Am Montag vergangener Woche hat die World Meteorological Organisation (WMO) aktuellste Zahlen veröffentlicht, wonach die mittlere Konzentration von CO2 in der Atmosphäre 2016 wie in all den Jahren zuvor einen neuen Rekordwert – nämlich nun mehr als 403 parts per million (ppm) – erreicht hat und sie konstatiert: „Je länger wir auf die Umsetzung des Pariser Abkommens warten, desto größer müssen das Engagement und desto drastischer (und teurer) müssen die künftigen Emissionsreduktionen sein, um den Klimawandel in kritischen Grenzen zu halten.“ Auch wenn die vielen aktuellen tagespolitische Themen dies mitunter in den Hintergrund treten lassen: es hat sich nichts geändert an der Dringlichkeit und Relevanz des Klimaschutzes und der Energiewende als wichtigster Maßnahme zu dessen Umsetzung – die Bedeutung scheint eher noch zuzunehmen. Alle im Bundestag vertretenen Parteien mit Ausnahme der AfD stehen zum Klimaschutzabkommen von Paris und seinen Zielen – eine wichtige und gute Ausgangsbasis für die Verhandlungen der Jamaica-Koalitionäre.
Dennoch haben sich in den vergangenen Monaten und Jahren zunehmend auch Zweifel und Skepsis hinsichtlich der Energiewende einschließlich ihrer Umsetzbarkeit und der damit verbundenen Kosten eingeschlichen, zumal die Minderungsziele für 2020 zunehmend weniger erreichbar scheinen. Vor diesem Hintergrund scheint uns ein ehrlicher Blick auf das Erreichte und das vor uns liegende ebenso wichtig wie eine Benennung der Notwendigkeiten und Chancen.
Bei aller Unsicherheit, die der Analyse möglicher zukünftiger Entwicklungen naturgemäß zu Grunde liegt, lassen sich heute doch einige robuste Aussagen treffen, wenn es darum geht, die Entwicklung unserer Energieversorgung unter Maßgabe der Einhaltung der Klimaschutzziele bei gleichzeitig hoher Versorgungssicherheit und zu möglichst geringen Gesamtkosten zu skizzieren. So weisen nahezu alle Studien und Szenarien, die das Energiesystem und seine Entwicklung umfassend betrachten aus, dass die Bedeutung von Strom steigen wird. Tatsächlich ist schwer vorstellbar, wie bei der Wärmeversorgung, die heute zu überwiegenden Anteilen auf den fossilen Energieträgern Erdgas und Heizöl basiert und beim Verkehr, der heute dominant auf der Nutzung fossiler Kraftstoffe beruht, zukünftig eine signifikante Absenkung der Treibhausgasemissionen erfolgen soll, ohne wesentlich stärker strombasiert zu erfolgen.
Die Sektorenkopplung wird somit eines der Kernmerkmale der zukünftigen Entwicklung sein. Dies wird – auch hier gibt es wenig Zweifel – dazu führen, dass unser Strombedarf steigen wird. Die Höhe dieses Anstiegs hängt einerseits davon ab, wie sich der Verbrauch entwickeln wird – hier spielen Maßnahmen der effizienten Nutzung eine zentrale Rolle, wie z.B. die Sanierung des Gebäudebestands – und andererseits davon, inwieweit erneuerbare Energieträger wie Solarthermie oder auch tiefe Geothermie zur Deckung des Wärmebedarfs und Biomasse in unterschiedlichen Anwendungen beitragen können. Es steht jedoch außer Frage, dass Windenergie- und Photovoltaikanlagen zu den tragenden Säulen der Stromerzeugung werden, um die steigende Strommenge klimaschonend herzustellen. Dies erfordert Ausbauraten von jeweils mindestens vier Gigawatt pro Jahr, bei geringen Beiträgen anderer erneuerbarer Energien und geringen Erfolgen im Bereich der Verbrauchsreduktion auch deutlich darüber.
Und auch dies ist eine übereinstimmende Erkenntnis vieler Studien, die eine Kostenbetrachtung durchführen: die Energiewende ist nicht zum Nulltarif zu haben. Vielmehr werden die systemischen Mehrkosten verglichen mit einem „Weiter so“ – mit dem allerdings Klimaschutzziele weit verfehlt würden – im Mittel der nächsten Jahrzehnte bis 2050 im Bereich von rund ein bis zwei Prozent des heutigen Bruttoinlandsprodukts liegen. Umso mehr halten wir es für wichtig, dass die Energiewende als das benannt und verfolgt wird, was sie ist: ein mehrere Generationen übergreifendes gesellschaftliches Großprojekt. Dieses Großprojekt, das von seinem Umfang vielleicht mit der deutschen Wiedervereinigung vergleichbar ist, folgt dem gemeinsamen Ziel, den menschengemachten Klimawandel wirksam zu begrenzen, um unvorhersehbare Veränderungen im Klimasystem mit möglicherweise sehr schweren ökologischen und wirtschaftlichen Schäden zu vermeiden.
So betrachtet scheint es naheliegend, dass es eines breiten, übergreifend wirkenden Politikinstruments bedarf, das dem Anspruch und der Dimension des Großprojekts Energiewende gerecht wird. Und auch hier verdichten sich die Einschätzungen vieler Experten und Expertisen: ein wirksames, alle Sektoren übergreifendes Preissignal für CO2-Emissionen (bzw. Treibhausgasemissionen) scheint ein notwendiges und zugleich adäquates Instrument zu sein, um technologieoffen und marktkonform eine Steuerungswirkung im Sinne des oben genannten Ziels zu entfalten. Dafür könnten heute nicht CO2-abhängige Instrumente wie die Stromsteuer entfallen beziehungsweise umgebaut werden. Berechnungen zeigen, dass vor dem Hintergrund heutiger Grenzkosten der Stromerzeugung eine CO2-Belastung in Höhe von 30 Euro pro Tonne bereits eine deutliche Lenkungswirkung von Braunkohlekraftwerken hin zu Gaskraftwerken entfalten würde.
Letztere können zugleich wesentlich flexibler betrieben werden und damit besser die fluktuierende Erzeugung von Strom aus Wind und Sonne ergänzen. Mittel- und langfristig wird der Betrag von 30 Euro pro Tonne zwar nicht ausreichen. Da aber die absolute Menge der Gesamtemissionen fortwährend sinken wird, muss die Gesamtbelastung für die Volkswirtschaft nicht steigen. Das Instrument des wirksamen CO2-Preissignals alleine wird zwar nicht ausreichen, um den Marktrahmen im Sinne einer erfolgreichen Energiewende zu entwickeln. Es wäre aber ein Schlüsselinstrument, dessen Einführung zugleich eine verlässliche Basis für zukünftige Investitionen bietet.
Ebenso wichtig wie es ist, offen über Kosten zu sprechen, ist es auch Chancen zu benennen. Wenn – wie weiter oben – von systemischen Mehrkosten gesprochen wird, so enthalten diese zu wesentlichen Anteilen Investitionen in den Umbau unseres Energieversorgungssystems. Die volkswirtschaftlichen Effekte dieses Umbaus sind darin allerdings nicht enthalten. Mittelfristig sinken bei erfolgreicher Energiewende die Geldmengen, die für den Import von Energierohstoffen ausgegeben werden – heute geschätzt rund 80 Milliarden Euro jährlich – zugunsten von Investitionen in Anlagen und Aufwendungen für deren Betrieb. Und diese bedingen Wertschöpfung, die zumindest anteilig vor Ort stattfindet.
Vor diesem Hintergrund sollten wir eine größere, gesamtwirtschaftliche Betrachtung der Energiewende einschließlich einer umfassenden Analyse von Wertschöpfungsketten und Arbeitsplatzeffekten vornehmen. Noch wichtiger erscheint allerdings ein weiterer Aspekt: für ein Hochtechnologie- und Exportland wie Deutschland sind die Chancen immens, die sich aus einer führenden Rolle in der Entwicklung von Energietechnologien mit zukünftig global herausragender Bedeutung ergeben. Die Photovoltaik wird vielfach als Negativbeispiel genannt; dabei sollten wir aber nicht übersehen, dass sowohl im Bereich der Materialherstellung als auch des Anlagenbaus für Produktionslinien deutsche Firmen nach wie vor eine global führende Rolle spielen. Und warum sollte nicht bei einer der zukünftigen Technologiegenerationen auch wieder Herstellung in Deutschland oder Europa möglich sein, zumal die Personalanteile eine nachrangige Rolle bei den Herstellkosten spielen? Neben den primären Wandlungstechnologien zur Nutzung erneuerbarer Energien werden sich darüber hinaus in ganz vielen Technologiebereichen Chancen für Innovationen, neue Geschäftsmodelle und Firmenneugründungen eröffnen.
Hierzu gehören Speichertechniken und Effizienztechnologien genauso wie die große Vielfalt der Techniken zur Herstellung und Verwendung von Wasserstoff, um nur einige Beispiele zu benennen. Und – last but not least – werden die Digitalisierung und Daten-basierte Vernetzung mit all ihren Möglichkeiten und Chancen das Gesicht der Energiebranche umfassend verändern. Eine entschlossene, erfolgreiche weitere Umsetzung der Energiewende bietet den besten Nährboden, um hier auch zukünftig ganz vorne dabei zu sein und diese wichtigen Zukunftsmärkte für deutsche Unternehmen erfolgreich zu erschließen.