Wenn von den Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt die Rede ist, dann werden häufig Dystopien vom Ende der Erwerbsarbeit heraufbeschworen. Einerseits verspricht die technologische Entwicklung immer wieder eine spürbare Unterstützung für schwere oder auch für monotone Tätigkeiten – ein Versprechen, das mit der Entwicklung von Robotern, künstlich intelligenten Systemen oder smarten Steuerungsplattformen beständig erneuert wird. Andererseits stellen diese Entwicklungen unsere Rolle in der Arbeitswelt grundsätzlich in Frage. Braucht es den Menschen noch und wenn ja: Wozu?
Der Fachkräftemonitor des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) geht davon aus, dass bis 2025 etwa 1,3 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen, weil sie durch Maschinen ganz oder teilweise ersetzt werden. Auf der anderen Seite erwarten die Wissenschaftler, dass 2,1 Millionen Jobs neu entstehen, und zwar sowohl in neuen Berufsfeldern wie Robotik, Datenanalyse oder 3D-Druck, aber auch in Bereichen, die dem Menschen vorbehalten bleiben wie den sozialen Berufen. Die Arbeit wird uns also keinesfalls ausgehen.
In zahlreichen Branchen gibt es zudem einen eklatanten Mangel an Arbeitskräften – derzeit haben wir entschieden mehr Arbeit als wir bewältigen können. Im Schnitt leistet jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer 13 Prozent mehr als vertraglich vereinbart – bei Vollzeit macht das pro Woche fünf Überstunden. Insbesondere junge Eltern und pflegende Angehörige ächzen unter der Doppelbelastung und der schlechten Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und auch das Engagement in Vereinen, Parteien oder Kommunalparlamenten ist in der Mitte des Lebens kaum unterzubringen. Vom Ende der Erwerbsarbeit zu reden, erscheint in dieser Hinsicht unpassend.
Technischer und sozialer Fortschritt
Und doch sind viele Menschen verunsichert, was die Zukunft ihrer Erwerbsfähigkeit und die ihrer Kinder anbelangt. Die Politik hat die Aufgabe, eine Zukunft der Erwerbsarbeit zu gestalten, die Sicherheit im Wandel bietet. Auch frühere industrielle Revolutionen sind so bewältigt, Strukturbrüche gestaltet worden. Wir müssen den technologischen Fortschritt zu sozialem Fortschritt nutzen und wandeln. Wichtig ist, dass wir jetzt die richtigen Fragen stellen, Spannungsverhältnisse herausarbeiten und Gestaltungsangebote machen.
Dabei ist ein neues, ganzheitliches Verständnis unseres Bildungsbegriffs von zentraler Bedeutung. Welche Kompetenzen brauchen wir in der digitalen Welt? Es geht dabei um weit mehr als die Anwendungskenntnis aktueller Anwendungen. Für eine emanzipierte Teilhabe und Mitgestaltung der digitalen Welt, für die souveräne Interaktion mit lernenden Maschinen brauchen wir ein grundlegendes Verständnis digitaler Technologien und ihrer wichtigen rechtlichen und kulturellen Voraussetzungen wie Datenschutz und IT-Sicherheit. Nur wenn Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ein Grundverständnis der technologischen Entwicklung haben, können sie ihre Fach- und Organisationsexpertise mit digitalen Technologien sinnvoll verbinden.
Kompetenzen statt Grundlagenwissen
Bildung ist und bleibt der Schlüssel zur Teilhabe in Arbeitsmarkt und Gesellschaft. Immer weniger kommt es dabei auf die Vermittlung von Wissen an. Anwendungswissen ebenso wie technisches Grundlagenwissen haben eine geringe Halbwertszeit. Welche Kompetenzen Auszubildende oder Studierende morgen oder übermorgen brauchen, können wir heute kaum vorhersehen. Kernaufgabe des Bildungs- und Weiterbildungssystems im digitalen Wandel sind deshalb Mut zur Veränderung ebenso wie Motivation und Befähigung zum steten und eigenständigen Lernen.
Neue Formate der Weiterbildung müssen die Vielbeschäftigten ebenso erreichen wie diejenigen, die dem Thema „Lernen“ eher kritisch verweigernd begegnen. Modular, passgenau, arbeits- und lebensbegleitend muss es sein und dabei am besten noch Spaß machen. Wir brauchen ein Recht auf Weiterbildung und einen offenen Zugang zu Bildungsangeboten, die sowohl berufliche als auch „andere“ Wissens- und Kompetenzbedarfe befriedigen.
Die Frage wird nicht sein, ob es ausreichend Arbeit für alle gibt, sondern ob es uns gelingt, allen Menschen Zugang zu den notwendigen Qualifikationen zu eröffnen und die Arbeit der Zukunft so zu verteilen, dass alle teilhaben und gleichzeitig zu einer gesunden Balance von Leben und Arbeiten befähigt werden.
Um den digitalen Wandel für alle erfolgreich zu gestalten, müssen Zivilgesellschaft, Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen, Sozialpartner, Wissenschaft und Politik jetzt an einem Strang ziehen. Es ist die Aufgabe der Politik auf allen Ebenen, einen solchen gesamtgesellschaftlich getragenen Transformationsprozess in Gang zu setzen und so einen großen Beitrag zur Teilhabe von Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft und einer starken demokratischen Gesellschaft im 21. Jahrhundert zu leisten.
Saskia Esken ist Informatikerin und Digitalexpertin der SPD-Bundestagsfraktion. Der Text ist in einer längeren Fassung bereits in den „Frankfurter Heften“ der Friedrich-Ebert-Stiftung erschienen.