Drohnen erleben im Moment die glamouröse Erregungsphase am Beginn des Vernonschen Produktlebenszyklus‘. Fliegende Taxis in den Städten; Amazon-Drohnen, die neue Turnschuhe binnen einer Stunde nach dem Kauf-Klick auf der Terrasse des Kunden abstellen; Drohnen in der digitalen Landwirtschaft, die nach Bedarf und auf den Zentimeter genau Dünger oder Pflanzenschutzmittel ausbringen und unbemannte Flugobjekte mit künstlicher Intelligenz für Wartung von Hochspannungsleitungen – das Dauerfeuer von Hype- und Buzzwords erregt die Fantasie von Investoren, Politikern, Journalisten und Lesern. „Sie begannen als Youtube-Stars“, hat Tagesspiegel Background vor einigen Tagen sehr treffend beobachtet. Nur die Überschrift, die stimmt eben leider nicht: Denn weder stehen „Elektro-Flugtaxis vor dem Durchbruch“ noch dürfen Drohnen wirklich die Wartungs- und Servicearbeiten in der Energiebranche übernehmen.
Und das liegt nicht in erster Linie an der Technik und auch nicht – um das vorweg zu nehmen – an Fragen der öffentlichen Sicherheit – das wäre alles regelbar. Die Windbranche experimentiert mit Drohnen schon seit einem halben Jahrzehnt. Unabhängige Serviceanbieter haben damals die ersten Schritte gemacht, Firmen wie die dänische Atsite geben inzwischen an, dass sie binnen der zurückliegenden vier Jahren einen „Track Record“ von 100.000 Einsätzen aufgebaut hätten. Selbst Siemens Gamesa-Chef Markus Tacke hat im Februar bei der Präsentation der neuen Strategie des deutsch-spanischen Windunternehmens Drohnen in den Vordergrund gerückt: Sie sollten die Kletterer an den Seilen massiv unterstützen, auch Siemens Gamesa wolle die intelligente Bildauswertung vorantreiben.
Wir haben die Marktchancen für Drohnen im vergangenen Jahr in der Studie „Fly High – Markt, Chancen und Herausforderungen eines wachsenden zivilen Drohneneinsatzes“ zusammen mit dem Branchenverband Zivile Drohnen (BVZD) untersucht und die realen Marktpotenziale mit den Marktfantasien verglichen. Das Ergebnis: Drohnen bieten sich unter den gegebenen Rahmenbedingungen in vielen Ingenieursfeldern als ein neues Tool an, dass den Werkzeugkasten von Vermessungsingenieuren, Luftbildanbietern, Wartungsfirmen und auch von Landwirten erweitert und alte Werkzeuge modernisiert. Hier stehen die neuen Techniken allerdings unter hohem Preisdruck, sodass die von internationalen Consulting-Unternehmen teils verbreiteten Umsatzerwartungen sehr weit an der Realität vorbeigehen.
So können gerade auch im Bereich der Energie-Infrastruktur Multikopter und andere Trägersysteme eingesetzt werden, um schwer erreichbare Strukturen und Bauteile zu erfassen. Für deren Service und Wartung sind Drohnen günstiger als Zugangssysteme wie Leitern, Gerüste, Hub- und Leiterwagen, Seil- und Sicherungssysteme von Industriekletterern oder auch herkömmliche Hubschrauber. Die Arbeiten an künstlicher Intelligenz, die der Tagesspiegel Background vorgestellt hat, sind hier Teil der Werkzeug-Evolution. Eine Revolution sind sie nicht.
Denn um wirklich einen schnell wachsenden Markt zu erschließen, müssen die Drohnen endlich von der Leine gelassen werden. Das heißt konkret: Der Gesetzgeber in Deutschland muss endlich einen Rahmen dafür schaffen, dass Drohnen auch außerhalb der Sichtweite eingesetzt werden dürfen. Denn nur dann können Multikopter und Tragflächensysteme die teilautonomen Dienstleistungen entwickeln und aus kreativen Phantasien revolutionäre Produkte machen.
Dazu gehört auch, dass der Schutz vor rechtswidrigen Angriffen mit Drohnen gewährleistet ist und dass insbesondere sicherheitsrelevante Infrastruktur sich selber davor schützen darf. Die Techniken dazu sind vorhanden, die Studie Fly High zeigt am Beispiel von Firmen wie Deutscher Telekom, Dedrone und der Münchner esc aerospace, was längst Stand der Technik ist.
Um bei den Hochspannungsleitungen und der Inspektion von Windrädern zu bleiben: Natürlich ist es hilfreich, wenn Drohnen diese Energieinfrastrukturen abfliegen und hochauflösende Bilder liefern und zum Teil auch automatisiert auswerten. Aber wenn bei jedem dieser Flüge (mindestens) ein ausgebildeter Pilot am Boden stehen und Sichtkontakt zu der Drohne halten muss, dann kommt die Drohne kaum über den Status einer verbesserten und vor allem etwas billigeren Kamera hinaus. Dieses Geschäftsmodell ist nicht skalierbar.
Mit Out-Of-Sight-Flügen – im Fachsprech auch Beyond visual line-of-sight oder BVLOS genannt – könnten Drohnen jedoch teilautonom kilometerlange Stromleitungen abfliegen und nach einer definierten und intelligent finegetunten Route Bilder von großen Teilen des Leitungssystems liefern. Oder automatisiert Windräder checken. Oder für die Sicherheitsbranche bestimmte Grundstücke nach festgelegten Wegpunkten abfliegen und so auch in Ecken gucken, die herkömmliche Kameras nicht einsehen können. Oder Luftbilder von Äckern liefern um Daten für Düngung und Bewässerung zu generieren. Oder perspektivisch auch Logistikaufgaben wie Paketzustellung in den Städten machen. Stattdessen lassen Logistiker bloß ab und an unter großem medialen Bohei ein Päckchen Medizin auf eine Nordseeinsel fliegen.
Denn das deutsche Recht verbietet Out-Of-Sight Flüge zur Zeit rigoros. Städte sind für den Einsatz von Drohnen praktisch grundsätzlich gesperrt. Aufstiege von professionellen Drohnen sind oft nur mit Einzelgenehmigungen von überlasteten Landesbehörden möglich: Anstelle einer Allgemeinerlaubnis für den Drohneneinsatz herrscht in Deutschland ein Allgemeinverbot, von dem dann für Einzelfälle Ausnahmen erteilt werden.
Die Europäische Kommission hat schon 2015 eine „neue Luftfahrtstrategie für Europa“ vorgestellt, um rechtliche Regelungen und technische Normen für Drohnen zu harmonisieren. Jetzt im Februar hat die European Aviation Safety Agency (EASA) als Flugsicherheitsbehörde der EU eine Stellungnahme zu einer künftigen EU-Drohnenregelung veröffentlicht. Darin wird das Augenmerk besonders auf das Betriebsrisiko von Drohnen gelegt. So erachtet die EASA die kinetische Energie, die Drohnen bei Zusammenstößen entwickeln können, als maßgeblichen Anknüpfungspunkt für behördliche Erlaubnisse.
Eine Erlaubnispflicht (bei weiter bestehendem Allgemeinverbot) für Drohnen soll danach ab 80 Joule Bewegungsenergie greifen. Für die Frage der Erlaubnisfähigkeit soll die risikobasierte Bewertung SORA („specific operations risk assessment“) implementiert werden. Hierzu sollen Drohnen künftig in verschiedene (Risikobewertungs-)Klassen eingeteilt werden. Als erlaubnisfrei erachtet die EASA danach etwa Drohnen mit einem Startmasse von weniger als 25 Kilogramm und einer maximalen Flughöhe von 120 Metern. Das ist durchaus großzügiger als die aktuellen deutschen Regelungen. Aber auch die EASA setzt strickt auf Sichtflug und verbaut so die Chancen, die unter den Schlagwörtern „Digitalisierung“ und „Autonomie“ diskutiert werden.
Auf Grundlage dieser Stellungnahme wird EU-Kommission wohl noch in diesem Frühjahr konkrete Regelungsvorschläge ausarbeiten. Das Ziel wird eine EU-weite Verordnung über zivile Drohnennutzung sein, die dann auch in Deutschland übernommen wird. Wenn Deutschland und Europa die Chancen der Drohnenwirtschaft nicht den USA und Asien überlassen wollen, muss die Regierung dringend praxisnahe Regeln und Erprobungsräume für den Drohnen-Flug Out-Of-Sight schaffen.