2. Sollen erneuerbare Energieträger (EE) ohne Subventionen auskommen?
„Viele Bestandsanlagen und Neubauprojekte können an geeigneten Standorten heute ohne Subventionen wirtschaftlich betrieben werden. […] Deshalb wollen wir das Dauersubventionssystem des EEG mit Einspeisevorrang und -vergütung beenden.“ Diese Sätze aus dem FDP-Wahlprogramm haben Sprengkraft: Kommt nach dem Atomausstieg und noch vor dem Kohleausstieg der Ausstieg aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)? Wohl kaum: Die Grünen werden keiner Regierung beitreten, die das EEG ersatzlos streicht. Dies würde den Zubau bei den Erneuerbaren kurzfristig nahezu vollständig zum Erliegen bringen, unter anderem, da volles Marktrisiko die Kapitalkosten signifikant erhöhen würde.
Dennoch wirft das FDP-Programm einen diskussionswürdigen Punkt auf, auch vor dem Hintergrund, dass bei den jüngsten Wind-Offshore-Ausschreibungen bereits Angebote abgegeben wurden, die vollständig auf Subventionen verzichten: Wie sollen die erneuerbaren Energieträger reguliert werden, wenn sie keine direkten Subventionen mehr benötigen? Ein Ausbau mit Mengenregulierung, wie aktuell über die Ausschreibungen des EEG 2017, hat Vorteile, zum Beispiel lassen sich damit der Netzausbau und andere emissionsreduzierende Maßnahmen wie der Kohleausstieg besser planen.
Wie aber gestaltet man Auktionen als Mittel für einen effizient regulierten Ausbau der erneuerbaren Energien, wenn jeder mit Null bieten würde? Eine Möglichkeit wäre, Erneuerbare, wie von der FDP gefordert, an den durch sie verursachten Systemkosten für Netzausbau und Regelenergie zu beteiligen und ihnen die Möglichkeit zu geben, mit diesen Kosten in technologieneutralen Auktionen zu bieten.
Nach unseren Szenarien kann der weitere Ausbau von Wind- und Solaranlagen bereits in den 2020ern auf Subventionen verzichten. Die nötigen Leitplanken sollte der Gesetzgeber bereits in den Jahren zuvor schaffen, um frühzeitig regulatorische Sicherheit herzustellen. Die FDP-Vorschläge könnten dazu einen ersten Denkanstoß darstellen.
3. Sollen dezentrale Erzeugung und Eigenverbrauch weiterhin bevorzugt werden?
Die Erzeugung von Strom zum Eigenbedarf mittels Photovoltaikanlagen und Heimspeichern wird derzeit durch den Gesetzgeber massiv privilegiert: Die Betreiber, ob Haushalte oder Betriebe, sind für den selbst erzeugten Strom fast vollständig von Netzentgelten, Steuern und Umlagen befreit. Bleiben diese Privilegien bestehen, werden die sinkenden Kosten für Photovoltaikmodule und Lithium-Ionen-Batterien zu einem massiven Zubau dieser Technologien führen: Nach unseren Szenarien würden solche Anlagen unter Beibehaltung der aktuellen Regulierung im Jahr 2030 knapp 100 Terawattstunden Strom erzeugen, was der Produktion von rund neun Kernkraftwerken entspricht. Kein Wunder: Anlagen für den Eigenverbrauch konkurrieren schließlich nicht mit dem Preis für Strom am Großmarkt, sondern mit dem Endverbraucherpreis, der durch Netzentgelte, Steuern und Umlagen um das 8- bis 10-fach höher ist.
Gleichzeitig ist der volkwirtschaftliche Nutzen fraglich, denn pro Megawatt installierter Leistung sind dezentrale Anlagen in Herstellung und Installation teurer als Großanlagen. Jede Megawattstunde Eigenverbrauch verlagert die Kosten für Netzausbau und EE-Förderung zu jenen, die sich die Anfangsinvestitionen in Photovoltaikanlagen und Batteriespeicher nicht leisten können. Um einen fairen Wettbewerb zu schaffen, müssten die Privilege der Eigenstromerzeugung größtenteils aufgehoben werden. Und das, bevor der Ausbau im großen Maßstab beginnt, da mit jeder zusätzlichen Anlage die Zahl der potenziellen Verlierer und damit Gegner einer späteren Reform steigt.
Ob der große Wurf in der nächsten Legislaturperiode kommt, ist äußerst fraglich. Keine Partei bezieht in ihrem Wahlprogramm hierzu explizit Stellung. Von den Grünen ist eine weitere Unterstützung der „Bürger-Energiewende“ zu erwarten. Die FDP würde mit der von ihr geforderten Abschaffung der Stromsteuer die Eigenstromerzeugung zwar etwas weniger attraktiv machen, für eine Veränderung der oben beschriebenen Dynamik reicht dies allerdings nicht.
4. Wie sollen weitere Verzögerungen beim Netzausbau und eine Trennung des deutschen Strommarkts verhindert werden?
„Der beschleunigte Netzausbau und die Beseitigung von Engpässen haben für uns oberste Priorität. Dadurch reduzieren wir in erheblichem Umfang Kosten. Es dürfen keine Nachteile für Grundstückseigentümer, Investitionen und Arbeitsplätze entstehen.“ Diese Passage aus dem Unions-Wahlprogramm verdeutlicht unfreiwillig die Grundproblematik des Netzausbaus, und zeigt, dass für ihn eben doch Kompromisse erforderlich sein werden. Der Netzausbau ist eines der größten Problemfelder der Energiewende: Auch dank der fragwürdigen Erdverkabelung der „Stromautobahnen“ von Nord nach Süd drohen Verzögerungen, während die Kosten für Ersatzmaßnahmen wie Re-Dispatch und Abregelung von EE-Anlagen steigen und Nachbarländer über den deutschen Export von Netzinstabilitäten klagen.
Die für 2018 angekündigte Abtrennung Österreichs vom gemeinsamen Strommarkt mag kurzfristig für Entlastungen sorgen; dennoch schweben die mit einem geteilten deutschen Strommarkt drohenden Preissteigerungen im Südteil wie ein Schatten über der dortigen Industrie. Eine solche Trennung wird immer stärker durch Europäische Kommission und eine Allianz deutscher Nachbarländer gefordert.
Um die Aufspaltung des Strommarkts zu verhindern, dürfen sich die Ausbauprojekte keinesfalls weiter verzögern. Wo möglich sollte die neue Bundesregierung die Rahmenbedingungen für Planungsprozesse verbessern. Allerdings muss breiter gedacht werden: Auch Batteriespeicher und Nachfrageflexibilitäten können zur Netzstabilität beitragen und sollten in transparenten Märkten beschafft werden.
5. Wie richten wir unser Energiesystem effizient auf die sich rapide entwickelnde Elektromobilität aus?
Kaum ein Thema im Umfeld der Energiepolitik wurde im letzten Jahr so kontrovers diskutiert wie die Dieselfrage: Verbieten oder nicht? Fahrverbote oder nicht? E-Mobilitätsquoten oder nicht? Während sich Union und FDP klar gegen ein festes Ausstiegsdatum aussprechen, fordern die Grünen ein Zulassungsverbot für Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotor ab 2030. Auch wenn diese Positionen augenscheinlich weit auseinanderliegen, ist in einer Jamaika-Koalition eine industriefreundliche Regierungslinie wahrscheinlich. Denn auch die Realo-Fraktion der Grünen, angeführt durch Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Kretschmann, hat wenig Lust darauf, den ohnehin kommenden Abschied vom Verbrennungsmotor derart zu beschleunigen, dass der deutschen Wirtschaftslandschaft durch die damit verbundenen Umwälzungen signifikante Nachteile entstehen.
Aber wir sollten uns nicht mit Rückzugsgefechten aufhalten: Sinkende Kosten für Batteriespeicher sorgen dafür, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Elektromobilität im großen Maßstab kommt. Da sich die Wertschöpfung dann von der Antriebs- und Fahrzeugtechnik in die Batteriefertigung verlagert, droht Deutschland seine führende Rolle im Automobilbau zu verlieren.
Es ist mehr als fraglich, ob Deutschland den Vorsprung Chinas, Japans, Südkoreas und der Vereinigten Staaten in der Produktion von Lithium-Ionen-Zellen aufholen kann. Die Förderung von heimischer Industrieproduktion sollte sich – wenn überhaupt – auf Batterietechnologien der nächsten Generation beschränken, um aus dem reinen Skalenwettbewerb der Lithiumtechnologie auszubrechen.
Ein Bereich, in dem Deutschland tatsächlich die Vorreiterrolle übernehmen kann, ist die Systemintegration von Elektrofahrzeugen in einen Strommarkt, der von erneuerbaren Energieträgern geprägt ist. Second-Life-Batterieprojekte von BMW, Daimler und Co., bei denen ausgediente Antriebsbatterien als stationäre Speicher weitergenutzt werden, stellen erste Schritte dar. Doch es gibt noch viel mehr zu tun: Wir brauchen mehr Forschung und Entwicklung, um das Flexibilitätspotenzial von Elektrofahrzeugen auszuschöpfen. Nötig wäre auch eine innovative Regulierung, um systemdienliches Laden und Entladen zu fördern, beispielsweise über smarte Tarife, die sich an der aktuellen Nachfrage und Netzlast orientieren. Und last but not least muss die Schnellladeinfrastruktur ausgebaut werden.
6. Wie machen wir die Wärmewende zum Erfolg?
Die Wärmewende ist bisher das Problemkind der Energiewende: Das Ziel, den Wärmebedarf von Gebäuden bis 2020 gegenüber 2008 um 20 Prozent zu senken, wird deutlich verfehlt werden. Grund dafür sind niedrige Gebäudesanierungsquoten, teilweise auch bedingt durch die mangelnde Wirtschaftlichkeit energetischer Maßnahmen. Die nötige Beschleunigung in diesem Bereich ließe sich wohl nur mit erheblichen Subventionen oder Steuererleichterungen erreichen.
Kurzfristig gilt es beim Thema Wärme, weitere Einsparpotenziale zu heben. Dazu gehört die Nutzung des technologischen Fortschritts, etwa die digitale und „smarte“ Steuerung von Heizung, Lüftung und Klimatechnik. Mittel- bis langfristig ist eine wesentliche Herausforderung, Kraft-Wärme-Kopplung und Wärmepumpen flexibler zu machen und systemdienlich zu integrieren: Denn wie Elektrofahrzeuge können auch sie eine ausgleichende Rolle übernehmen und so ein Energiesystem, das immer mehr auf Energieträgern mit volatiler Leistung beruht, unterstützen und stabilisieren.
Fazit: Egal, wie die Koalitionsverhandlungen am Ende ausgehen, eines ist sicher: Die nächste Regierung wird in der Energie- und Klimapolitik Weichen stellen, deren Auswirkungen – auf Deutschland als Wirtschaftsstandort genauso wie auf den Klimaschutz – weit über die vier Jahre der Legislaturperiode hinausreichen. Daher sollten Augenmaß und langfristiges Denken im Vordergrund stehen, parteipolitisches Taktieren hintangestellt werden. Allen Wahlprogrammen lässt sich etwas Sinnvolles entnehmen – das lässt für die Koalitionsverhandlungen hoffen!