Standpunkte Genaues Monitoring, kaum Sanktionen: Die EU-Governance

Standpunkt von Michèle Knodt, Professorin der TU Darmstadt
Standpunkt von Michèle Knodt, Professorin der TU Darmstadt

Wie funktioniert die Überwachung der Energieunion? Wer sorgt mit welchen Instrumenten dafür, dass die EU-Ziele für erneuerbare Energien und Effizienz erreicht werden? In ihrem Standpunkt analysiert Michèle Knodt, Professorin der TU Darmstadt, die Einigung für die Zeit bis 2030. Ihr Fazit: Die Chance, harte Sanktionen verhängen zu können, wurde nicht genutzt. Dafür wird die Energieunion genau überwacht und präzise Zahlen müssen vorliegen. Offenbar wird auf den öffentlichen Druck gebaut.

von Michèle Knodt

veröffentlicht am 12.07.2018

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Mit der interinstitutionellen Einigung über die Verordnung zur „Governance der Energieunion“ hat die EU einen wichtigen Schritt hin zur Erreichung ihrer Energie- und Klimaziele für 2030 getan. Der Vorstoß der Kommission einer härteren Gangart für die weiche Steuerung der Energieunion wurde im Monitoring präzisiert, im Sanktionsbereich jedoch weichgespült.


Durch fehlende Kompetenzen ist die EU in der Energieunion vor allem bei Erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz auf Selbstverpflichtungen der Mitgliedstaaten sowie eine weiche, rechtlich unverbindliche Überwachung durch die Kommission angewiesen. Ohne Einfluss auf die nationalstaatlichen Energiestrategien wird die EU jedoch nicht in der Lage sein, ihre selbstgesteckten Ziele zu erreichen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Europäische Rat 2014 zwar europäische Ziele, nicht aber verbindliche nationale Ziele für die Zeit nach 2020 beschlossen hat.


Mit ihrem Vorschlag zur Governance-Verordnung unternahm die Kommission im November 2016 einen kühnen Vorstoß, um trotz fehlender Kompetenz eine europäische Steuerung der Mitgliedstaaten zu ermöglichen. Der relativ große Handlungsspielraum der Kommission und die vorgeschlagenen Sanktionsmöglichkeiten stießen auf Widerstand im Rat. Das EU-Parlament wiederum unterstützte den Kurs der Kommission weitgehend.


Die Governance der Energieunion sieht nun vor, dass die Mitgliedstaaten bis Ende 2018 Entwürfe für ihre auf zehn Jahre angelegten integrierten nationalen Energie- und Klimapläne (iNEKP) zur Erreichung der 2030-Ziele vorlegen. Die Kommission prüft, ob die dort festgelegten Ziele „ambitioniert“ genug sind.


Überraschenderweise wurde der Kommission für das Monitoring im Bereich der Erneuerbaren Energien ein präziseres Instrumentarium zugestanden als ursprünglich zu erwarten gewesen wäre: Die Kommission muss dabei regelmäßig prüfen, ob die Summe der nationalen Beiträge die europäische Zielerreichung von 32 Prozent Erneuerbare Energien am Energieverbrauch bis 2030 ermöglicht. Reicht die Summe nicht aus, berechnet die Kommission nach einer vereinbarten Formel einen hypothetischen Anteil, den jeder Mitgliedstaat nach seiner Leistungsfähigkeit beisteuern müsste. Liegt die Planung der Mitgliedstaaten unterhalb dieses errechneten Anteils, empfiehlt die Kommission Nachbesserungen. Damit soll ein verabredeter Algorithmus die Einigung auf verbindliche nationale Ziele ersetzen und durch „nackte Zahlen“ Anpassungsdruck erzeugen.


Im Bereich der Energieeffizienz – das Ziel besteht hier in einer Senkung des Energiebedarfs um 32,5 Prozent bis 2030 – wurde jedoch auf eine solche Berechnungsmöglichkeit verzichtet. Das vom EU-Parlament erfolgreich eingebrachte Prinzip „Energy Efficiency first“ kann das Ausbremsen der Kommission durch den Rat an dieser Stelle nicht beheben.


Darüber hinaus prüft die Kommission auch die Implementation der anvisierten Ziele und gibt gegebenenfalls Empfehlungen. Das regelmäßige Monitoring der Umsetzung wurde zudem politisiert. Auf Drängen des Parlaments kommt der jährliche Sachstandsbericht der Kommission zum „Stand der Energieunion“ sowohl im Rat als auch im EU-Parlament zur Aussprache. Mit der somit geschaffenen Öffentlichkeit und der in der jetzt vorliegenden Einigung zudem explizit aufgenommenen Veröffentlichungspflicht aller Pläne, Reports und Empfehlungen setzt die EU auf den öffentlichen Druck als klassisches Mittel weicher Steuerung.


Erheblich abgeschwächt wurde die Vorlage der Kommission im Bereich der Verbindlichkeit der Empfehlungen. Hatten Kommission und Parlament in den Verhandlungen darauf gedrungen, dass diese von den Mitgliedstaaten „bis aufs äußerste“ zu berücksichtigen seien, so ist ihnen in der finalen Fassung nur noch „gebührend Rechnung [zu] tragen“. Diese Weichspülung der härteren Formulierung der Kommission kann auch nicht durch die Tatsache kompensiert werden, dass die Rechenschaftspflicht der Mitgliedstaaten bei Nichtbefolgung der Empfehlungen beibehalten wurde.


Auch das härtere Sanktionsinstrument zur Füllung von „implementation gaps“ überstand die interinstitutionellen europäischen Verhandlungen nicht: Auf die Verbindlichkeit der 2020-Ziele für erneuerbare Energien abzielend, forderte die Kommission eine quasi verpflichtende (Straf-)Zahlung in einen europäischen Finanzierungsmechanismus für Erneuerbare Energie, sofern ein Mitgliedstaat sein 2020-Ziel verfehlt. Der nun vereinbarte Finanzierungsmechanismus ist freiwillig.


Diese Entschärfung der härten Elemente des Kommissionsvorschlags wird die Erreichung der Energie- und Klimaziele der EU nicht gerade erleichtern. Die Governance Verordnung hat es zudem verpasst, die Energie- und Klimapolitik eng mit der Struktur- und Investitionspolitik zu koppeln. Auch der gerade von der Kommission zur Diskussion gestellte Entwurf der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds) enthält nur ansatzweise eine Verbindung zu den iNEKP. Hier hätte sich jedoch in Anlehnung an die Nutzung der ESI-Fonds als Sanktionsinstrument im Rahmen des Europäischen Semesters eine Chance zur stärkeren Steuerung durch die Kommission aufgetan. Dort kann die Nichtbefolgung der Empfehlungen der Kommission zur ordnungsgemäßen wirtschaftlichen Steuerung in den Mitgliedstaaten im schlimmsten Fall eine Streichung der ESI-Fonds Gelder zur Folge haben. Dieses Gelegenheitsfenster wurde im Fall der Energieunion nicht genutzt.


Michèle Knodt, Professorin der TU Darmstadt, erforscht das Thema EU-Energie- und Klimapolitik als Teil des Projekts ENavi, einem der vier Vorhaben des Kopernikus-Projekts zur Energiewende, das vom Bundesforschungsministerium (BMBF, Referenz: 03SFL4P0) unterstützt wird.

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