuld daran – das wissen wir spätestens seit der Aufdeckung des Dieselskandals – sind in erster Linie die Automobilhersteller, die seit Jahren die gesetzlichen Grenzwerte mit Schummel-Software umgangen und damit willentlich die gesundheitlichen Konsequenzen für die Gesellschafft in Kauf genommen haben.
Während die zuständigen Behörden in den Vereinigten Staaten die Automobilhersteller zu Entschädigungs- und Strafzahlungen in Milliardenhöhe verdonnerten, bleiben die Geschädigten in Europa – in diesem Falle Millionen Europäer, die unter schlechter Luftqualität leiden und die 35 Millionen Besitzer von manipulierten Fahrzeugen, die massive Wertverluste in Kauf nehmen müssen – weiterhin ohne Entschädigung.
Verantwortlich dafür sind vor allem die nationalen Regierungen, die seit jeher erbittert die Souveränität der nationalen Zulassungsbehörden – im Falle Deutschlands das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) – verteidigen. Ihnen ging und geht es vor allem darum, die Interessen der heimischen Industrie besser bedienen zu können. Denn in einem gemeinsamen Binnenmarkt macht es wenig Sinn, dass sich 28 nationale Behörden um Marktzulassung und -überwachung kümmern.
So ist in Europa die absurde Situation entstanden, dass alleine das KBA zuständig für die Genehmigung der Rückrufaktionen für manipulierte Fahrzeuge von VW, Audi und Co. ist; und zwar nicht nur für jene die auf deutschen Straßen unterwegs sind, sondern für die Millionen von deutschen Automobilen, die in der gesamten EU verkauft wurden. Behörden aus anderen Mitgliedstaaten können laut aktueller Gesetzgebung für diese Fahrzeuge keine anderen Rückrufprogramme genehmigen und haben somit kaum Handlungsmöglichkeiten, um das Luftqualitätsproblem in den eigenen Städten anzugehen.
Die EU-Kommission von Jean-Claude Juncker schaut diesem schändlichen Treiben bisher tatenlos zu und versteckt sich hinter dem bürokratischen Kompetenzgeschacher. Eben weil es sich beim Dieselskandal um kein rein deutsches Problem handelt, muss sie sich von den selbst auferlegten Fesseln befreien und sich entschieden gegen die Klientelpolitik des KBA und der Bundesregierung wehren. Namentlich, indem sie die Scheinheiligkeit der auf dem Berliner Dieselgipfel vereinbarten Software-Updates klar benennt und einen Leitfaden für sogenannte Hardware-Nachrüstungen vorlegt.
Die Lösung des Problems ist nämlich eigentlich ganz einfach: Die Schuldigen, sprich die Automobilkonzerne, rüsten ihre manipulierten Autos mit der notwendigen Hardware (SCR-Abgasnachbehandlung) nach. Dadurch wird nicht nur die Luft in den Städten besser, sondern die Kunden werden auch vor schmerzlichen Wertverlusten ihrer Fahrzeuge geschützt.
Wenn dies nicht geschieht, dann bleiben als ultima ratio letztlich nur Fahrverbote, mit allen negativen Begleiterscheinungen, die diese mit sich bringen. So würde der massive Wertverlust der Fahrzeuge dazu führen, dass diese günstig nach Osteuropa verkauft werden, wo sie noch jahrelang auf den Straßen zirkulieren und die Luftqualität belasten werden.
Dabei zeigt der Luftqualitäts-Index der Europäischen Umweltagentur, dass Europa durch die Luft, die wir atmen, geteilt ist: Während schlechte Luftqualität fast überall in der EU ein Problem ist, ist Osteuropa überdurchschnittlich stark betroffen. Städte wie Sofia, Bukarest, Riga und Warschau gehören zu den traurigen Spitzenreitern in europäischen Luftbelastungs-Statistiken. Das Diesel-Problem dorthin zu exportieren, hätte in diesem Sinne fatale Konsequenzen. Wenn wir über die Zukunft Europas reden, dann können wir nicht die krassen Unterschiede zwischen West und Ost in Sachen Luftqualität ignorieren.
Wenn die Bürger schutzlos der „Automafia“ überlassen werden, brauchen wir uns über wachsende Politik- und Europaverdrossenheit nicht zu wundern. Beim Dieselskandal geht es nicht um weniger als die Glaubwürdigkeit der Politik in Europa. Deshalb braucht es jetzt politischen Willen, um die Hersteller zur Kasse zu bitten. In Berlin und in Brüssel.