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Standpunkte Die nächste Atomrenaissance wird in Karlsruhe vorbereitet

Standpunkt von Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group und bis 2013 grüner Bundestagsabgeordneter
Standpunkt von Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group und bis 2013 grüner Bundestagsabgeordneter

Steht alles bereit für einen Wiedereinstieg in die Kernkraft in Deutschland? Aus Sicht von Hans-Josef Fell, dem grünen EEG-Mitautor und Präsidenten der Energy Watch Group, deutet darauf vieles hin. Der Ausbau der erneuerbaren Energien werde gedrosselt, die Atomforschung für neue AKW vorangetrieben und der Euratom-Vertrag bleibe bestehen.

von Hans-Josef Fell

veröffentlicht am 23.10.2017

aktualisiert am 14.11.2018

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Der Atomausstieg ist besiegelt. Alle wollen ihn und er ist sogar per Gesetz mit großer Mehrheit im Bundestag beschlossen. Das Thema ist durch. Eine erneute Laufzeitverlängerung der AKWs oder gar Neubau von Atomkraftwerken wird es in Deutschland nicht mehr geben. So die allseits geäußerte Meinung in der öffentlichen Debatte.


Doch wer genauer hinschaut, wird merkwürdige Entdeckungen machen, die sich nicht mit einer klaren Atomausstiegspolitik vereinbaren lassen – und wie schnell ein Atomausstiegsgesetz abgeschafft wird, haben wir 2010 ja schon mal in Deutschland erlebt. Zunächst sei daran erinnert, dass sehr viele Abgeordnete von Union und FDP dem Merkel’schen Atomausstieg 2011 nur mit geballter Faust in der Tasche zugestimmt haben. Daher wäre es nicht verwunderlich, wenn einige zusammen mit der Atomlobby hinter den Kulissen nach Wegen suchen, dies wieder rückgängig zu machen.


Vor allem drei Strategien sind erforderlich, um eine Chance auf eine erneute Atomrenaissance zu erhalten.


  1. Es dürfen nicht Fakten geschaffen werden, wonach erneuerbare Energien die Menge des Atomstromes ersetzen und schon gar nicht 100 Prozent der Stromversorgung liefern.
  2. Es muss an neuen Generationen von Atomreaktoren gearbeitet werden, um im richtigen Moment behaupten zu können, nun gäbe es neue, inhärent sichere Atomkraftwerke, die keine Gefahr mehr darstellten.
  3. Das Fundament der gesetzlichen und ökonomischen Unterstützung zum Ausbau einer mächtigen europäischen Atomwirtschaft – Euratom, die Europäische Atomgemeinschaft – muss erhalten bleiben.


Kaum jemandem fällt es auf, aber alle drei Strategien werden in Deutschland mit klarer Unterstützung der beiden letzten Bundesregierungen unter CDU/CSU/FDP und CDU/CSU/SPD seit 2010 in aller Konsequenz umgesetzt. Der Ausbau des Ökostroms wurde bereits erfolgreich gedrosselt.


Mit der Laufzeitverlängerung 2010 wurden Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien festgelegt, die den jährlichen Zubau weit unter die damalige Ausbaudynamik drosseln sollen. Ansonsten würden die schwachen Ökostromziele der Bundesregierung ja weit übererfüllt. Der Ausbau der erneuerbaren Energien musste also unter ein Maß gedrosselt werden, so dass die erneuerbare Energien nicht die gesamte Menge Atomstrom ersetzen können. Dies wurde auch konsequent in das Energiekonzept der Bundesregierung zur Laufzeitverlängerung geschrieben. Merkwürdigerweise wurden die Ökostromziele dann mit dem Atomausstieg 2011 nicht nach oben korrigiert. Konsequenterweise haben die Bundesregierungen seitdem klar am Ziel der jährlichen Ausbaudrosselung festgehalten und mit vielen für die Branche der erneuerbare Energien verheerenden Gesetzesnovellen dies konsequent vollzogen. Das entscheidende Instrument dafür ist der Wechsel zu Ausschreibungen, die der starken Dynamik der Bürgerenergien das Genick brechen.


Seit 2013 gibt es keinen nennenswerten Zubau mehr bei Wasserkraft und Geothermie, ebenso bei der Verstromung biogener Festbrennstoffe. Die Stromerzeugung aus biogenen Flüssigbrennstoffen wurde seit 2010 sogar fast halbiert, obwohl diese KWK-Anlagen hochflexibel gesteuert werden könnten. Der Biogasausbau liegt seit 2014 deutlich selbst unter den schwachen Zielen der Bundesregierung, genauso wie die Photovoltaik seit 2013. Dennoch gibt es keine Bemühungen, den Ausbau wenigstens auf die unzulänglichen Jahresziele der Bundesregierung anzuheben. Und nun wird auch der Windkraftausbau staatlich verordnet halbiert. Es zeigt sich heute schon, dass bei weitem nicht einmal das viel zu niedrige Ziel von 2,8 GW erreicht werden wird. Schätzt man die mit diesem Ausbau der erneuerbaren Energien neu hinzukommende jährliche Ökostromerzeugung grob ab, so werden 2022 etwa 40 TWh jährliche Ökostromerzeugung neu ins Netz fließen.Es müssen aber mit dem Atomausstieg noch über 80 TWh ersetzt werden.


Das erste Ziel haben die Atomfreunde also schon erreicht. Bald werden angesichts der Nichterfüllung der deutschen Klimaschutzziele die Stimmen lauter werden, dass man „leider“ mit erneuerbaren Energien den Atomstrom unter Beachtung des Klimaschutzes nicht ersetzen könne. Also müsse man doch wieder auf CO2-freie Stromerzeugung mit Kernenergie zurückgreifen. Unternehmen und Bürger haben im letzten Jahrzehnt bewiesen, dass der jährliche Ausbau der Erneuerbare Energien wesentlich schneller sein kann. Der Grund, ihn mit harten Gesetzesbandagen zu drosseln, könnte also auch in nicht ausgesprochener Politik für eine neue Atomrenaissance in Deutschland liegen.


Entwicklung neuer Generationen von Atomkraftwerken


Es ist nicht zu glauben! Deutschland steigt per Gesetz aus der Atomkraft aus, aber am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wird in großem Stil an der Forschung für die Entwicklung neuer Generationen von Atomkraftwerken gearbeitet. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, aber gefördert mit Mitteln aus dem Bundesforschungsministerium und Euratom, wird dort die europäische Forschung für neue Atomkraftwerke vorangetrieben.


Um Licht in das Dunkel zu bringen, hat sich erst kürzlich ein Karlsruher Bündnis gegen neue Generationen von Atomreaktoren gegründet.


Seit April 2017 ist das Joint Research Centre (JRC) Standort Karlsruhe (ehemals Institut für Transurane = ITU) auf dem Gebiet des KIT Nord ein geistiges und materielles Zentrum der europäischen Atomforschung, weil wichtige europäischen Atominstitute nach Karlsruhe verlegt wurden. Zurzeit wird dort sogar ein neues Forschungs- und Lagergebäude, unter anderem auch für hochradioaktive Stoffe, gebaut.


KIT und JRC Standort Karlsruhe sind über das Euratom-Projekt SAMOFAR an Thorium-Flüssigsalzreaktoren beteiligt, die eine integrierte Wiederaufarbeitung von waffenfähigem Uran 233 ermöglichen können. Diese Gefahren unbekannten Ausmaßes, die davon und von Kleinen Modularen Reaktoren (SMR) ausgehen, will das neue Bündnis untersuchen.


Alles läuft am KIT unter dem politischen Deckmantel von Sicherheitsforschung und Entsorgungsforschung, die für den Bestand von AKW und deren Abschaltung natürlich erforderlich sind. Dabei ist aber auch klar, dass Sicherheitsforschung für die neuen Generationen von AKW genau diese erst ermöglichen werden. Denn ohne Sicherheitskonzepte wird es keine genehmigungsfähigen neuen Generationen von AKW geben. Deshalb ist die Forschung am KIT geradezu das Fundament für neue Generationen von AKW, sie ermöglicht und befördert den Bau neuer Atomkraftwerke- auch im Ausland.


Die Atomforschungsförderung ist im Detail ein Buch mit sieben Siegeln und die Bundesregierung sowie EU Kommission lassen sich kaum in die Karten schauen.


So wird das Euratom-Budget nicht demokratisch kontrolliert, da es eben nicht vom EU Parlament verabschiedet wird. Wie die genauen Forschungsmittel aus dem Bundeshaushalt fließen, kann nirgendswo richtig nachvollzogen werden. Da gibt es Grundförderung an die Helmholtz-Gemeinschaft, der das KIT angehört, die die meiste Atomforschung in Deutschland betreibt. Es ist in der Öffentlichkeit fast unbekannt wie die Gelder innerhalb der Helmholtz-Gemeinschaft genau verwendet werden. Dann gibt es Projektmittel für Atomforschungsprogramme aus Landes-, Bundes- und EURATOM-Mitteln. Genaue Aufschlüsselungen sind in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.


Euratom wird von der deutschen Regierung nicht in Frage gestellt


Heftige Schlagzeilen machte in diesem Jahr die Debatte um unsichere belgische Atomkraftwerke, die wie jene unter anderem in Frankreich, Schweiz, Tschechien, Slowakei sehr marode sind und im Ernstfall auch Deutschland bedrohen. Zwar fuhr die deutsche Umweltministerin nach Belgien, um darüber zu reden. Doch eine Abschaltung, was als einzige Lösung Sicherheit bringen würde, steht weiterhin nicht im Raum. Der Weiterbetrieb wird von Euratom gesetzlich geschützt. Nur ein Abschaffen von Euratom, mit Überführen von Safeguard und Sicherheitsbestimmungen in EU-Richtlinien böte erst das Fundament, dass Atomkraftwerke auch gegen den Willen der nationalen Regierungen abgeschaltet werden. Sie wären dann zudem schlicht ökonomisch nicht mehr überlebensfähig. Auffallend ist der vehemente Einsatz der britischen Atomlobby, um trotz Brexit nicht aus Euratom auszusteigen. Doch nicht einmal die deutschen Umweltminister der letzten Jahre haben sich für ein Ende des Euratom-Vertrages stark gemacht.


Bezeichnend ist auch das jüngst erfolgte Abweisen der Klage von Greenpeace vor dem Europäischen Gericht gegen die massiven wettbewerbsverzerrenden Subventionen für den Neubau des britischen AKW Hinkley Point. Begründet wird die Erlaubnis der EU-Kommission dieser unglaublichen Subvention mit dem Auftrag des Euratom-Vertrages. Für Erneuerbare Energien gibt es keinen ähnlichen Vertrag. Daher kann die EU Kommission unentwegt Verschlechterungen der nationalen Unterstützung der Erneuerbare Energien mit der Begründung des Wettbewerbsrechts durchsetzen. Beispiele sind die hohen Wettbewerbsauflagen im EEG und der Wechsel zu Ausschreibungen.


Zusammenfassend muss man sagen: Dies alles folgt aus dem Euratom-Vertrag aus dem Jahre 1957, in dem das europäische Ziel des Aufbaus einer mächtigen Atomindustrie festgelegt wurde. Dieser zu den römischen Gründungsverträgen der EU gehörende Vertrag ist heute noch gültig und bildet das Rückgrat in EU und Deutschland für die Unterstützung der Atomenergie. Allen deutschen Ausstiegsbeschlüssen zum Trotz.


Dass es seit dem Wechsel 2005 zu den Regierungen unter Kanzlerin Merkel überhaupt keine politische Debatte in Union, FDP und SPD zur Abschaffung von Euratom gibt, sollte angesichts der maroden europäischen Kernkraftwerke eigentlich ein Alarmsignal sein. Offensichtlich gibt es immer noch genügend Befürworter hintern den Kulissen, die alles tun, um die nächste Atomrenaissance vorzubereiten. Der Atomstromersatz mit Ausbau der Erneuerbaren Energien wurde bereits erfolgreich gedrosselt, der Ausbau der Atomforschung für neue AKW Generationen wird am KIT kräftig vorangetrieben und am Fundament Euratom wird nicht gerüttelt. Eines Tages, so das Kalkül, wird die massive Unterstützung Euratoms für den Ausbau der Atomkraft auch in Deutschland wieder benötigt.


Daher muss das Ende des Euratom-Vertrages endlich über die Koalitionsverhandlungen auf die politische Tagesordnung im Atomausstiegsland Deutschland.


Es wird Zeit, dass die Gesellschaft in Deutschland aufwacht und merkt, dass der Atomausstieg noch längst nicht verwirklicht ist und offensichtlich Kräfte in EU Kommission und deutscher Regierung exakt am Plan einer Renaissance der Atomenergie auch in Deutschland arbeiten und dies sogar mit dem gesetzlichen Auftrag von Euratom.

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