„Es sollte relativ leicht sein, sich zu entscheiden“

Den Gedanken an den Ausstieg aus der Braunkohle versüßt der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung mit einer positiven Vision: Den Chancen des ohnehin nötigen Strukturwandels. Als Mitglied der Kohle-Kommission sieht sich Hans Joachim Schellnhuber nicht nur als Kämpfer für mehr Klimaschutz, sondern auch als Fürsprecher von Innovationen.

veröffentlicht am 23.08.2018

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Copyright: Frédéric Batier

Herr Professor Schellnhuber, wie sehen Sie die Aufgaben der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung?


Es geht dabei um eine große und eine kleine Frage. Die kleine Frage ist: Kann Deutschland sein Klimaziel für 2020 noch erreichen? Die Antwort kennen wir bereits: wohl nicht. Aber wir können noch einiges tun, um zumindest möglichst nahe heranzurücken. Das bedeutet offenkundig, dass man Emissionen relativ schnell dort reduzieren muss, wo man mit relativ geringem Aufwand die größten Hebelwirkungen erzielen kann. Also insbesondere bei der Braunkohleverstromung.


Die große Frage ist dagegen, wie langfristig ein gesellschaftlicher Strukturwandel gelingen kann, der nichts weniger bedeutet als die Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft. Wohlgemerkt, es geht hier nicht um Deindustrialisierung – ganz im Gegenteil. Es gilt neue Industrien entstehen zu lassen, etwa im digitalen Bereich. Moderne Industrien, die sich losmachen von der auf fossilen Brennstoffen basierenden Wirtschaftsweise, welche die industrielle Revolution vor 200 Jahren hervorgebracht hat.


Das heißt, diese Kommission muss Vorschläge erarbeiten, wie Deutschland so schnell wie möglich wieder auf Zukunftskurs gebracht werden kann. Die Klimaziele für 2020 werden hoffentlich nicht zu arg verfehlt werden, und die für 2030 sind einigermaßen ehrgeizig. Aus der globalen Perspektive des Klimaschutzes muss Deutschland sogar zwischen 2040 und 2050 weitgehend emissionsfrei sein.


Der Kohleausstieg sollte also am Anfang stehen?


Das wäre eine der Maßnahmen, die man relativ schnell umsetzen könnte. Denn in der Braunkohlewirtschaft haben Sie inzwischen nur noch 10.000 bis 25.000 Beschäftigte – je nachdem, wie man rechnet. Das ist also ein verhältnismäßig kleiner Unter-Sektor.


In der deutschen Automobilindustrie haben Sie dagegen mindestens eine Million Beschäftigte. Da kann man natürlich nicht schnell aussteigen, allerdings zügig umsteigen auf andere Antriebe. Insofern ist die Überlegung: Kann ich durch die Beendigung der Braunkohleverstromung nicht einen der größten Klimahebel bewegen, und zwar ohne durch diesen Wandel große soziale Härten zu erzeugen?


Was ist Ihre Rolle in der Strukturwandel-Kommission?


Ich bin in erster Linie als Wissenschaftler berufen worden, um die Klimaproblematik und den Sachstand der Forschung zu repräsentieren. Wie dringlich das Problem ist, konnten wir erst kürzlich wieder mit einer Arbeit zu einer möglichen „Heißzeit“ aufzeigen, die weltweit Wellen geschlagen hat.


Ich sehe mich aber auch als jemanden, der für Innovation werben möchte. Der die Möglichkeiten ins Blickfeld rückt, durch die ein Strukturwandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft angestoßen werden kann. Also nicht: Mich interessiert der Klimaschutz und alles andere ist mir egal. Sondern: Wir haben Regionen, wo wir ohnehin nicht weiter wirtschaften könnten wie bisher, selbst wenn es kein Klimaproblem gäbe.


Warum ist richtig, aus der Braunkohle auszusteigen, selbst wenn es keinen Klimawandel gäbe?


Früher hätte man allein mit der Endlichkeit der Vorräte argumentiert, was nach wie vor korrekt ist. Aber das Problem ist in diesem Fall auch, dass die Umweltschäden der Braunkohleverstromung schlicht massiv sind. Für die Förderung werden ganze Landschaften abgebaggert und Flüsse verschmutzt, und man muss die Bergbaufolgeschäden später mit kostspieligen Maßnahmen beseitigen. Bei der Verstromung entweichen zahlreiche Giftstoffe. Und was die Beschäftigungsperspektiven angeht, werden Mechanisierung und Automatisierung immer mehr Jobs auffressen, so dass der Beitrag zur Zukunftsfähigkeit der Region rapide schwindet.


Und nicht zu vergessen: Braunkohleverstromung ist die mit Abstand klimaschädlichste Art, Strom zu erzeugen. Wenn man mittlerweile doch Alternativen hat – warum nicht zugreifen?


Ich habe oft folgendes Gedankenexperiment durchgeführt: Was wäre, wenn wir eine absolut saubere Form der Stromerzeugung hätten, die aber leider begrenzt ist. Und demgegenüber würde eine unerschöpfliche Quelle stehen, die aber leider umweltschädlich ist. Dann hätten wir ein echtes Dilemma. Aber mit den erneuerbaren Energien haben wir eine Stromerzeugungsform mit unendlicher Reichweite, die zugleich umweltfreundlich ist. Und wir haben die Braunkohle mit begrenzter Reichweite, die extrem klimaschädlich ist. Da sollte es doch relativ leicht sein, sich zu entscheiden…


Wie gut wird die Entscheidung sein, die die Kommission irgendwann fällen muss? Oder wird sie sich nicht einigen können?


Es ist eigentlich ein beispielloser Vorgang. Regierungen werden gewählt, um Zukunftsverantwortung zu übernehmen. Und in der Regel nehmen Kabinett und Parlament diese Verantwortung auch wahr. In diesem Fall ist die Entscheidungsfindung ausgelagert worden in ein zivilgesellschaftliches Gremium. Natürlich kann die Regierung einer Empfehlung am Ende folgen oder auch nicht – das steht ihr frei. Aber ich glaube, dass die Kommission einen Vorschlag entwickeln wird mit großem Gewicht in der politischen Landschaft, den man nicht wieder kassieren kann.


Innerhalb der Kommission werden Entscheidungen mit Zweidrittelmehrheit gefällt. Das ist gut, denn im Konsens kann man solche kritischen Urteile nicht fällen. Und eine einfache Mehrheit würde der Schwere der Verantwortung wohl auch nicht entsprechen.


Zu Beginn dieses Sommers hätte ich noch vermutet, dass die Kommission es sehr schwer haben wird, zu einem Kompromiss zu kommen. Aber unter dem Eindruck dieses Hitzesommers und neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Klimawandel gibt es wohl eine hohe Motivation, zu einem vernünftigen Ausstiegsszenario zu kommen – so mein gegenwärtiger Eindruck.


Denn es ist doch auch so: Wer frühzeitig  auf Innovation setzt, kann auch die beste Förderung bekommen. Wer als letzter in den Innovationsbus einsteigt, darf umgekehrt nicht erwarten, dass er den besten Platz bekommt. Insofern ist es für die Kommission wichtig, dass man die Herausforderung als positiven Auftrag versteht und nicht als verbissene Verteidigung der Braunkohle gegen ein paar hysterische Umweltschützer und Spaßbremsen.


Der Strukturwandel steht so oder so an, der Klimaschutz wird ihn lediglich beschleunigen. Ich denke dass die betroffenen Regionen mit großer Sympathie und auch mit Investitionen rechnen können, wenn sie sagen: Wir versuchen, die Veränderungen nicht auszubremsen, sondern wir stellen uns selbst an die Spitze der Transformation.


Können Sie mit solchen Argumenten gut ins Gespräch kommen, etwa auch mit Michael Vassiliadis von der IG BCE?


Durchaus. Herr Vassiliadis saß in der letzten Sitzung neben mir und wir haben uns freundlich unterhalten. Das sind ja alles kluge Leute in der Kommission, die wissen: Der Strukturwandel ist sowieso nicht aufzuhalten. Es geht nun darum, Interessenskonflikte  in vernünftige Kompromisse umzuwandeln.


Als Wissenschaftler hat man es da vielleicht sogar einfacher, denn wenn ich Gewerkschaftsvertreter bin, oder BDI-Vertreter oder Politiker, dann muss ich natürlich versuchen meiner Klientel den Rücken zu stärken. Aber am Ende geht es doch darum, den „Schutzbefohlenen“ nicht nur kurzfristig, sondern langfristig etwas Gutes zu tun. Und wenn ich bereit bin, langfristig zu denken, dann ist eigentlich völlig klar: Die Braunkohle hat keine Perspektive mehr in Deutschland.


Am Ende werden das auch alle einsehen. Und dann geht es darum, den Ausstiegsfahrplan zu erarbeiten. Da kann ich keine Prognose abgeben, wie das ausgeht.


Aber Sie können Ihr Gebot nennen.


Ich kann da immer nur auf wissenschaftliche Studien verweisen: Wenn wir global das Pariser Abkommen tatsächlich umsetzen wollen, dann muss die Kohleverstromung 2030 enden.


In der Sendung „Anne Will“ haben Sie gesagt, wegen des Klimawandels könnten weite Teile der Erde aus physiologischen Gründen für den Menschen unbewohnbar werden. Wie meinten Sie das?


Bei ungebremstem Klimawandel würden in manchen Weltgegenden Temperatur und Luftfeuchte in einem für den Menschen unerträglichem Maße zusammenwirken. Da geht es nicht ums Wohlfühlambiente, sondern um das nackte Überleben außerhalb klimatisierter Räume. Körperliche Arbeit auf dem Bau oder in der Landwirtschaft würde dann ganz unmöglich. Hierzu gibt es inzwischen eine Reihe von wissenschaftlichen Studien von Fachkollegen. Eine trägt den bezeichnenden Titel „Tödliche Hitzewellen“.


Welche Gebiete der Erde wären betroffen und bei welchem Grad der Erwärmung ist mit dieser Entwicklung zu rechnen?


Eine traurige Ironie: Gerade einige der arabischen Öl-Länder, die mit der Ausbeutung der fossilen Ressourcen reich geworden sind, könnten aufgrund ihrer geographischen Lage und der örtlichen Gegebenheiten schwer betroffen sein. Das wird noch nicht in den nächsten Jahrzehnten geschehen, aber wenn wir weiter unvermindert Treibhausgase ausstoßen, wird irgendwann die Schwelle zum Unerträglichen dort und in vielen Tropenregionen überschritten.


Der wirklich wichtige Teil in dieser Aussage ist aber: Wenn wir weiter unvermindert Treibhausgase ausstoßen! Wir haben es also noch in der Hand. Wir können die Risiken begrenzen, wenn wir CO2-Emissionen rasch reduzieren. Wir müssen nun allerdings schleunigst damit anfangen.


Wird es andernfalls eine Flüchtlingsbewegung geben und wie groß wäre die?


Wenn die Lebensbedingungen für Menschen in einem Land zu schwierig werden, dann gehen sie woanders hin, das erleben wir doch bereits. Die allermeisten von ihnen kommen nicht zu uns, sondern bewegen sich nur innerhalb ihres Landes, aber auch das kann schwere Verwerfungen auslösen, die internationale Wellen schlagen. Von den Folgen des Klimawandels sind weltweit bereits viele Millionen Menschen betroffen. Es ist also ein Gebot der Menschlichkeit, aber auch der Vernunft, Flüchtlinge nicht nur aufzunehmen, so wichtig das ist. Sondern insbesondere etwas gegen die Fluchtursachen zu tun, also gegen den Klimawandel, damit Menschen ihre Heimat erst gar nicht verlassen müssen!


Das Interview führte Susanne Ehlerding.


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