Standpunkte „Drei Wischs auf dem Smartphone – sonst ist der Kunde weg“

Susanna Zapreva ist Vorstandschefin der Enercity AG. Im Background-Interview kündigt sie an, den Energiemarkt umkrempeln zu wollen – und die einst betulichen Stadtwerke Hannover zum ersten Plattformunternehmen der Branche zu machen. Ein vermessenes Ziel? Nicht aus Sicht von Zapreva.

von Susanna Zapreva

veröffentlicht am 02.07.2018

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Frau Zapreva, sie sind aus einer europäischen Metropole – von Wien Energie – nach Hannover zu Enercity gewechselt. Größer ist das Unternehmen auch nicht. Bei aller Wertschätzung für Niedersachsens Hauptstadt: Was hat Sie dazu bewogen?


Erstens hat Hannover eine enorme Lebensqualität. Die Wege sind auch kürzer, ich muss weniger Zeit im Verkehr verbringen. Und in Deutschland bin ich neu. Das ist ein spannendes Umfeld. Es ist ein zehnmal so großer Markt wie Österreich, wo es eine kleine, recht geschlossene Energiebranche gibt. Neue Kultur, neues Land und vor allem ein enorm spannendes Unternehmen, das deutschlandweit und im Baltikum tätig ist– ich würde das wieder machen.


Sie haben in Elektrotechnik promoviert und zusätzlich Betriebswirtschaft studiert. Hat ihnen das als Frau die Türen ins Top-Management der männerdominierten Energiebranche geöffnet?


Mir hat es sehr geholfen. Es ist ein Unterschied, ob Sie mit jemandem reden, ohne es thematisch wirklich zu durchdringen, oder ob Sie wirklich Bescheid wissen. Die Kombination Technik und Wirtschaft war für mich ideal. Diese Übersetzung zu schaffen, von der Technik in die Wirtschaft, das hat mir sehr geholfen. Und als Frau fällt man sofort auf. Die Aufgabe, die bleibt, ist positiv aufzufallen.


Sie haben kurz nach ihrem Start bei Enercity vor gut einem Jahr gleich die beiden anderen Vorstände austauschen lassen. Jetzt ist viel Bewegung in der zweiten Reihe, wenn man in die Stellenausschreibungen schaut. Krempeln sie Enercity um?


Das Fachliche steht jetzt im Vordergrund. Wir wollen die richtigen Menschen an die richtigen Stellen setzen – so, dass wir unsere neue Strategie auch richtig umsetzen können. Das erfordert einige Personalwechsel.


Und wie lautet die Strategie?


Verdichtet: Wir sind die treibende Kraft der digitalen Energiewelt von morgen. Betonung auf ‚die‘. Was bedeutet das? Ich bin in das Unternehmen gekommen und habe einen Energieversorger vorgefunden. Wir müssen aber vom EVU zum EDU und dann zum EPU werden. Vom Versorger zum Energiedienstleister. Da sind wir noch nicht kundenorientiert genug. Und schließlich wollen wir das erste Energieplattformunternehmen werden. So, wie man es von den Amazons dieser Welt kennt.


Was heißt Plattform?


Das heißt im Wesentlichen, dass wir alle Dinge, die der Kunde braucht, wertschöpfend miteinander verbinden. Das heißt, die smarte Welt und die Energiewelt in effiziente Kommunikation zu bringen. Der Kunde erwartet schon jetzt oder zumindest sehr bald, dass er problemlos und ohne Bürokratie zum Beispiel den Tarif wechseln kann. Wir müssen als Energieunternehmen eine Welt schaffen, die echtzeitbasiert ist, eine Eins-zu-Eins Kundenbeziehungen pflegt und viel weniger Hürden bietet. Wir wollen der Infrastruktur-Anbieter hinter den großen Kundenplattformen, beispielsweise Amazons Alexa, sein.


Können Sie ein Beispiel nennen, was der Kunde davon hat?


Natürlich. Wer in Zukunft den Kunden nicht mit drei Wischs auf dem Smartphone zum Ziel führt, der wird den Kunden verlieren. Und es geht auch um innovative Produkte. Zum Beispiel bieten wir unseren Kunden eine Ladesäule fürs Elektro-Auto zum Kauf oder Miete an. Mit dieser Ladesäule erwirbt er aber gleichzeitig ein Rundum-Sorglos-Paket. Das inkludiert einen Flat-Tarif für ganz Europa. Da sagt der Kunde: Das kaufe ich sofort, da muss ich mich um nichts mehr kümmern. Alle in der Branche reden von steuerbaren Ladesäulen. Unsere Probleme interessieren den Kunden gar nicht. Der will Bequemlichkeit. Das geht noch weiter: Stellen sie sich vor, alle ihre Geräte im Haus sind energieeffizient eingestellt, ohne dass sie sich einzeln darum kümmern müssen. Und ausweisen können wir ihnen das auch noch. Sie können von überall und immer zuhause alles machen. Dann kommen Sie zu uns. Das ist echter Mehrwert.


Die Plattform-Ökonomie lebt von Skaleneffekten. Wie wollen sie das schaffen als Stadtwerk? Ist das nicht ein vermessenes Ziel?


Nein überhaupt nicht. Das ist sehr anspruchsvoll, ja. Aber die erfolgreichsten Plattformunternehmen sind auch sehr jung und quasi aus dem nichts entstanden. Das ist unsere Vision. Wir wollen die ersten sein, die das schaffen.


Gibt es auch konkrete unternehmerische Ziele?


Wir wollen zunächst die Zahl unserer Kunden verdoppeln. Die Trendwende ist erreicht: Seit Marktöffnung haben wir jedes Jahr Kunden verloren, im vergangenen Jahr erstmals gewonnen. Wir bieten jetzt deutschlandweit Energie an und sind auf einem guten Weg. Entscheidend wird es sein, eine echte Plattformökonomie tief im Unternehmen und seinen Prozessen zu verankern. Die Energiewelt ist sehr komplex, es gibt über 13.000 Regulierungsvorschriften, nach denen wir uns richten müssen. Dabei helfen uns unter anderem die Auswertungen von Big Data. So können wir das Geschäft neu denken, Schwachstellen identifizieren und Wachstumsmöglichkeiten schnell erkennen.


Erfordert das nicht enorme Investitionen?


Nein, es erfordert vor allem Innovationen. In anderen Wirtschaftsbereichen werden solche Ansätze längst erfolgreich umgesetzt. Die Technologien sind da, man muss sie nur schlau einsetzen. Und, ja: Wir bauen in diesem Bereich Personal auf. Das wird auch noch weitergehen. Gleichzeitig schulen wir bestehende Mitarbeiter. Und arbeiten mit Start-ups zusammen. Parallel dazu holen wir uns auch über Dienstleister Kompetenz von außen.


Wie groß ist der Widerstand im Unternehmen? Groß, sehr groß oder gigantisch?


Der Verlust von Langeweile hat sein eigenes Sex-Appeal. Ich stelle fest, dass die Begeisterung erheblich ist. Klar, etwas Skepsis gibt es auch, aber das ist gesund.


Interessieren sie sich überhaupt noch für das normale Energiegeschäft, zum Beispiel die Erzeugung?


Natürlich, sehr sogar. Erstens finanzieren wir aus dem Bestandsgeschäft unsere neuen Geschäftsfelder. Zweitens müssen wir auch mit unseren Kraftwerken zeigen, dass wir die Transformation hin zu einer klimaschonenden Energiewirtschaft schaffen. Deshalb haben wir zum Beispiel ein Kohlekraftwerk verkauft und 220 Megawatt Winderzeugungsleistung gekauft. Wir bauen weiter um, auch in der Wärmeerzeugung. Wir wollen sowohl beim Strom als auch bei der Fernwärme den Öko-Anteil auf 50 Prozent bringen – möglicherweise wird es irgendwann noch mehr sein.


Wie ist ihr Eindruck: Meint die neue schwarz-rote Bundesregierung es weiterhin ernst mit der Energiewende?


Ich bin Optimistin und glaube daran, dass sich die Koalition an die Abmachungen aus dem Koalitionsvertrag hält. Die Politik hat eine Revolution losgetreten und die Energiewende eingeleitet. Jetzt wird sie verstärkt und überlagert durch die Digitalisierung. Das lässt sich gar nicht mehr aufhalten, egal, was in Berlin passiert.


Das Gespräch führte Jakob Schlandt.


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