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Standpunkte Zählen was zählt: Warum wir uns die Digitalrendite anschauen sollten

Joshua Pacheco
Joshua Pacheco, Koordinator für strategische Wissensarbeit und die politische Kommunikation beim Digital Service des Bundes Foto: Digital Service

Was bringt die Digitalisierung der Verwaltung wirklich? Statt allein auf Kosten und Technik zu schauen, müsse der Nutzen für Bürger:innen und Gesellschaft in den Fokus rücken, schreibt Joshua Pacheco vom Digital Service im Standpunkt – und zeigt mit der „Digitalrendite“, wie die digitale Transformation sinnvoll messbar werden soll.

von Joshua Pacheco

veröffentlicht am 03.06.2025

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Innerhalb von vier Jahren, in den Haushaltsjahren 2019, 2021, 2023 und 2024, hat die Bundesregierung 16,6 Milliarden Euro für die Digitalisierung ihrer Verwaltung ausgegeben. Doch welchen konkreten Mehrwert haben die damit finanzierten Maßnahmen tatsächlich geschaffen?

Öffentliche Verwaltungen in Bund, Ländern und Kommunen arbeiten intensiv daran, ihre Organisationen, Infrastrukturen, Prozesse und Dienstleistungen digital zu transformieren. Dabei fehlt jedoch häufig ein geeigneter Werkzeugkasten, um die zugrunde liegenden Wertschöpfungsmechanismen systematisch zu identifizieren und zu priorisieren. Stattdessen wird der Erfolg meist anhand wenig aussagekräftiger Metriken wie Kosten, Zeitaufwand oder dem Entwicklungsstand vorab definierter Ergebnisse – etwa Software-Features oder Reifegrade – gemessen.

Inwieweit der Einsatz von Zeit und Geld tatsächlich zu Ergebnissen führt, die einen relevanten Mehrwert für Verwaltungsmitarbeitende, Bürger:innen, Unternehmen und die Gesellschaft schaffen, bleibt in der Steuerung bislang weitgehend unberücksichtigt. Das führt unter anderem dazu, dass die Zufriedenheit der Bürger:innen bei digitalen staatlichen Dienstleistungen laut OZG Dashboard bei 1,9 von 5 Sternen liegt – wäre das die Online-Bewertung einer Gaststätte, würden wir diese nur im äußersten Notfall besuchen.

Digitalrendite: Wenn der Mehrwert die Kosten übersteigt

Braucht es mehr Geld, um diesen unzufriedenstellenden Wert zu verbessern? Schauen wir ins Ausland, sehen wir, dass dort das Gegenteil der Fall ist: Im Namen von Kostenersparnis, Effizienz und Bürokratieabbau werden ganze Digitalisierungs- und Transformationsteams aufgelöst oder gekündigt. Auch aus verschiedenen Bundesländern hören wir, dass dort die Kürzung der Haushaltsposten für Verwaltungsdigitalisierung bevorstehen. Statt weiterhin auf die Kostenseite der Digitalisierung und Transformation zu blicken, möchten wir als Digital Service den Nutzen in den Fokus rücken.

Digitale Transformation erfordert kurzfristig hohe Investitionen und nimmt umfassend Zeit in Anspruch. Mittel- und langfristig entsteht durch gut digitalisierte und transformierte öffentliche Dienstleistungen jedoch ein Mehrwert, der diesen Aufwand rechtfertigt. Diesen Mehrwert nennen wir Digitalrendite.

Unter Digitalrendite verstehen wir den messbaren Mehrwert, der die ursprünglichen Investitionen in digitale Vorhaben übersteigt. Wertschöpfung durch öffentliche digitale Transformation kann dabei entlang der Produktion, der Erfahrung mit und der Einbettung von öffentlichen Dienstleistungen verstanden werden. Öffentlicher Mehrwert oder im englischen „public value“ entsteht in der Umwandlung von Inputs zu Outputs, die zu Outcomes und einem übergeordneten Impact führen. Für das, was im Englischen geläufig ist, fehlen im Deutschen bisher die entsprechenden Begriffe. „Inputs“ beschreiben die investierten Ressourcen, „Outputs“ die unmittelbar sichtbaren Ergebnisse einer oder mehrerer Maßnahmen, „Outcomes“ den Nutzen dieser Ergebnisse und „Impact“ die langfristige Wirkung.

Während die herkömmliche Beurteilung digitaler Transformationsprojekte vor allem die Kostenseite bis zu dem Punkt betrachtet, an dem die analoge Dienstleistung digital zur Verfügung steht, beschreibt die Digitalrendite das Gegenstück dazu: den spür- und messbaren Mehrwert für Bürger:innen und Unternehmen, die Verwaltung und die Gesellschaft als Ganzes.

Für Bürger:innen kann dieser Mehrwert die einfache, kurze und kohärente Erledigung staatlicher Dienstleistungen bedeuten sowie das Erreichen ihres darunterliegenden Ziels (etwa die Möglichkeit, sich digital sicher und effizient auszuweisen, nicht die erfolgreiche „Beantragung eines Personalausweises“). Für die Verwaltung kann der Mehrwert eine reibungslose und effiziente Bearbeitung und daraus folgend Effizienzgewinne und freiwerdende Kapazitäten darstellen. Auf gesellschaftlicher Ebene können effiziente Interaktionen mit dem Staat die Stärkung des Vertrauens in den Staat und seine Prozesse ermöglichen. Die Wertschöpfungsketten haben wir hier illustriert.

Was Bürger:innen und Unternehmen hilft, entlastet auch die Verwaltung

Unter diesen Indikatoren sind organisationale Effizienzgewinne, also Kosten- und Zeitersparnisse, gut erfassbar. Sie sind im Hinblick auf Pensionierungswelle, Fachkräftemangel und knappe Budgets in der Verwaltung besonders relevant, können aber auf Seite der Bürger:innen und Unternehmensseite auch volkswirtschaftliche Effekte beschreiben.

Das zeigt auch unsere Erfahrung beim Digital Service: Aufbauend auf den guten internationalen Erfolgsbeispielen, konnten wir in den letzten fünf Jahren anhand unserer Projekte zeigen, dass sich Verwaltungsressourcen (Inputs) durch agile und Nutzenden-zentrierte Prozesse effektiver als bisher in öffentliche Dienstleistungen (Outputs) transformieren lassen, mit denen Bürger:innen leichter zu ihrem Ziel kommen (Outcome). Diese Verbesserung möchten wir nun anfangen zu beziffern.

Im ersten Schritt haben wir im Kontext unserer Arbeit zur Digitalisierung der Justiz mit dem Fallbeispiel der Onlinedienste zur Beratungshilfe begonnen, die analogen und digitalen Erfüllungsaufwände zu vergleichen. Dabei können wir nachvollziehbar aufzeigen, wie sich die anfangs getätigten Kosten in zurückhaltenden Szenarien nach gut fünf Jahren (und bei optimistischen Annahmen bereits nach weniger als zwei Jahren) amortisieren. Danach spart der Staat effektiv Geld. Die Einsparungen sind möglich, weil wir auf die Eins-zu-eins Übersetzung analoger zu digitaler Abläufe verzichten und stattdessen die Optimierung der Abläufe im Sinne der Nutzenden priorisieren. Wir reduzieren also fehlerhafte, unvollständige oder aussichtslose Anträge. Die dadurch eingesparte Bearbeitungszeit auf Verwaltungsseite können wir ableiten und monetär beziffern.

Die Digitalrendite ist mehr als die Einsparung von Verwaltungskosten

Diese Art der Berechnung ist nur der erste Schritt, denn die Digitalrendite beschreibt mehr als finanzielle Einsparungen auf Verwaltungsseite. Sie beschreibt auch den Mehrwert für Bürger:innen, Unternehmen und Gesellschaft. Das wird in unserem Beispiel besonders sichtbar: Das Einsparungspotential auf Verwaltungsseite entsteht dort, wo Prozesse für Bürger:innen verbessert werden. Das heißt, Effizienz ist nicht der Hebel, sondern ein Ergebnis guter digitaler Transformation im Sinne ihrer Nutzenden. Rufe nach Stellenstreichungen und Einsparungen sind nicht zielführend. Im Gegenteil: Die durch digitale Transformation freiwerdenden Kapazitäten werden dringend benötigt, um den ohnehin bevorstehenden Personalmangel im öffentlichen Sektor aufzufangen und den Krisen unserer Zeit zu begegnen, deren Beantwortung sich nicht automatisieren lässt.

Von der Digitalrendite profitieren Staat, Bürger:innen und Unternehmen. Und das hilft, das Vertrauen in den Staat wieder zu stärken.

Joshua Pacheco koordiniert die strategische Wissensarbeit und die politische Kommunikation des Digital Service des Bundes. An der University of Edinburgh forschte er zuvor zu Public Value Creation. Bis 2022 leitete er das Fellowship-Programm „Tech4Germany“ und verantwortete im Citylab Berlin die Zusammenarbeit mit der Landes- und Kommunalverwaltung sowie die Entwicklung des Methodenhandbuchs „Öffentliches Gestalten“.

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