Die Energiewende in Deutschland, einst als potenzieller Exportschlager gefeiert, hat ein Imageproblem. Verbraucher klagen über steigende Stromrechnungen – zu Recht. In der EU müssen nur die Dänen noch mehr für die Kilowattstunde Strom zahlen als die deutschen Haushalte. Medienberichte über sogenannten „Wegwerfstrom“, also subventionierten grünen Strom, der wegen fehlender Netze und Speicher nicht bei den Stromkunden ankommt, erzeugen Spott und Unverständnis.
Ganz anders der Eindruck beim Blick nach Amerika: Zehn autarke Häuser in New York, die sich untereinander mit Solarstrom versorgen, werden in der Berichterstattung in Deutschland als kleine Revolution gefeiert. Elon Musks Tesla war das erste Elektroauto, das echte Begeisterung auslöste. Die USA, so scheint es, sind uns bei der Entwicklung innovativer Energie-Technologien weit voraus. Aber stimmt das auch?
Ich meine: Nein. Die Energiewirtschaft in Deutschland muss sich in punkto innovativer Technologien nicht verstecken. Dazu nur zwei Beispiele: Enercity aus Hannover hat zusammen mit Daimler ein Kraftwerk aus 3000 Autobatterien errichtet, mit dem Schwankungen im Stromnetz ausgeglichen werden können. Der Übertragungsnetzbetreiber Tennet und der Speicherhersteller Sonnen setzen auf die Blockchain-Technologie. 6000 Haushalte nehmen an einem spannenden Pilottest teil: Statt Windmühlen im Norden abzuregeln und Kraftwerke im Süden hochzufahren, sollen die Solarspeicher der Sonnen-Kunden den Windstrom zwischenspeichern. Diese Projekte sind hochinnovativ.
Die deutsche Energiewirtschaft ist auch im Vergleich mit anderen Sektoren gut für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet. Diesen Vorsprung müssen wir auch mit Blick auf das Zusammenwachsen der verschiedenen Sektoren nutzen, denn daraus ergeben sich interessante Wachstumspotenziale für unsere Branche. Allerdings stehen auch Unternehmen anderer Branchen in den Startlöchern und drängen in den Energiemarkt. Ein wichtiger Vorteil für die Energiebranche: Wir sind die Zuhause-Branche Nummer eins, niemand ist näher am Kunden als wir. Auf dieser Basis gilt es, innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Eine wichtige Voraussetzung hierfür: Die Politik muss ihre
Interventionen in den Energiemarkt deutlich reduzieren. Wir bekennen uns
klar zu den klimapolitischen Zielen der Politik, und im Unterschied zu
anderen Branchen wissen wir auch, wie wir diese Ziele erreichen können.
Deshalb muss uns die Politik jetzt auch machen lassen. Marktlösungen
sind effizienter als staatlicher Dirigismus. Bestes Beispiel: Die aktuellen Ausschreibungsergebnisse im Bereich Offshore-Windkraft. Die
zum Teil deutlich sinkenden Vergütungssätze für die Windkraftanlagen
zeigen, dass der Markt die notwendigen Rahmenbedingungen für den
weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien viel effizienter setzt als die
Politik. Auf diesem Weg sollten wir weiter gehen.
Die Energiewende hat noch immer das Potential zum Vorzeigeprojekt.
Lassen wir uns unsere Begeisterungsfähigkeit und den Glauben an das
„Next Big Thing“ nicht nehmen.
Stefan Kapferer führt den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) seit 2016 als Hauptgeschäftsführer. Zuvor arbeitete er bei der OECD in Paris und war bis 2014 Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium.