Zeiterfassungs-App, Gesichtserkennung und Tastatur-Tracking werden in Zukunft jeden Arbeitsschritt eines Arbeitnehmers dokumentieren. Der Arbeitgeber bekommt auf seinem Smartphone direkt eine Warnmeldung, wenn Arbeitszeiten überschritten oder Pausenzeiten unterschritten werden. Und wenn die technischen Möglichkeiten schon da sind, dann lässt sich gleichzeitig sehr gut die Arbeitsleistung messen. Bekanntlich stehen Input und Output nicht bei jedem Beschäftigten im gleichen Verhältnis. Bei jedem Chef übrigens auch nicht, aber darum ging es der Gewerkschaft nicht, die gegen die Deutsche Bank vor dem europäischen Gerichtshof gezogen ist.
„Wir haben 100 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gefragt, ob sie von ihrem Arbeitgeber kontrolliert werden möchten“, sagt der Moderator Werner Schulze-Erdel vor meinem geistigen Auge und stellt damit die Masterfrage, die der Krankenpfleger wahrscheinlich anders beantworten würde als die Softwareentwicklerin. Letztere steht dabei für eine Generation von talentierten und gefragten Fachkräften, die mit ihren Arbeitgebern mindestens auf Augenhöhe agieren und dabei so gefragt sind, dass sie große Freiheiten genießen.
Hinzu kommt eine steigende Zahl von Menschen, die gar keinen eigenen Schreibtisch mehr haben. Gerade erst hat der kalifornische Bezahldienst Stripe sein neues Entwicklungszentrum mit mehr als 100 Software-Entwicklern angekündigt. Das Novum: Diese Einrichtung steht nicht wie die existierenden Büros in San Francisco oder Dublin – es ist rein virtuell. Wir alle gemeinsam profitieren davon, dass das Smartphone uns von unseren Schreibtischen entfesselt hat.
Arbeitgeber haben keine Wahl als zu vertrauen
Flexibel von diversen Orten aus zu arbeiten ist eine Freiheit, von der
immer mehr Arbeitnehmer profitieren, sofern ihre Berufe es hergeben. Auf den
ersten Blick istVertrauen die Basis für diese Freiheit. Vertrauensarbeitszeit
ist das präferierte Modell. Verkürzt steht es für ein Zugeständnis der
Arbeitgeber, dass die vertragliche vereinbarte Leistung auch erbracht wird.
Aber seien wir ehrlich: Arbeitgeber haben keine andere Wahl mehr, als zu
vertrauen, wenn sie hochqualifizierte Talente gewinnen und binden wollen.
Und deshalb ist die eigentliche Basis für flexible Arbeitsmodelle
nicht Vertrauen, sondern Verantwortung. Und diese kann der Arbeitgeber nicht
mehr umfassend tragen, weil er schlicht nicht mehr kontrollieren kann, wo, wie
und wann ein einzelner Mitarbeiter arbeitet. Aus der Pflicht der Arbeitgeber
wird zunehmend Eigenverantwortung der Arbeitnehmer, die der Europäische
Gerichtshof dem Einzelnen nun wieder wegzunehmen droht.
Jetzt ist es an der Bundesregierung zu zeigen, dass sie mit den Lebensrealitäten der Bürger vertraut ist. Statt der Pflicht für die Arbeitgeber, Arbeitszeiten dokumentieren zu müssen, schafft eine echte New-Work-Politik das Recht für jeden einzelnen Arbeitnehmer, seine Arbeit dokumentieren zu dürfen. Auf das Recht auf Teilzeit folgt das Recht auf Zeiterfassung. Der Arbeitgeber muss eine Lösung bereitstellen, welche die Zeiterfassung jedem Angestellten ermöglicht. Es wäre der Weg, jedem Arbeitnehmer so viel Freiheit zuzugestehen, wie er oder sie sich selbst zutraut.
Florian Nöll ist Vorsitzender des Bundesverbands Deutsche
Startups, den er 2012 gründete.