Standpunkte Deutschland braucht die Verkehrswende

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) verlangt eine Mobilitätswende für das Klima und für die Menschen. Michael Müller-Görnert formuliert in seinem Standpunkt seine verkehrspolitischen Forderungen an eine neue Bundesregierung

von Michael Müller-Görnert

veröffentlicht am 24.07.2017

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Das Umweltbundesamt verkündete Ende März, dass die Treibhausgasemissionen im vergangenen Jahr wieder einmal zugelegt haben. Prompt machten Schlagzeilen wie „Deutschland erreicht sein Klimaziel 2020 nicht“ oder „Trotz Energiewende mehr Klimagase“ die Runde. Dies passte so gar nicht zum Image Deutschlands als Klimavorreiter. So war Deutschland ein maßgeblicher Akteur für den erfolgreichen Abschluss des Pariser Klimaabkommens. Und auch nach der Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, aus dem Klimavertrag auszusteigen, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel nochmals bekräftigt, an diesem Abkommen festzuhalten und noch ambitionierter vorzugehen. Daran muss sich die künftige Bundesregierung messen lassen. Um glaubwürdig zu bleiben, muss sie das Ruder herumreißen. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Verkehr. Dieser ist wesentlicher Treiber für den Emissionsanstieg. Während alle anderen Wirtschaftsbereiche ihre Emissionen zum Teil erheblich senken konnten, liegen sie beim Verkehr wieder über dem Ausgangsniveau – Tendenz weiter steigend. Somit ist und bleibt vor allem der Verkehr Sorgenkind beim Klimaschutz.


Deutschland braucht also Impulse für eine umfassende Verkehrswende – und zwar jetzt. Der im November 2016 verabschiedete Klimaschutzplan 2050 gibt mit dem Ziel eines klimaneutralen Verkehrs bis 2050 die richtige Richtung vor. Darüber hinaus setzt er für 2030 ein ambitioniertes Reduktionsziel: um mindestens 40 Prozent sollen die Verkehrsemissionen in den kommenden 13 Jahren sinken. Die neue Bundesregierung wird also klare Maßnahmen ergreifen müssen, um die gesteckten Ziele zu erreichen.


Luftverschmutzung schädigt die Gesundheit der Menschen


Das zweite Augenmerk gilt den Menschen und ihrer Lebensqualität. Luftverschmutzung, Lärm, immer weniger Raum zum Verweilen, all das beeinträchtigt die Lebensqualität und auch hier kann eine neue Mobilität entscheidend wirken. Ohne eine Änderung der Rahmenbedingungen zugunsten der umwelt- und klimaschonenden Verkehrsarten geht das nicht.


Der ökologische Verkehrsclub VCD hat deshalb „10-Kernforderungen“ für die Parteien zur Bundestagswahl aufgestellt. Sie alle zielen darauf ab, die Verkehrswende als unverzichtbare Voraussetzung für die Verbesserung der Lebensqualität aller Menschen ins Rollen zu bringen.


Effizienz steigern und emissionsfreie Antriebe forcieren


Die maximale Reduktion des Endenergiebedarfs ist der Kern einer erfolgreichen Klimaschutzstrategie. Neben verkehrsvermeidenden und -verlagernden Maßnahmen ist es elementar, die Effizienzsteigerungspotenziale der Antriebe aller motorisierten Verkehrsträger auszuschöpfen sowie den Wechsel hin zu emissionsfreien Antrieben zu forcieren. Wichtiger Treiber sind hierbei CO2-Grenzwerte. Die neue Bundesregierung muss sich auf EU-Ebene für eine ambitionierte Fortschreibung der bestehenden Regelungen für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge bereits ab 2025 einsetzen, da nur so eine nennenswerte Emissionsminderung bis 2030 erreicht werden kann. Angesichts der prognostizierten Zuwächse im Straßengüterverkehr, müssen entsprechende CO2-Vorgaben auch für schwere Nutzfahrzeuge spätestens ab 2020 eingeführt werden.


Umweltschädliche Subventionen abbauen


Laut Umweltbundesamt entfällt rund die Hälfte aller umweltschädlichen Subventionen in Deutschland auf den Verkehr. Dazu zählen insbesondere der vergünstigte Steuersatz auf Dieselkraftstoff, die Pendlerpauschale sowie die Energiesteuerbefreiung für Kerosin und die Mehrwertsteuerbefreiung für grenzüberschreitende Flüge. Diese Subventionen sind kontraproduktiv und müssen abgebaut werden. Für die neue Bundesregierung heißt das: Dieselprivileg beenden und Kraftstoffe einheitlich auf Basis des Energiegehalts oder den resultierenden CO2-Emissionen besteuern. Im Flugverkehr gibt es Möglichkeiten, die Erhebung der Mehrwertsteuer auf Flugtickets bei grenzüberschreitenden Flügen zu verankern und zwar über eine Steuerüberarbeitung auf EU-Ebene. Die Luftverkehrsteuer muss beibehalten und weiterentwickelt werden, da sie derzeit das einzige ökologische Lenkungsinstrument im Flugverkehr darstellt.


Darüber hinaus ist es für die Verkehrswende notwendig, Abgaben und Steuern generell am Verursacherprinzip zu orientieren. Dann spiegeln Preise auch die ökologische Wahrheit wieder, Marktverzerrungen werden abgebaut und umweltschonendere Alternativen gestärkt. Konkret heißt dies: emissions- und fahrleistungsabhängige Maut statt Flatrate auf Autobahnen sowie Umbau der Kfz- und Dienstwagensteuer auf Basis von CO2. Frei werdende und zusätzliche Mittel schaffen Spielräume und können für Investitionen in die ökologischen Alternativen zum Autoverkehr investiert werden.


Die Bahn als Zugpferd der Verkehrswende


Die heutigen Investitionen in das Schienennetz sind nicht ausreichend. Das zeigen immer mehr Engpässe gerade in den großen Bahnhöfen aber auch zahlreiche überalterte Eisenbahnbrücken. Diese Mängel im Schienennetz stehen einer Verkehrsverlagerung im Wege.


Doch es bedarf nicht nur mehr Investitionen, sondern Bundesregierung und Deutsche Bahn AG müssen effektiver investieren. Die Zeiten von kostspieligen, einzelnen Höchstgeschwindigkeitsstrecken sind vorbei. Der Deutschland-Takt muss zur Maßgabe für den Ausbau der Schienenwege werden. Denn auf seiner Basis werden Strecken nicht mehr für eine größtmögliche Geschwindigkeit ausgebaut, sondern für eine Geschwindigkeit, die notwendig ist, um gute Reise- und Umsteigemöglichkeiten ohne lange Wartezeiten und mit sicher erreichbaren Anschlüsse auch in den ländlichen Regionen zu erlangen.


Das beste Schienennetz nutzt jedoch wenig, wenn der Bahnverkehr weiter in einem ungerechten Wettbewerb mit der Straße steht. Stichwort Schienenmaut. Im Gegensatz zum Straßenverkehr wird auf der Schiene überall und im vollen Umfang Schienenmaut gezahlt. Hier braucht es eine Korrektur. Aus Sicht des VCD ist die generelle Halbierung der Trassenpreise unumgänglich, nicht nur – wie angekündigt – für den Schienengüterverkehr sondern auch für den Personenverkehr auf der Schiene. Der Schienenpersonennahverkehr könnte dadurch sein Angebot kontinuierlich ausbauen. Die Ticketpreise im Fernverkehr würden nicht weiter nach oben getrieben und im Güterverkehr steigt die Wettbewerbsfähigkeit der Bahnen erheblich gegenüber dem Lkw.


Die Gesundheit der Menschen in den Mittelpunkt


Immer mehr Kommunen wollen die Gesundheit und Lebensqualität ihrer Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt der Verkehrspolitik stellen, denn sie spüren wie überfällig die Verkehrswende hier ist. Der Gesetzgeber muss sie hierbei endlich unterstützen. Aktuell drängt die Einführung der blauen Plakette. Mit ihr können emissionsarme Fahrzeuge gekennzeichnet werden und Kommunen könnten dann gezielt Fahrzeuge mit hohem Schadstoffausstoß die Zufahrt untersagen. Zur Verkehrswende gehört es, die Alternativen zum Auto zu stärken. Nur wenn das ÖPNV-Angebot attraktiv ist, Radfahrer sicher unterwegs sein können und ausreichend Abstellmöglichkeiten vorfinden, kann der Umstieg gelingen. Allerdings betont die Straßenverkehrsordnung immer noch den Vorrang für die „Flüssigkeit des Verkehr“ und meint damit den Autoverkehr. Maßnahmen zum Schutz und zur Bevorrechtigung von Fußgängern und Radfahrern bedürfen hingegen stets einer örtlichen Einzelfallprüfung. So ist ein stadtweites Programm, das einer umweltfreundlichen Mobilität den Vorrang gibt, kaum möglich. Eine Überarbeitung des Straßenverkehrsrechts ist überfällig.


Die nächste Bundesregierung muss sich also klar zu einer Verkehrswende bekennen. Sie muss den Städten den rechtlichen Rahmen zum selbstbewussten handeln geben, den verzerrten Wettbewerb zwischen Schiene und Straße zurechtrücken und umgehend einen Pfad hin zu einem CO2-neutralen Verkehr auch auf der Straße einschlagen.


Michael Müller-Görnert, Verkehrsreferent Verkehrsclub Deutschland VCD

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