Fünfzehn Stunden hat der Rat der Energieminister der 28 EU-Mitgliedstaaten am Montag, dem 18. Dezember, getagt. Ziel war es, eine Position zu vier der acht Rechtsetzungsvorschläge aus dem „Winterpaket“ der Kommission zu finden. Zur Neufassung der Erneuerbaren-Richtlinie, zur Governance-Verordnung, zur Markdesign-Richtlinie und zur Markdesign-Verordnung wurde eine Einigung auf einen „General Approach“ beschlossen. Herausgekommen sind dabei Positionen, die in fast allen Fragen hinter das zurückfallen, was angesichts des Pariser Klimaschutzabkommens notwendig wäre. Wo klare Entscheidungen angebracht gewesen wären, überwiegen Formelkompromisse, Zugeständnisse an die alte Energiewelt und völlige Anspruchslosigkeit. Die bisherigen Beschlüsse der Ausschüsse des Europäischen Parlaments sind jedenfalls fast durchgehend präziser und ambitionierter als die am Montag beschlossenen Positionen des Rates. Schon die Parlamentspositionen – zum Beispiel in Sachen Ambitionsniveau, verbindliche nationale Ziele – werden in verschiedenen Punkten zu Recht als nicht hinreichend zur Bewältigung der bevorstehenden Herausforderungen kritisiert werden.
Am Tag nach dem Ratsentscheid überwiegt die Aussage, die offenbar eine Erfolgsmeldung sein soll, der Rat habe die von der EU-Kommission vorgeschlagenen 27 Prozent als Zielvorgabe für den Anteil Erneuerbarer am Endenergieverbrauch im Jahr 2030 bestätigt. Vergessen wird dabei, dass 27 Prozent kaum mehr sind als Business-as-usual. Selbst die EU-Kommission kommt in ihrem bezüglich der Kostenannahmen aktualisierten Impact Assessment auf deutlich mehr als 30 Prozent und Vizepräsident Šefčovič spricht inzwischen öffentlich davon, die EU könne sich ein Ziel von „wenigstens 30 Prozent leisten“. Das Europäische Parlament und eine gemeinsame Stellungnahme der europäischen Erneuerbaren-Verbände verlangen „wenigstens 35 Prozent“, einige der Verbände und Umwelt-NGOs erachten 40 bis 45 Prozent als notwendig, möglich und vernünftig. Es bleibt zu hoffen, dass in den bevorstehenden Trilog-Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission mindestens eine Einigung auf das 35-Prozent-Ziel erreicht wird. Immerhin stammt der 27-Prozent-Vorschlag aus der Zeit vor dem Pariser Abkommen.
Das Europäische Parlament hat versucht, fehlende national verbindliche Ziele durch strikte Governance-Vorgaben für die Mitgliedsstaaten zu unterfüttern, für den Fall, dass eine Auswertung der nationalen Klima- und Energiepläne ergibt, dass das EU-Ziel in 2030 voraussichtlich verfehlt wird. Der Rat selbst hat dagegen diese unverbindlichen linear ansteigenden Pfade für den jeweils zu leistenden Beitrag der Mitgliedstaaten nicht akzeptiert. Er hat hat sich lediglich darauf verständigen können, in den Jahren 2023, 2025 und 2027 Meilensteine vorzusehen, an den die Mitgliedstaaten auf einem nicht-linearen Pfad jeweils 24 Prozent (2023), 40 Prozent (2025) und 60 Prozent (2027) ihres indikativen Zieles für 2030 erreicht haben sollen – Zahlen, die sich insgesamt zum gleichen Anteil des EU-Gesamtziels von 27 Prozent aufaddieren sollen. Und es ist auch gut, dass nicht noch einmal der Versuch unternommen wurde, das Erreichen der 2020-Ziele als Ausgangspunkt für die Dekade bis 2030 in Frage zu stellen. Dennoch, auch bezüglich Ambitionsniveau und der Verbindlichkeit der nationalen Beiträge zum gemeinsamen EU-Ziel ist zu hoffen, dass im Trilog mit dem Parlament noch kräftig nachgebessert wird. Leider scheint das Parlament keine verbindlichen nationalen Ziele und Zielpfade mehr für durchsetzbar zu halten. Aber wenigstens klare lineare Pfade verbunden mit eindeutigen Konsequenzen (Gap-Filler) im Falle der Unterschreitung sollten das Trilog-Ergebnis sein.
Tendenziell positiv ist zu bewerten, dass die Mitgliedsstaaten sich für klare Regelungen zur Förderung von Bürgerenergie und von Eigenverbrauch bekannt haben, und ebenfalls ist zu begrüßen, dass regulierte Preise wenigstens zeitlich begrenzt werden müssen. Angesichts von Diskussionen über die vollständige Abschaffung der Priortiät von Erneuerbaren bei Einspeisung und Dispatch ist sicher auch auf die Haben-Seite zu rechnen, dass der Rat sich für bestehende Anlagen dazu bekannt hat, den Vorrang nicht einzuschränken oder abzuschaffen.
Negativ ist aber, dass für neue Anlagen Priorität nach dem Wunsch des Rates nur noch gewährt werden darf für Pilotanlagen sowie sonstige Anlagen bis zu einer Kapazität von maximal 250 Kilowatt, ab 2025 sogar nur noch 50 Kilowatt. Damit schlägt der Rat vor, die bereits niedrigen Werte aus dem Kommissionsvorschlag weiter abzusenken, und er geht nicht auf die Forderungen ein, auch für kleine Windparks (zum Beispiel in der Größenordnung von 6 Anlagen à drei Megawatt – wie nach den geltenden Beihilfeleitlinien möglich) die Möglichkeit des Einspeisevorrangs weiter vorzusehen. Auch hinsichtlich der Vorrangregelungen für kleine Anlagen besteht also Verbesserungsbedarf im Trilog.
Eine Mischung aus unklaren Formelkompromissen und eindeutig falscher Richtung sind die Beschlüsse des Rates zu den Kapazitätsmärkten. Einerseits gibt es längere Passagen zu den Kriterien für die Bedarfsbestimmung für Kapazitätsmechanismen, jedoch bleiben diese so weit im Ungefähren, dass letztlich nationale Vorlieben für einen bestimmen Energiemix den Ausschlag geben können, bestimmte Kraftwerke über Kapazitätszahlungen ökonomisch jahrelang am Leben zu erhalten. Dies wird für Verbraucher und Gesellschaft unnötig teuer und dem Klima umfangreiche CO2-Emissionen bescheren, die es nach dem Pariser Abkommen nicht mehr geben dürfte. Diese falsche Rücksichtnahme auf die Kohle-Lobby und die überholte Idee der Versorgungssicherheit nur durch Grundlastkraftwerke wird besonders deutlich bei der vom Rat vorgeschlagenen Verwässerung des Kommissionsvorschlages, wonach fossile Kraftwerke nur an Kapazitätsmärkten teilnehmen dürfen, wenn sie maximal 550 Gramm CO2 pro Tonne emittieren.
Nach dem Wunsch des Rates dürfen selbst neu gebaute Anlagen bis 2025 mehr emittieren, während bestehende Anlagen sogar bis 2030 Kapazitätszahlungen auch bei Überschreiten der 550-Gramm-Grenze erhalten können sollen. Damit wird jede Bemühung um die klimapolitisch dringend notwendige Reduzierung der Kohleverstromung oder gar eines Kohleausstiegs ad absurdum geführt – bis 2025 dürfen solche Kraftwerke sogar noch neu – mit Kapazitätsprämien subventioniert – gebaut werden und ans Netz gehen (und dann natürlich für die nächsten mindestens 20 Jahre im Bestand bleiben und weiter emittieren).
Zu begrüßen ist, dass der Rat die Absicht der Kommission unterstützt, rückwirkende Änderungen von Fördersystemen künftig weitgehend zu untersagen, sofern sie nicht von vorherein erkennbar geplant waren. Doch auch hier gibt es Weichmacher: Wenn die Änderungen gut begründet sind, sollen sie dennoch möglich sein.
Positiv ist das Festhalten an der Möglichkeit technologiespezifischer Ausschreibungen für Erneuerbare-Energien-Anlagen, ebenso wie die Aufforderung an die Kommission, innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten der novellierten Erneuerbaren-Richtlinie die Beihilfeleitlinien an diese anzupassen (und nicht andersherum, wie es die Generaldirektion Wettbewerb bei den bestehenden Umwelt- und Energie-Beihilfeleitlinien letztlich erfolgreich praktiziert hat).
Aus Sicht der Erneuerbaren-Branche verdient der Rat aber nicht nur Kritik. Es gibt es einige – wenn auch wenige – Punkte, in denen er ein Lob bekommen sollte, weil er über Vorschläge von Kommission und Parlament hinausgeht beziehungsweise sich gegen ungeeignete Vorschläge wendet. So ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass der Rat verlangt, dass die Öffnung nationaler Vergütungssysteme und Ausschreibungen für Erneuerbare Energien freiwillig und auf Basis von klaren Abkommen unter den den Mitgliedstaaten erfolgen soll, während Kommission und Parlament eine verbindliche Öffnung in unterschiedlicher prozentualer Höhe vorschlagen. Auch die Fortschreibung eines separaten Ziels für den Verkehrsbereich (mindestens 14 Prozent bis 2030) ist aus Sicht der Branche eher positiv zu bewerten, wenn es auch mit verschiedenen Unterzielen (mindestens drei Prozentpunkte zweite Generation Biokraftstoffe, höchstens sieben Prozentpunkte erste Generation, fünffache Zählung von erneuerbar erzeugtem Strom) partiell entwertet wird. Aber immerhin wäre es ein Anknüfungspunkt für die Fortsetzung der Entwicklung und Verbreitung eines Mixes aus verschiedenen nachhaltigen Kraftstoffen und erneuerbarem Strom.
Unterm Strich hat der Rat in Sachen Ambition und Verbindlichkeit eindeutig die Bremserrolle übernommen und trotz einzelner positiver Ansätze leider davor zurück geschreckt, die Wende weg von fossil-nuklear hin zu effizient und erneuerbar zu beschleunigen. Er hat dem massiven Druck der alten Energien und ihrer Interessensvertreter nachgegeben – zum Schaden von Klima, Ökonomie und Ökologie. Bleibt zu hoffen, dass die bereits kursierenden Berechnungen über nun nicht stattfindende Investitionen in Milliardenhöhe und nicht geschaffene Arbeitsplätze zu Hunderttausenden nicht wahr werden, weil sich in den Trilog-Verhandlungen doch noch die Einsicht durchsetzt, dass mehr erneuerbare Energien auch mehr Wertschöpfung, merh Jobs und mehr Klimaschutz bedeuten.