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Energie & Klima

Standpunkte Aus Krisen muss man lernen – Energiesicherheit gibt es nicht zum Nulltarif

Philipp Steinberg, Abteilungsleiter Wirtschaftsstabilisierung, Energiesicherheit, Gas, Wasserstoffinfrastruktur im Bundeswirtschaftsministerium
Philipp Steinberg, Abteilungsleiter Wirtschaftsstabilisierung, Energiesicherheit, Gas, Wasserstoffinfrastruktur im Bundeswirtschaftsministerium Foto: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz

Über den Import von Flüssigerdgas (LNG) wird heftig diskutiert. Häufig geschieht dies nicht mit der notwendigen Sachlichkeit, kritisiert Philipp Steinberg. Der Abteilungsleiter Wirtschaftsstabilisierung, Energiesicherheit, Gas, Wasserstoffinfrastruktur im Bundeswirtschaftsministerium findet: Es ist Zeit für eine Klarstellung zur deutschen Strategie.

von Philipp Steinberg

veröffentlicht am 25.10.2024

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Als am 26. September 2022 die Bilder der gesprengten Nord-Stream-Pipeline um die Welt gingen, war auch den letzten klar, dass die deutsche Gasversorgung vor einer Zäsur steht. Bereits Monate zuvor hatte Russland im Zuge des Angriffskrieges auf die Ukraine die Erdgaslieferungen – trotz funktionierender Pipelines – massiv gedrosselt. Im September 2022 war dann klar: Aus Russland wird kein Gas mehr kommen, 55 Prozent des deutschen Gasbedarfs müssen umgehend anderweitig beschafft werden.

Die Folgen wurden für alle spürbar: Gaspreise stiegen auf das Zehnfache des Vorkriegsniveaus, Städte schalteten die nächtliche Beleuchtung an ihren Gebäuden aus, der Bund übernahm die Energieunternehmen Uniper und Gazprom Germania und die deutsche Industrie warnte vor Produktionsstopps mit schwerwiegenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen für das ganze Land.

Es ist der politische Anspruch der Bundesregierung, dass sich eine solche Situation energiepolitischer Verwundbarkeit der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt unter keinen Umständen wiederholen darf. Die LNG-Terminals sind Teil unserer Antwort darauf. Den Großteil seines Gasbedarfs deckt Deutschland zwar aus Norwegen sowie mittels LNG, welches in den Niederlanden und Belgien anlandet. Die Kapazitäten dieser Korridore sind jedoch nahezu ausgelastet. Deshalb wird eine zusätzliche Gasversorgungsquelle benötigt, um drohenden Engpässen entgegenzuwirken und alternative Versorgungsmöglichkeiten bereitzuhalten, auf die in Zeiten erhöhter Nachfrage und in Notfällen zurückgegriffen werden kann.

Bereits im März 2022 beschloss die Bundesregierung daher, LNG-Terminals zu errichten – das erste ging innerhalb von nur neun Monaten in Betrieb und das mit den nötigen umweltrechtlichen Prüfungen. Noch heute erreichen das Bundeswirtschaftsministerium dazu Anfragen aus aller Welt. Man möchte wissen, wie Deutschland es in so kurzer Zeit geschafft hat, funktionierende LNG-Terminals aufzubauen und sich vom russischen Gas unabhängig zu machen.

In Deutschland gibt es teilweise eine andere Wahrnehmung: Planungen seien angeblich überdimensioniert, die Terminals zu teuer und aufgrund der sich vermeintlich beruhigenden Lage überflüssig, sie hielten uns in der fossilen Vergangenheit gefangen: Deutschland im „LNG-Rauschhieß es in einem früheren Standpunkt.

Absicherung mit Augenmaß

Höchste Zeit für einen nüchternen Blick: vier LNG-Schiffe an drei Standorten sind aktuell im Regelbetrieb. Darunter sind zwei von einem privaten Unternehmen betriebene LNG-Schiffe am Standort Mukran, einem Industriehafen, der nach intensiver Prüfung ausgewählt wurde, weil er die besten Voraussetzungen bietet. Wir haben es uns dabei nicht einfach gemacht, aber schlussendlich war klar: Versorgungssicherheit im Osten gibt es nur mit Mukran. Das haben auch die Gerichte bestätigt: Bis heute sind sämtliche Klagen gegen das Projekt gescheitert. Die drei bestehenden Standorte werden voraussichtlich in diesem Winter durch zwei weitere Nordsee-Standorte ergänzt. Insgesamt werden dann sechs LNG-Schiffe in Deutschland im Einsatz sein.

Eine Exit-Strategie wurde von Anfang an mitgedacht. Der Staat wird sich nach der kurzfristig notwendigen Intervention schrittweise zurückziehen: Beschlossen sind zwei landseitige Terminals in Brunsbüttel und Stade, die die schwimmenden Terminals (FSRU) ersetzen – und spätestens nach 2043 grüne Gase importieren können. Länger verbleiben nur die drei Schiffe in Mukran und Wilhelmshaven, letzteres maximal zehn Jahre.

Der Gesamtkapazität der neuen LNG-Terminals von rund 35 bis 40 Milliarden Kubikmeter pro Jahr stehen 55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr ausgefallene Mengen aus Russland entgegen, die früher über Nord Stream I nach Deutschland geflossen sind. Allein schon das zeigt: Hier wurde nicht blind neu aufgebaut, was vorher weggefallen war, sondern der in Anbetracht des zukünftig voraussichtlich sinkenden Gasverbrauchs unter Sicherheits- und Kosten-Nutzen-Aspekten sinnvolle Mittelweg gefunden.

Teilauslastung ist der europäische Regelfall

Auch kann man Infrastrukturen wie LNG-Terminals nicht „Spitz auf Knopf“ so auslegen, dass sie gerade so die durchschnittliche Gasnachfrage bedienen können. Sie müssen so bemessen sein, dass sie in Zeiten hoher Nachfrage und bei Ausfällen anderer Gasimportkorridore genug Spielraum bieten, um den Durchsatz zu erhöhen und Fehlmengen auszugleichen. Eine Heizung zu Hause legt man schließlich auch so aus, dass sie das Haus im Winter bei minus zehn Grad noch warm bekommt und gibt sich nicht damit zufrieden, wenn sie gerade so mit der deutschen Jahresdurchschnittstemperatur von 8,2 Grad zurechtkommt. Und: Niemand würde auf die Idee kommen, die örtliche Feuerwehr abzuschaffen, weil es zwei Jahre nicht mehr gebrannt hat.

Dass die Terminals nicht alle vollständig ausgelastet sind – eine häufig vorgebrachte Kritik –, ist übrigens der europäische Regelfall. Die Auslastung schwankte 2023 zwischen 34 Prozent (Spanien) und 84 Prozent (Polen), vor der Krise war sie sogar im Schnitt noch deutlich geringer. Die deutsche Auslastung von 57 Prozent im selben Zeitraum zeigt, dass die deutsche LNG-Terminalstrategie eine Absicherung mit Augenmaß ist. Ferner zeigt das, dass es nicht zum oftmals befürchteten „Lock-in“ durch die Terminals kommt.

Der andererseits bereits Anfang Oktober in der Presse erhobene Vorwurf, der Standort Mukran bliebe hinter den Erwartungen zurück, weil in 2024 nicht die für ein volles Betriebsjahr genehmigten 110 LNG-Ladungen angenommen werden, ist in diesem Kontext besonders absurd. Bis zur Freigabe des kommerziellen Regelbetriebes durch die Behörden am 2. September 2024 konnte das Terminal im Testbetrieb nur wenige LNG-Lieferungen annehmen.

Sicherheit gibt es nicht umsonst

Mindestens unseriös ist die künstliche Hochrechnung der Kosten für die Terminals. Die Deutsche Umwelthilfe hat kürzlich „Beschwerde“ beim Bundesrechnungshof eingereicht: 865 Millionen Euro und Garantien in Höhe von 1,878 Milliarden Euro, somit stolze 2,7 Milliarden Euro öffentliche Mittel flössen angeblich in das private Projekt Mukran. Dass die 865 Millionen Euro vereinfacht gesagt durchlaufende Posten enthalten und Bundesgarantien nur bei geringer Eintrittswahrscheinlichkeit ausgestellt werden können (der Staat hat insgesamt rund 631 Milliarden an solchen Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen in den Büchern), wird unter den Tisch gekehrt. Was von den Kosten für Mukran am Bund hängen bleibt, sind voraussichtlich ganze 36 Millionen Euro, mit denen die Vertiefungsbaggerungen im Hafen finanziell unterstützt wurden. Diese Mittel kommen übrigens dem gesamten Hafen zugute.

Eine zukunftsfähige Gasinfrastruktur

Bleibt die Frage nach dem fossilen Lock-in. Erdgas wird in Deutschland zu etwa einem Drittel zum Heizen verwendet, zu einem Drittel von der Industrie (unter anderem als Rohstoff) und nur zu circa 15 Prozent für die Stromerzeugung genutzt. Eine sehr schnelle flächendeckende Umstellung von Heizungen sowie von Industrieprozessen auf andere Energieformen ist auch unter allen denkbaren Anstrengungen nicht möglich, weshalb Gas in der Kürze der Zeit nicht ersetzt werden kann. Und dennoch arbeitet diese Regierung daran intensiv.

Flüssiggas setzt bei der Verbrennung etwa 30 Prozent weniger CO2 frei als Kohle, hat jedoch aufgrund von Methanfreisetzungen während der Förderung und des Transports klimawirksame Nachteile. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz treibt auch deshalb die Energiewende mit großem Tempo voran. In diesem Jahr werden voraussichtlich über 60 Prozent des Stroms durch erneuerbare Energien erzeugt. Die Nachfrage nach Gas wird abnehmen, und dennoch wird die Versorgung mit Gas für Deutschland und seine Wirtschaft kurz- und mittelfristig wichtig bleiben. Aktuell werden die von Deutschland zu importierenden Mengen auf 60 bis 75 Milliarden Kubikmeter jährlich bis 2030 geschätzt.

Gesetzlich ist der Betrieb der LNG-Terminals bis 2043 begrenzt. Deutlich früher zieht sich der Staat aus dem Betrieb der Terminals zurück. Er hat übrigens auch darauf geachtet, dass die landseitigen Terminals für Wasserstoff beziehungsweise dessen Derivate geeignet sind. Zudem wurden für die schwimmenden LNG-Terminals, die zwar nicht umstellbar auf Wasserstoffderivate sind, wichtige kostenintensive Infrastrukturen geschaffen (zum Beispiel Schiffsanleger), welche für die Anlandung von „grünen Gasen“ benötigt werden und alle an das Wasserstoffkernnetz angeschlossen werden. Denn auch die Zukunftsfähigkeit macht eine verantwortungsvolle Versicherung aus. Mir dem Betrieb der landseitigen Terminals wird der Betrieb der jeweiligen FSRU am Standort beendet.

Wenn Deutschland aus der Atomkraft und der Kohle aussteigt, wird Gas als Übergangsenergieträger benötigt. Gleichzeitig bedarf es weiter einer ambitionierten Klimapolitik, die auf Elektrifizierung, Effizienz und – wo immer nötig – grüne Gase setzt. Dadurch verhindern wir einen Lock-in und werden zukunftsfähig. Eine obsessive Fokussierung auf Gas, das unsere Energiesicherheit in der Transition sichert, geht fehl.

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