Herr Thimann, im Pariser Abkommen steht, dass das Finanzsystem klimafreundlicher werden muss. Welche Akteure sind da ganz vorne dabei?
Grundsätzlich gilt: Je langfristiger ein Akteur investiert, desto wichtiger und üblicher ist es für ihn, langfristige Risiken einzupreisen. Das gilt insbesondere für Pensionsfonds und Versicherer. Axa prüft bereits seit vielen Jahren Klimarisiken, wenn wir etwa Unternehmen gegen Umweltkatastrophen versichern.
Relativ neu ist, dass wir auch Unternehmensanleihen oder Aktien, in die wir investieren, auf Klimarisiken oder Klimaauswirkungen prüfen. Axa ist dabei 2015 einen ersten konkreten Schritt gegangen und hat die Entscheidung getroffen, Geld aus jenen Konzernen abzuziehen, die mindestens die Hälfte ihres Umsatzes mit Kohle machen. Die Kriterien haben wir mittlerweile verschärft.
Wie weit sind etwa Banken?
So wie ich das wahrnehme, setzt sich bei Banken mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass Investitionen und Kredite in die fossile Branche mit Risiken einhergehen können. Akteure allerdings, die sehr kurzfristig investieren wie viele Hedgefonds, haben das nicht auf dem Schirm. Bei den klassischen Vermögensverwaltern waren lange Zeit grüne Fonds eine Nische, aber auch das ändert sich rasch. Immer mehr Finanzinvestoren stellen fest: Wir müssen uns für langfristige Klimarisiken interessieren.
Was viele allerdings unterschätzen, und darin besteht die Gefahr, ist, dass wir ja schon mitten im Klimawandel stecken. Heutige Investitionsentscheidungen können zu mehr Klimaschutz beitragen oder das Gegenteil bewirken. Vor diesem Hintergrund ist es so wichtig, dass der von der Europäischen Kommission erarbeitete Aktionsplan dafür sorgt, dass sämtliche Investoren Klimarisiken berücksichtigen müssen.
Der Aktionsplan beruht auf Vorschlägen einer Expertengruppe aus der Finanzwelt, die Sie geleitet haben. Zehn konkrete Schritte werden jetzt benannt, wie die Finanzwelt nachhaltig umgebaut werden kann. Braucht das Thema Vorgaben durch die Politik?
Unbedingt. Politik kann Klarheit schaffen. Was ist ein nachhaltiges Finanzprodukt, was nicht? In welchen Bereichen braucht es mehr Investitionen? Wie verhält sich ein Vermögensverwalter korrekt, wenn er Umweltfragen mit einbeziehen will? Das ist gerade in den Vorgaben zur Treuhänderpflicht bisher unzureichend thematisiert.
Ein Produkt, das etwa sozial nachhaltig ist, muss nicht unbedingt klimafreundlich sein. Wie geht der Aktionsplan dieses Problem an?
Indem zunächst die Felder und Aktivitäten klar benannt werden, in denen es mehr Investitionen geben muss, damit die Realwirtschaft nachhaltiger oder grüner wird. Denn es geht ja nicht allein um ein stabiles Finanzsystem im Klimawandel, sondern um ein Finanzsystem, dass die Realwirtschaft nachhaltiger macht. Im Bereich Energie muss es also mehr Investitionen in erneuerbare Energien geben, in saubere Mobilität oder Speichertechnologien. Auf weitere Detailvorgaben wird jedoch verzichtet, damit man sich nicht vorschnell auf eine bestimmte Technologie festlegt. In weiterem Kreis geht es dann um Investitionen für mehr Klimaschutz in anderen Bereichen, etwa in der Landwirtschaft.
In einem zweiten Schritt könnte die Politik überlegen, ob sie Investitionen in diesen Feldern eine gewisse Förderung zukommen lässt, wie es etwa schon im Bereich der erneuerbaren Energien oder im Umweltschutz geschieht. Die Kommission hat etwa angeregt, die Latte einer Kapitalhinterlegung für grüne Finanzanlagen zu senken.
Diesen Punkt haben etwa die Bundesbank und sogar Umweltorganisationen kritisiert, weil sie sagen, dass Nachhaltigkeit nicht unbedingt mit geringeren Risiken einhergehe.
Das ist tatsächlich sehr kompliziert. Die Kapitalhinterlegung dient dazu, finanzielles Risiko abzufedern. Die Latte dabei zu senken ist nicht unproblematisch. Unsere Empfehlung als Expertengruppe ist es, die Kapitalhinterlegung nur dann zu senken, wenn wirklich klar ist, dass auch die Finanzrisiken geringer sind.
Ein weiterer Vorschlag der EU-Kommission ist es, dass Investoren und Banken über ihre Nachhaltigkeit in ihren Standardreports besser Bericht erstatten müssen. Frankreich ist hier bereits Vorbild. Was ist davon zu halten?
Diesem Vorschlag ist einiges Positives abzugewinnen. Gleichzeitig birgt er Risiken und zwar dann, wenn man sich zu starr an Paragrafen orientieren würde. Laut Aktionsplan ist vorgesehen, dass Unternehmen sich darüber Gedanken machen sollen, inwieweit sie bei ihren Geschäftsentscheidungen die Erfordernisse einer Zwei-Grad-Welt berücksichtigen. Darüber sollen sie dann berichten.
Doch es ist überhaupt nicht einfach, festzustellen, wann Geschäftsentscheidungen genau gegen die Zwei-Grad-Welt verstoßen und wann nicht. Um das zu messen, müssen die richtigen Methoden oder entsprechende Leitfäden entwickelt werden. Das ist Neuland, und man muss den Unternehmen wie auch der Politik einige Jahre die Möglichkeit zu lassen, Erfahrungen zu sammeln.
Wie gut ist der Aktionsplan letztendlich geworden?
Ich finde, er ist sehr gelungen. Man darf nicht vergessen, dass er sehr schnell auf die Beine gestellt wurde. Im Dezember 2015 war das Pariser Abkommen, 2016 die Ratifizierung, 2017 der Entwurf der Expertenkommission, und im Frühjahr 2018 hat man schon ein Dokument der EU-Kommission in den Händen. Nun geht es darum, entsprechende Gesetzesinitiativen auf den Weg zu bringen, damit Vorschläge aus dem Plan umgesetzt werden. Das sollte möglichst noch in diesem Jahr passieren. Denn 2019 wird Europa mit der EU-Parlamentswahl beschäftigt sein.
Werden Vorschläge aus dem Plan umgesetzt, ist das EU-Finanzsystem beim Klimaschutz gut aufgestellt. Als eines der weltweit größten Finanzsysteme hat es auch globales Gewicht. In Zukunft wird es dennoch auch darum gehen müssen, Länder außerhalb Europas mit an Bord zu holen, etwa über die G-20Kreise, und insbesondere bei den großen Schwellenländern wie China und bei den USA sollte man nicht lockerlassen.
War die Entscheidung von Axa zum Divestment eine Investitionsentscheidung oder eine, die das Unternehmen aus moralischen Gründen getroffen hat?
Es war beides. Als langfristiger Investor haben wir eine Verantwortung. Aber natürlich wissen wir mittlerweile auch, dass langfristig die Investitionen in Kohle einem Risiko unterliegen werden. Wir sind als Versicherer ganz direkt davon betroffen, wenn Umweltkatastrophen zunehmen. Eine plus Vier-Grad-Welt ist für uns schlicht nicht versicherbar.
Es waren 500 Millionen Euro, die zunächst umgeschichtet werden mussten. Wie schwierig war der Divestment-Prozess?
Die eigentliche Umschichtung des Geldes stellte keine Herausforderung dar. Der Prozess dauerte bei uns sechs Monate. Grundsätzlich gibt es zwei Wege des Divestment: Erstens kann man betroffene Anleihen auslaufen lassen und kauft eben keine mehr nach. Zweitens besteht die Möglichkeit, Anleihen oder Aktien der betroffenen Unternehmen zu verkaufen und das Geld stattdessen in Erneuerbare- und Klimaprojekte anlegen.
Die größere Summe steht jetzt an: 2,4 Milliarden Euro wird Axa aus fossilen Unternehmen abziehen, da wir die Kriterien verschärft haben. Zusätzlich haben wir uns vorgenommen, bis 2020 zwölf Milliarden Euro in Erneuerbare- und Klimaprojekte zu investieren. Allerdings gibt schlicht noch nicht genug grüne Projekte, in die wir investieren können. Das gilt vor allem für den Bereich grüne Infrastruktur.
Laut Aktionsplan besteht eine Investitionslücke in Höhe 180 Milliarden Euro jährlich, um die Klimaziele 2030 zu erreichen.
Das zeigt, dass es einen riesigen Investitionsbedarf gibt. Deutschland ist beim Thema weiter als andere Länder Europas. Besonders die öffentliche Hand muss grüne Infrastruktur oben auf die Agenda setzen, damit der Finanzmarkt wiederrum Unterstützungsmöglichkeiten hat. Das Problem wird im Aktionsplan in einem eigenen Kapitel adressiert.
Das Interview führte Nora Marie Zaremba.
Christian Thimann, seit 2014 in leitender Funktion beim französischen Versicherer Axa in Paris tätig, war Vorsitzender der EU-Expertenkommission zum Thema nachhaltiger Finanzierung.
Divestment bei Axa:
2015 hatte der Versicherer Axa entschieden, Investitionen in Höhe von 500 Millionen Euro aus Unternehmen abzuziehen, die mehr als die Hälfte ihres Umsatzes in der Kohlebranche erwirtschaften. Dieses Ziel wurde Ende 2017 auf 2,4 Milliarden Euro erhöht – und soll Unternehmen betreffen, die mehr als 30 Prozent ihres Umsatzes aus dem Kohlegeschäft generieren. Betroffen vom Divestment sollen auch alle Unternehmen sein, die den Bau von Kraftwerken mit über 3000 Megawatt neuer Kohlekapazität planen. Auch das Geschäft mit ölhaltigen Sanden soll künftig keinen Versicherungsschutz von Axa mehr bekommen.