„Echte Innovationen werden zu lange hinausgezögert“

Jan Michael Hess, Gründer des Berliner Ecosummit, spricht über die deutsche Cleantech-Szene, Herausforderungen an Investoren und zukünftige „Unicorns“.

veröffentlicht am 26.04.2017

aktualisiert am 19.11.2018

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Herr Hess, fehlt ein deutsches Tesla?


Elon Musk hat viel riskiert. Für Tesla hat er seine Internetfirma verkauft und ist daran fast Bankrott gegangen. Musk ist allerdings ein Spezialist in Sachen Vermarktung. Wir in Deutschland haben tolle Ideen und auch die nötige Stärke, um Innovationen auf den Weg zu bringen. Allerdings finden wir hierzulande eine weniger entwickelte Gründerkultur vor. In der Regel trauen sich Start-ups seltener an Themen heran, die sehr kapitalintensiv sind. Neue Solartechnologien der 3. Generation wie organische PV sind für Start-ups spannend, aber silikonbasierte PV der 2. Generation ist fest in der Hand der chinesischen Konzerne.


Wann wird nun also das erste gute deutsche Elektroauto auf den Weg gebracht?


Ich glaube, es wird nicht von einem Start-up kommen, sondern von einem etablierten Autobauer. Das ist einfach eine Kapitalfrage. Aber solange die Autobauer mit ihrem ursprünglichen Geschäft – dem Diesel oder Benziner – gutes Geld verdienen, wird echte Innovation leider weiter hinaus gezögert. Und ein guter Ingenieur hat da auch wenig Anreiz, sein eigenes Ding zu machen.


Der von Ihnen gegründete Ecosummit bringt seit 2010 Investoren und Start-ups aus dem Cleantech-Bereich zusammen. Sind heute mehr Investoren an jungen, sauberen Unternehmen interessiert als früher?


Ein Venture Capitalist ist mit seinem Fund langfristig im Geschäft – in der Regel auf 10 Jahre. In den ersten 5 Jahren wird investiert, in den zweiten 5 Jahren wird verkauft. Daneben gilt es, Geld für den nächsten Fund einzusammeln. Wer sich also einmal für einen Markt entschieden hat, bleibt dabei. Es findet wenig Wechsel statt. Ich bemerke allerdings, dass sich zum Beispiel auch Internet-Investoren, die keinen Fokus auf Cleantech haben, an jungen Cleantech-Firmen beteiligen, von denen sie sehr überzeugt sind. Beispiele sind die Beteiligungen von Atomico an Lilium, von Target Partners an Tado oder von Rocket Internet an Thermondo. Und etablierte Energieversorger investieren zunehmend in Start-ups.


Ist Cleantech für Investoren herausfordernder?


Eine Herausforderung besteht sicherlich darin, dass Hardware Start-ups in der Regel mehr Geld für die Entwicklung einer Technologie oder eines Prototypen brauchen. Zudem benötigen sie ein paar Jahre, bis sie tatsächlich den Markteintritt schaffen. Da haben Start-ups, die reine Software-Lösungen anbieten, natürlich einen Vorteil. Deshalb ist es heute eher gängig, dass Start-ups mehrere aufeinander aufbauende Finanzierungsrunden planen und ihr Managementfähigkeiten beweisen müssen. Sie bekommen keinen großen Batzen auf die Hand von nur einem Venture Capitalist, sondern mehrere Häppchen von verschiedenen.


Welche Themen bestimmen derzeit die Cleantech-Szene?


2010 ging es ja zunächst darum, den Energiemarkt überhaupt erst einmal schrittweise umzubauen und zu zeigen, dass Erneuerbare Energien funktionieren. Dafür war die Entwicklung besserer und vor allem günstigerer Erneuerbaren Energien essentiell, allen voran der PV. Hier haben die ersten Start-ups aus dem Solarbereich Vorarbeit geleistet, die inzwischen mehrheitlich von den Chinesen aus dem Markt gedrängt wurden.


Heute sind die Weichen im Energiemarkt gestellt. Die Energiewende ist längst beschlossene Sache, die Technologien sind größtenteils auch klar. Nun geht es aber um das Wie. Deshalb bietet der neue Energiemarkt heute zahlreiche Möglichkeiten für Start-ups, auch ohne viel Kapital mitwirken zu können. Digitalisierung oder Internet of Things sind hier die entscheidenden Schlagworte für neue Geschäftsmodelle.


Welche Start-ups finden Sie derzeit spannend?


Das wertvollste, nicht börsennotierte Startup der Welt ist Uber mit einer Bewertung von über 62 Milliarden Dollar. Da Mobilitätsinnovationen auch zu Cleantech gehören, sehen viele Experten in Uber ein intelligentes grünes Startup.


In Europa sind die französischen Start-ups BlablaCar und Sigfox am wertvollsten. Aus dem deutschen Raum gefallen mir Sonnen, Thermondo, Tado, Next Kraftwerke und Mobisol. Mit Begeisterung verfolge ich zudem die Erfolgsgeschichte von Lilium, einem Münchener Start-up. Ihr eigens entwickelter Lilium-Jet ist ein ausschließlich elektrisch angetriebenes Flugzeug und in dieser Hinsicht das erste seiner Art. Erst jüngst hat es seinen Jungfern-Flug erfolgreich gemeistert. Alle hypen Elektromobilität im Straßenverkehr. Aber man muss sich ja nur mal vorstellen, wie viel Potential in der Elektrifizierung des Flugverkehrs liegt.


Das Motto des letzten Ecosummits lautete übrigens ‚Smart green unicorns made in Europe’. Der Begriff ‚Unicorn’ steht in der Szene für ein Start-up mit Milliardenbewertung. Es ist also unser erklärtes Ziel, jene Start-ups ausfindig zu machen, die in ein paar Jahren zum Unicorn aufsteigen könnten.

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