Frau Hendricks, die USA fallen als Führungsmacht für die Klimapolitik auf absehbare Zeit aus. Was bedeutet das für Deutschland und die Europäische Union?
Die Europäische Union muss jetzt gemeinsam mit China, Kanada und anderen wichtigen Partnern eine Führungsrolle übernehmen.
Für den EU-China-Gipfel ist deshalb eine substanzielle Klimaerklärung vorbereitet worden, deren Verabschiedung dann an Unstimmigkeiten über die Handelspolitik gescheitert ist. Wie wichtig ist Klimaschutz für China und die EU denn wirklich? Beide haben unmittelbar nach der Ausstiegserklärung des amerikanischen Präsidenten Donald Trump aus dem Pariser Abkommen geschworen, sich nicht aufhalten zu lassen.
Sowohl China als auch die EU haben verstanden, dass eine aktive Klimaschutzpolitik ihre Volkswirtschaften modernisiert, Arbeitsplätze und Sicherheit schafft, die Gesundheit und den Wohlstand ihrer Bevölkerung sichert. Sie haben eindeutig die Umsetzung des Pariser Abkommens bekräftigt. Sie waren und sind sich darin einig, nur gab es aus anderen Gründen keine den Klimaschutz umfassende Gipfelerklärung. Sie werden unabhängig davon ihre Zusammenarbeit intensivieren.
Wie schätzen Sie die Rolle Indiens ein?
Sehr wichtig ist, dass die zahlreichen großen Investitionsentscheidungen, die Indien in nächster Zeit treffen wird, klimaresilient sind – also die Widerstandsfähigkeit des Landes gegen den Klimawandel stärken. Es gibt gerade für Indien große Herausforderungen, denn für die Regierung hat begreiflicherweise oberste Priorität, das Land mit Strom zu versorgen. Der indische Energieminister hat kürzlich bei seinem Berlin-Besuch darauf hingewiesen, dass Indien 75 Jahre nach der Unabhängigkeit 2022 dieses Ziel erreicht haben will. Indien hat zahlreiche Pläne für ursprünglich geplante Kohlekraftwerke aufgegeben. Dennoch wird es auch in Zukunft noch Entscheidungen in Richtung Kohlekraftwerke treffen. Das ist nicht zu vermeiden. Da können wir auch nicht mit einer europäischen Überheblichkeit rangehen. Trotzdem weiß man in Indien, wohin der Weg führt: Der Anteil der neu installierten erneuerbaren Energien wird rasch zunehmen und die Kohle bei der Neuinstallation schnell überholen.
Was wäre Ihre Wunschformulierung für das Klimakapitel im Schlussdokument für den G-20-Gipfel in Hamburg Anfang Juli?
Ich würde ich mir natürlich drei Dinge wünschen: ein klares Bekenntnis der G20 zu den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens, eine klare Bekräftigung der finanziellen Zusagen, die die Industrieländer gegeben haben, und eine klare Verpflichtung zu dem Bestreben, die eigenen Klimaschutzpläne auch einzuhalten. Für einige der G-20-Staaten ist das ja gar nicht so einfach. In Saudi-Arabien hängt die ganze Volkswirtschaft am Öl. Da ist das Umkehren objektiv nicht so einfach, auch für Russland ist das nicht so einfach, weil die gesamte Volkswirtschaft von Öl und Gas abhängig ist. Ich will sie deshalb nicht aus der Verantwortung entlassen, aber dass da noch große Schritte gegangen werden müssen, das müssen wir auch als Industriestaaten so sehen. Wir sind von der Rohstoffproduktion nicht abhängig, aber andere schon, und für die ist das noch mal eine ungleich größere Herausforderung.
In Afrika kommt ein halbes Dutzend Länder neu dazu. Sie haben Öl und Gas gefunden und sind gerade in die Förderung eingestiegen oder bereiten das vor. Es werden auch viele Kohlekraftwerke gebaut. Kann die Welt den Afrikanern denn sagen: Leider seid Ihr schon wieder zu spät dran?
Sicher nicht. Es ist eine ziemlich simple ökonomische Frage. Der Ölpreis liegt schon länger ziemlich weit unten. Öl und Gas werden auf Dauer nicht wettbewerbsfähig sein. Investitionen in die Erschließung von Öl und Gas können schnell zu Fehlinvestitionen werden. Viele Investoren – auch nicht afrikanisches Geld – werden abwägen, ob daraus „frustrierte Investitionen“, stranded investments, werden. Wenn man beispielsweise auf Venezuela guckt, dann ist das Land deshalb in so großen Schwierigkeiten, weil der Ölpreis so niedrig ist. Und weil das, was sie in den vergangenen Jahren auch zu Gunsten eines bescheidenen Wohlstands für die Bevölkerung aufgebaut haben, jetzt nicht mehr zu halten ist. Wenn man sich das überlegt, werden sicherlich auch afrikanische Staaten das vor Augen haben und bewerten.
Frau Hendricks, Sie haben offensichtlich Geschmack an Ihrem Amt gefunden. Machen Sie nach der Wahl weiter?
Erst einmal haben die Wählerinnen und Wähler das Wort, und dann bleibt abzuwarten, welche Regierung gebildet werden kann, und erst am Ende stehen die Personalentscheidungen. Aber ja, ich würde schon gerne weiter machen, weil dieses Amt mit allen seinen Herausforderungen wirklich wichtig ist und mir gerade der Umgang mit schwierigen Fragestellungen, für deren Lösung man weit mehr als eine Legislaturperiode braucht, auch Freude macht.
Würden Sie selbst, wenn Sie bleiben, oder Ihrem Nachfolger raten, wenn es jemand anderes wird, die Ämter des Landwirtschafts- und des Verkehrsministers gleich mit zu übernehmen? Von Ihnen hat man zuletzt oft mehr zu den Themen gehört als von ihren Kollegen.
Ach wo, natürlich nicht. Es geht genau andersherum. Es muss so sein, dass die Impulse, die wir geben und die von den Kollegen im Verkehrsministerium und im Agrarministerium ja fachlich auch gar nicht bestritten werden, zur gemeinsamen Regierungspolitik werden. Wir brauchen in der nächsten Legislaturperiode eine echte Mobilitätswende, von der in der Verkehrspolitik bisher nichts zu sehen ist. Aber das ist natürlich zu allererst Aufgabe des Verkehrsministers. Dass das ansteht, weiß jeder, der sich für Verkehrspolitik verantwortlich fühlt. Dass es in der Landwirtschaftspolitik Fehlentwicklungen gibt, ist auch den Landwirtschaftspolitikern bekannt. Ich halte uns zugute, dass wir in den vergangenen vier Jahren viele Impulse in diese Richtung gegeben haben. Das Düngepaket haben wir letztendlich erfolgreich – auch zusammen mit den Ländern – geschnürt. Auch der Stickstoffbericht, den das Kabinett in der vergangenen Woche beschlossen hat, zeigt, dass wir uns auf einem guten Weg befinden. Umwelt- und Klimaschutz sind Querschnittaufgaben, die keine Umweltministerin im Alleingang bewältigen kann. Dazu braucht es die Zustimmung der gesamten Regierung. Bedauerlich ist, dass die Union in letzter Minute das neue Gentechnikrecht hat platzen lassen. Wir waren uns da mit Umwelt- und Landwirtschaftspolitikern über beide Fraktionen hinweg einig, aber die Forschungspolitiker der Union können einfach nicht von ihren Gentechnik-Träumen lassen.
Wie könnte die Nachhaltigkeitsstrategie, die das Kabinett erst vor kurzem beschlossen hat, das erreichen, was Sie eben beschrieben haben?
Aus meiner Sicht könnte man mit der Nachhaltigkeitsstrategie gut vorankommen, wenn wir unseren Klimaschutzplan 2050 umsetzen. Da haben wir klare Ziele für die einzelnen Wirtschaftsbereiche benannt, auch mit Zwischenschritten für 2030. Daraus ergeben sich auf jeden Fall Verknüpfungen zu den Nachhaltigkeitszielen. Darüber hinaus brauchen wir zur Erreichung der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele der UN, die mir sehr wichtig sind, auch die Anstrengung der anderen Ministerien. Ich finde es gut, dass wir unsere Nachhaltigkeitsziele auf die globalen 17 Ziele ausgerichtet haben. Andere Länder sind noch nicht so weit, auch die EU noch nicht. Das habe ich im EU-Umweltministerrat schon angemahnt. Leider sieht die EU- Kommission das bisher noch nicht so. Die EU-Nachhaltigkeitsziele sind veraltet. Wir können in Europa doch nicht so tun, als ob es nach der Verabschiedung der UN-Nachhaltigkeitsagenda überall auf der Welt weiterer Anstrengungen bei der Nachhaltigkeit geben muss, nur in der EU nicht. Da werden wir noch mehr Druck machen müssen. Das liegt ja auch alles nah beieinander. Klima und Nachhaltigkeit lässt sich ja kaum trennen. Auch beim Petersberger Klimadialog waren wir der Meinung, dass man die beiden Prozesse in den Vereinten Nationen, also Klima und Nachhaltigkeitsziele, miteinander verknüpfen muss.
Warum kommt Deutschland beim Naturschutz, beim Erhalt der Biodiversität kaum voran? Die Biodiversitätsstrategie ist gerade zehn Jahre alt geworden, sie ist immer noch aktuell, und die Erfolge sind überschaubar. Woran liegt das?
An der Art und Weise, wie wir Landwirtschaft betreiben. Das ist nicht zu bestreiten. Da haben wir auch weitere Verluste. Wir haben einige Verbesserungen bei Biotoptypen, etwa bei Fließgewässern und deshalb auch bei Auenwäldern und wir haben auch Verbesserungen im Wald und an den Waldrändern. Dank der Naturschutzpolitik des Bundes wurde das Grüne Band an der ehemaligen innerdeutschen Grenze gesichert und das Nationale Naturerbe haben wir in dieser Legislaturperiode noch einmal deutlich vergrößert. Wir haben mit dem Beschluss über das „Blaue Band“ – da geht es um die Renaturierung von Wasserwegen, die nicht mehr im bisherigen Umfang als Wasserstraßen benötigt werden– einen wichtigen Schritt gemacht, um Auen langfristig wieder herzustellen. Das ist ein guter Erfolg, der sich aber erst in den kommenden 20 bis 30 Jahren in seiner ganzen Dimension zeigen wird. Wo wir leider die größten Verluste haben, ist in der Agrarlandschaft. Da haben wir die größten Biodiversitätsverluste bei Pflanzen, Insekten und Vögeln.
Da sind wir dann wieder beim Stickstoff.
Ja. Das stimmt. Und bei der Intensität der Bewirtschaftung.
Das Gespräch führte Dagmar Dehmer.