Standpunkte Es braucht eine Ausbauoffensive für Solarstrom

Mit der Insolvenz des Solarunternehmens Solarworld ist offenbar noch nicht alles vorbei. Für zwei Fabriken haben sich inzwischen auch Käufer gefunden. Carsten Körnig beschreibt in seinem Standpunkt, welche Rolle er für die Solarwirtschaft in der Energiewende sieht.

von Carsten Körnig

veröffentlicht am 13.08.2017

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Es ist sicherlich ein positives Signal, dass sich Investoren für die Solarfabriken in Sachsen und Thüringen gefunden haben. Sie wissen sich damit in guter Gesellschaft mit weiteren Solarunternehmern, die in den vergangenen Jahren dem Standort Deutschland treu geblieben sind und mit Qualitätsprodukten und intelligenten Systemlösungen „Made in Germany“ einem harten internationalen Wettbewerb trotzen – unter teils widrigen politischen Rahmenbedingungen.


Energieexperten sind sich inzwischen einig, dass die Solarstrom-Erzeugung in den nächsten Jahren vervielfacht werden muss, um den rasant wachsenden Bedarf an sauberer Energie im Strom-, Wärme- und Mobilitätssektor zu decken. Die konsequente Umgestaltung der Energieversorgung ist eine globale klimapolitische Herausforderung. Kein Land der Erde kommt an ihr vorbei. Wenn wir die Klimaschutzziele von Paris nicht krachend verfehlen möchten, muss auch Deutschland deutlich an Tempo zulegen. Die von der Bundesregierung selbst gesetzten CO2-Mindungsziele für das Jahr 2020 sind bereits außer Reichweite.


Chancen nutzen, bevor es andere tun


Gerade  der Technologie- und Exportnation Deutschland bietet die Energiewende auch bedeutende wirtschaftliche Wertschöpfungspotenziale. Der industrie- und geopolitische Stellenwert des international inzwischen hart umkämpften Zukunftmarkts erneuerbare Energien wurde in den vergangenen Jahren aber leider stark vernachlässigt. Beim Thema Elektromobilität könnte sich das nun schmerzlich zu wiederholen. Es ist höchste Zeit, die wirtschaftlichen Chancen neuer Energie- und Antriebstechnologien beherzter für unser Land zu nutzen! Ihr Entwicklungstempo darf nicht länger von den Beharrungskräften der Öl- und Kohlelobby bestimmt werden! Denn Bremser werden unweigerlich auf der Strecke bleiben.


Der globale Handlungsdruck zu Dekarbonisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung unserer Energieversorgung lässt sich nicht aufhalten! Die revolutionären Fortschritte auf dem Feld der Photovoltaik und Batterietechnologie führen uns dies einleuchtend vor Augen.


Deutschland bleibt als Solarpionier zurück


Ausgerechnet vom Solarpionier und Energiewendeland Deutschland werden diese Entwicklungsfortschritte in den letzten Jahren viel zu wenig genutzt. Dies ist umso unverständlicher, da Solarstrom im Kraftwerksmaßstab auch hierzulande inzwischen bereits für rund fünf Cent je Kilowattstunde erzeugt werden kann. Landauf, landab kann die Kraft der Sonne auch auf dem Eigenheim- oder Gewerbedach bereits weit unter den Kosten konventioneller Stromtarife geerntet werden.


Um die gewaltigen noch brachliegende Potenziale der Solarenergie zu heben und mit der Solarwirtschaft gleichzeitig eine der wichtigsten Zukunftsbranchen im Land zu halten und zu neuem Glanz zu verhelfen, bedarf es künftig keiner neuen Fördermilliarden mehr. Photovoltaik hat sich vom teuren High-Tech-Produkt zum Preisbrecher innerhalb der Energiewirtschaft gemausert.


Weg mit den Ausbaubremsen


Um die Früchte technologischen Fortschritts zu ernten, müssen zahlreiche Photovoltaik-Ausbaubremsen endlich gelöst werden. So ist nicht nachvollziehbar, warum der inzwischen preiswerte Photovoltaikausbau gesetzlich immer noch auf 52 Gigawatt (GW) gedeckelt wird und Solarenergie damit nicht einmal zehn Prozent unseres Strombedarfs decken darf. Es gilt als wissenschaftlich ausgemacht, dass der Solarisierungsbedarf und das wirtschaftliche Potenzial der Photovoltaik um ein Vielfaches höher liegen. Neben der Windenergie muss Solarenergie zur tragenden Säule der Energieversorgung ausgebaut werden. Der Solardeckel – ursprünglich eingezogen aus Angst vor zu hohen Kosten – muss jetzt fallen! Er ist eine gravierende Investitionsbarriere für die gesamte Branche.


Vor Ort erzeugter Solarstrom zur Eigen- oder Nachbarschaftsversorgung im Wohnquartier oder Gewerbegebiet benötigt keine hohen Zuschüsse mehr, wohl aber faire Rahmenbedingungen. Es ist ein Unding, dass Solarstrom, der vom Mittelstand selbst erzeugt und genutzt wird oder auch Mieterstrom weiterhin mit der EEG-Umlage („Sonnensteuer“) belastet wird, während gleichzeitig große Teile der energieintensiven Industrie nicht für den Klimaschutz zahlen müssen! Wer Solarenergie erzeugt und nutzt, der nützt auch der Allgemeinheit – durch Verringerung der Klimafolgekosten und durch geringeren Netzausbau. Anstatt Klimaschützer zur Kasse zu bitten und damit zu verschrecken, muss die Finanzierung der Energiewende künftig konsequenter durch die Verursacher des Klimaproblems erfolgen: Die intelligente Einführung eines Mindestpreises für Produkte mit einem hohen Kohlendioxidausstoß ist längst überfällig und zum Erreichen der Klimaschutzziele ebenso erforderlich wie der rechtzeitige Ausstieg aus der Kohleverstromung. Beides wäre sozialverträglich möglich.


Der Heimatmarkt muss der Leitmarkt sein


Ein starker Solarmarkt im Inland ist eine unverzichtbare Basis für den weiteren Erfolg heimischer Premiumanbieter, die neben Solarmodulen auch Wechselrichter und andere Systemtechnik herstellen und deren Erzeugnisse weltweit gefragt sind.


Allein schon der erwartete Umstieg auf die Elektromobilität erfordert hierzulande eine Vervielfachung der Dynamik bei der Installation der Solarenergie und Speicher. Neben der erforderlichen Bereitstellung einer dichten Ladeinfrastruktur muss der jährliche Photovoltaik-Ausbau in der nächsten Legislaturperiode deshalb vervielfacht, die Ausbauziele entsprechend angepasst werden. Andernfalls werden in einigen Jahren hunderttausende neuer Elektroautos mit heimischem Kohle- oder französischem Atomstrom fahren.


Die Zukunft der zivilisierten Menschheit auf unserem Planeten steht und fällt mit dem rechtzeitigen Umstieg auf erneuerbare Energien. Die notwendigen Technologien dafür sind inzwischen entwickelt und größtenteils auch preisgünstig verfügbar. Solarenergie und Speichertechnologien wird dabei eine Schlüsselrolle zukommen. Die Nachfrage nach ihnen steigt deshalb seit Jahren weltweit rasant. Noch verfügt Deutschland über eine einmalige solare Forschungsstruktur und hält strategisches Know-how für eine Schlüsseltechnologie im Land. Noch verfügen wir über die gesamte solare Wertschöpfungskette vom Rohstoff Silizium über den Maschinen- und Anlagenbau bis hin zu zahlreichen Anbietern stationärer Batteriespeicher. Diesen wertvollen Trumpf dürfen wir – auch für künftige Exporterfolge – keinesfalls aus der Hand geben!“


Carsten Körnig ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW) und Vizepräsident des Bundesverbands Erneuerbare Energien (BEE)

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