Die wissenschaftlichen Fakten sind eindeutig: Wir befinden uns in einer Biodiversitätskrise. Expert:innen wie Frauke Fischer sprechen vom sechsten Massenaussterben der Erdgeschichte – das fünfte hat zum Aussterben der Dinosaurier geführt.
Immer mehr Akteur:innen in Unternehmen und Finanzwirtschaft haben verstanden, dass es bei Biodiversität nicht nur um den Schutz von Eisbären und Pinguinen geht, sondern dass die biologische Vielfalt die Basis wirtschaftlicher Tätigkeit ist und ihr Verlust direkte Auswirkungen auf Unternehmen hat. Die Lebensmittelindustrie ist beispielsweise auf Insekten angewiesen, die Nutzpflanzen bestäuben.
Biodiversitätskrise für Unternehmen und Finanzindustrie relevant
Fallen derartige Ökosystemleistungen weg, geraten Geschäftsmodelle von Unternehmen ins Wanken. Das wiederum kann in Form von Kreditausfällen oder fallenden Börsenkursen Auswirkungen auf die Kapitalgeber haben.
Dass Ökosystemleistungen nicht nur für einige Unternehmen in der Lebensmittelbranche relevant sind, zeigt eine EZB-Studie: 75 Prozent aller Unternehmenskredite im Euroraum weisen eine starke Abhängigkeit von mindestens einer Ökosystemleistung auf, welche die Natur kostenfrei zur Verfügung stellt – und die damit als Wirtschaftsfaktor nicht eingepreist ist.
Beispiele für Ökosystemleistungen sind die Speicherung von Kohlenstoff, Frischwasser (zum Beispiel für die Kühlung in Chipfabriken), Schutz vor Überschwemmungen sowie saubere Luft. Unternehmen der Realwirtschaft und Finanzinstitute, die diese finanzieren, sollten Biodiversitätsrisiken also verstehen und berücksichtigen – will heißen: Die Natur gehört in die Bilanz.
Wo und wie anfangen?
Wenn diese Erkenntnis klar ist: Wie sollen Unternehmen das Thema dann angehen? Befasst man sich damit, wird schnell deutlich, dass Biodiversität anders als Klima funktioniert: Während der Klimawandel mit dem CO2-Ausstoß eine relativ klare Metrik hat, gibt es nicht die eine Kennzahl für Biodiversität. Eingespartes CO2 hilft uns, egal wo es eingespart wurde – Biodiversität hingegen ist extrem lokal.
Wie können Unternehmen also entscheiden, welche Risiken für sie relevant sind? Und wie können sie gegebenenfalls auch Chancen identifizieren? Unternehmen brauchen Instrumente, mit denen sie arbeiten können, und den Austausch mit anderen Interessengruppen.
Das deutsche Biodiversitätsnetzwerk
Aus diesem Grund haben wir Ende 2024 die TNFD Consultation Group Germany als privatwirtschaftliche Initiative in den Räumen des Bundesumweltministeriums ins Leben gerufen (Tagesspiegel Background berichtete). Dieses deutsche Biodiversitätsnetzwerk kann Unternehmen und Finanzinstitute dabei unterstützen, Naturrisiken in die Bilanz zu bekommen.
Die TNFD – die Taskforce on Nature-related Financial Disclosures – gibt Marktteilnehmerinnen, Marktteilnehmern und anderen Interessengruppen Ratschläge dazu, wie sie die Natur (über das Klima hinaus) bewerten können, und wie sie darüber berichten sollten. Sie hat eine globale Bewegung aufgebaut, der inzwischen mehr als 500 Organisationen mit einem verwalteten Vermögen (AUM) von über 17 Billionen US-Dollar angehören. Sie haben sich verpflichtet, ihre naturbezogenen Abhängigkeiten in Übereinstimmung mit den im September 2023 veröffentlichten TNFD-Empfehlungen aufzuzeigen.
Die TNFD hat in verschiedenen Ländern sogenannte Consultation Groups. Die Konsultationsgruppen bilden ein Netzwerk aus Real- und Finanzwirtschaft, die die Empfehlungen diskutieren, anwenden und Rückmeldungen dazu geben. Ein wichtiger Aspekt ist es, Interessensgruppen zu vernetzen und ihnen die Möglichkeit zum Austausch zu geben. Das soll die Berücksichtigung von Biodiversität bei Entscheidungen fördern.
Mitarbeit lohnt sich
Ganz konkret gibt es drei Gründe, warum sich die Mitarbeit in einer Konsultationsgruppe lohnt:
· Wissens- und Erfahrungsaustausch: Mit Hilfe der TNFD-Werkzeuge wie beispielsweise LEAP (steht für Locate, Evaluate, Assess, Prepare) können Risiken, Chancen, Abhängigkeiten und Auswirkungen auf die Biodiversität eingeschätzt und verstanden werden. Teilnehmende der Gruppe können sich zu offenen Fragen, zur Anwendung und zu Herausforderungen beraten.
· Auf Regulierung vorbereiten: Die Selbstregulierung, die das Kima-Pendant der TNFD, die Taskforce on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) entwickelt hat, wurde inzwischen in die EU-Regulierung übernommen: in die europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandards ESRS. Für Biodiversität entsteht aktuell ebenfalls Regulierung, die die Arbeit der TNFD beeinflusst hat. Mittelfristig wird es aufgrund der Dringlichkeit der Krise sehr wahrscheinlich weitere gesetzliche Anforderungen an Unternehmen geben. Wer sich schon jetzt gemeinsam mit anderen damit beschäftigt, wird für neues Recht gut aufgestellt sein. Das führt zum dritten Punkt:
· Selbstregulierung und womöglich Regulierung mit beeinflussen: In der Consultation Group wird es auch darum gehen, Feedback an die TNFD zu geben und ihre weiteren Empfehlungen und Vorschläge – etwa aktuell zu Naturtransitionsplänen – zu kommentieren. Diese Möglichkeit sollten deutsche Unternehmen nutzen, um ihre Perspektive in die freiwilligen Standards für Real- und Finanzwirtschaft einzubringen. Im besten Fall spiegelt sich dies auch in zukünftiger Regulierung wider.
Deutsche Unternehmen spielen eine Rolle
„Deutschland hat die Innovationskraft, die industrielle Führungsrolle und die finanziellen Ressourcen, um den notwendigen Übergang zu einer klimaneutralen und naturfreundlichen Welt erfolgreich mitzugestalten, zu beschleunigen und davon zu profitieren“, sagte David Craig, Co-Chair der TNFD auf der Auftaktveranstaltung der deutschen Gruppe.
Einerseits ein Kompliment vor allem auch an deutsche Unternehmen, ist es gleichzeitig auch eine Aufforderung, hier etwas zu bewegen und zu verändern. Das heißt insbesondere, Natur in die Bilanz aufzunehmen, um sie bei Investitionsentscheidungen zu berücksichtigen. Deutschland reiht sich nun als 17. Land in die Liste derer ein, die sich über Konsultationsgruppen konstruktiv mit Lösungen zur Naturkrise befassen. Mit unseren Organisationen wollen wir die verschiedenen Stakeholder dabei unterstützen, diesem Anspruch gerecht zu werden.