Standpunkte Die CO2-Falle

Foto: Deneff

Erneuerbare Energien und Energieeffizienz sind aus Sicht von Christian Noll energiepolitische Zwillinge. Er wünscht sich Klimaschutz nicht um jeden Preis sondern möglichst effizient, schreibt er in seinem Standpunkt.

von Christian Noll

veröffentlicht am 14.09.2017

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Klimaschutz ist ein wichtiges, aber nicht das einzige Ziel der Energiepolitik. Wer das vergisst, leistet Energiewende und Energieverbrauchern einen Bärendienst. Ambitionierte Klimaziele sind im Energiesektor nur zur erreichen, wenn der Ausbau erneuerbarer Energien und Energieeffizienz gemeinsam vorangetrieben und am Systemoptimum ausgerichtet werden. Mit CO2-Zielen, -Vorgaben oder -Preisen allein wird das nicht gelingen. Denn geht die Energienachfrage durch die Decke und die Dekarbonisierung wird extrem teuer und schwierig.


Warum nicht die Energiepolitik einfach und ausschließlich am Ziel der CO2-Einsparung ausrichten? Darum geht es doch schließlich allen? Angesichts der Hurrikane in den USA zeigt sich, wie extrem wichtig entschiedenes Handeln ist. Doch eine ausschließliche Fokussierung der Energiepolitik auf CO2 kann zum Bumerang werden. Sie bringt das Zieldreieck aus Bezahlbarkeit, Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit ins Wanken. Der Ausbau erneuerbarer Energien und Energieeffizienz müssen darum gleichberechtigte Ziele einer am Kostenoptimum orientierten Energiewende werden.


Einfach zum klimaneutralen Gebäude?


Ein klimaneutrales Gebäude ist idealerweise eines, das möglichst wenig Energie benötigt und seinen Restbedarf weitgehend direkt mit vor Ort erzeugten erneuerbaren Energien versorgt. Klimaneutral könnte aber theoretisch auch ein schlecht gedämmtes Gebäude sein, das mit teurem Ökostrom aus dem Netz beheizt wird – im schlimmsten Fall mittels einer alten Nachtspeicherheizung. Leider ist tatsächlich die Forderung in gewissen Kreisen sehr populär, die derzeitigen Anforderungen der Energieeinsparverordnung (EnEV) an Primärenergiebedarf und Wärmeschutz „einfach“ durch eine alleinige CO2-Anforderung zu ersetzen. Was für Vermieter günstig erscheint, würde für Mieter und selbstnutzende Eigentümer zur brutalen Kostenfalle.


Die Dekarbonisierung im Stromsektor klappt nur, wenn alle mitmachen und den Energiebedarf durch Energieeffizienz soweit senken, dass eine Sektorenkopplung mit ausschließlich grünem Strom überhaupt denkbar wird. Es ist bereits kaum denkbar, so viele erneuerbare Energien zubauen, wie nötig wären, um unseren aktuellen Energieverbrauch damit zu decken. Setzt man einzig auf den Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion, müssten allein für den Gebäudesektor zusätzlich zum bisher prognostizierten Ausbaupfad mindestens 60.000 weitere Windräder und jede Menge Stromspeicher errichtet werden. Die EEG-Umlage und die Kosten für Netzausbau und -stabilisierung würden explodieren. Gerade im Winter käme es zu ungeahnten Lastspitzen. Auch wäre die Akzeptanz der Energiewende massiv gefährdet. Am Ende könnte das bedeuten, dass Kohlekraftwerke länger laufen müssten. Denn schließlich würden die Emissionen durch eine alleinige CO2-Anforderung einfach vom Gebäudesektor in die Energiewirtschaft abgeschoben. Mieter-, Verbraucher- Umwelt- und Unternehmensverbände, denen die Energiewende ein echtes Anliegen ist, warnten bereits vor einem solchen Greenwashing auf Kosten der Verbraucher und appellierten an die Politik, an den bestehenden Energieeffizienzanforderungen festzuhalten, statt gefährlichen Scheinlösungen zu erliegen.


CO2-Einsparung fördern ohne Effizienz zu fordern?


Auch in der Förderstrategie des BMWi heißt es: „Es geht darum, CO2-Einsparungen zu besonders geringen Förderkosten zu realisieren“ – hier zum Thema Energieeffizienz in Industrie und Gewerbe. Auch das erscheint zunächst logisch, denn schließlich soll die Förderung der Nutzung erneuerbarer Energien in Unternehmen (aus dem bisherigen Marktanreizprogramm) mit den Energieeffizienzprogrammen für diese Zielgruppe verzahnt werden und bei beidem geht ja um Klimaschutz. Mit steigendem Anteil der erneuerbaren Energieversorgung sinkt aber die mögliche Einsparung von CO2 durch Energieeffizienzmaßnahmen. Die Förderhöhe für Energieeffizienzmaßnamen würde sukzessive sinken und unattraktiver werden. Geschenkt, wenn sich ein Unternehmen komplett autark mit Sonnenenergie versorgt. Aber solche Inseln gibt es in der Praxis nicht.


Gerade im Winter ist das Netz gefragt. Lastspitzen zahlten dann die Masse der Energieverbraucher. Unterm Strich liefen also ineffiziente Pumpen und Motoren, Kühlaggregate und andere industrielle Stromverbraucher nur scheinbar klimafreundlich weiter. Und sämtliche positive Projektionen für die Energiewende zerplatzten wie Seifenblasen. Darum brauchen wir so dringend die Stromeffizienz. Das BMWi wird also nicht umhinkommen, seine eigene Losung von „Efficiency First“ als Grundpfeiler bei der Umsetzung der Förderstrategie zu verankern.


Bringt es eine CO2-Bepreisung?


Anderes Thema: „Eine CO2-Bepreisung muss her!“ Die Wahlprogramme von SPD, Linken, Grünen und sogar der FDP (hier als Ausweitung des Emissionshandels, ohne dass er teurer wird) und zahlreiche Einwürfe von Verbänden wünschen sich dies. So könnte sich das Gefüge bei der Energieversorgung zugunsten klimafreundlicher Stromerzeugung und Brennstoffe drehen. Auch könnten sich die Amortisationszeiten von Klimaschutzmaßnahmen verbessern.


Doch leider funktioniert der Markt nicht ideal: Energieverbraucher reagieren nur sehr träge auf zumeist schleichende Energiepreisanstiege. Die Preiselastizität ist niedrig. Das zeigt sich bereits an der geringen Bereitschaft, den Stromanbieter zu wechseln oder daran, wie beliebt verbrauchsintensive Geländewagen sind. Zudem haben Mieter nur begrenzten Einfluss auf die Effizienz der von ihnen genutzten Gebäude, Vermieter aber nur begrenzten ökonomischen Nutzen von einer energetischen Modernisierung.


Auch in produzierenden Unternehmen werden oft Effizienzmaßnahmen liegengelassen, die bei aktuellen Energiepreisen bereits lohnenswert wären. Im Durchschnitt beträgt der Energiekostenanteil an der Bruttowertschöpfung hier drei Prozent – umso höher sind aber die Erwartungen an Amortisationszeiten von oft unter einem Jahr. Priorität vor Effizienzmaßnahmen haben außerdem immer Investitionen in die Kernbereiche des Unternehmens.


In energieintensiven Unternehmen hingegen kommt der mögliche Verlust von Vergünstigungen bei Verbrauchssteuern und Energieabgaben zum Tragen. Sinkt der Verbrauch oder  beziehungsweise die Energiekostenintensität unter eine bestimmte Schwelle, verlieren sie diese Privilegien. Das wiegt schwerer, als mögliche Verbrauchskosteneinsparungen und gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens oder sogar seine Existenz.


Aus diesem Grund braucht es dezidierte Energieeffizienzpolitiken, die solche Markthemmnisse korrigieren, bevor Preise (im begrenzten Rahmen der Preiselastizität der Nachfrage) überhaupt wirken können.


Klimaschutz ist gut – effizienter Klimaschutz ist besser


Gut, dass alle über den Klimaschutz reden. Keine Frage. Aber damit die Systemkosten im Griff behalten werden, muss für jede erneuerbar erzeugte Kilowattstunde auch mindestens eine eingespart werden. So lange es volkswirtschaftlich günstiger ist, Energie einzusparen, sollte dies Vorrang vor dem Ausbau von Kraftwerken und Netzen haben. „Efficiency First“ ist in diesem Sinne kein Selbstzweck oder gar Totschlagargument gegen die Erneuerbaren – sondern eine notwendige Bedingung, um das Energiesystem wirtschaftlich vernünftig, sicher und klimafreundlich umzubauen.


Die Sektorenkopplung, also der Einsatz von Strom im Verkehrs- und Gebäudesektor, schafft nämlich erstmal eines: neue Stromverbräuche. Damit diese nicht durch die Decke gehen, sind maximale Effizienzanstrengungen unumgänglich. Entsprechend lautet der energiepolitische Dreiklang, wie im BMWi-Papier Strommarkt 2030 skizziert: 1. Energieverschwendung stoppen, 2. direkte Nutzung von vor Ort erzeugter Energie und dann 3. erst die Nutzung von erneuerbarem Strom aus dem Netz (Sektorenkopplung). Eine allein auf die Einsparung von Kohlendioxid ausgerichtete Politik kann hierfür keinen Rahmen schaffen. Schön wär’s – führt aber leider in die Irre.


Christian Noll ist Geschäftsführender Vorstand des Unternehmensnetzwerks für Energieeffizienz Deneff.

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