Die Coronavirus-Pandemie zeigt uns in globaler Dimension seit knapp zwei Jahren täglich auf, wie sehr Gesundheit mit nahezu allen anderen großen Themen und Herausforderungen unseres Lebens verbunden ist und welchen Stellenwert sie einnimmt: Erstens in ihrer naheliegendsten Bedeutung als Gesundheit für jeden Einzelnen. Zweitens als entscheidend wichtiges Ziel der Gesundheit für alle. Und drittens: In der Erkenntnis, wie sehr Gesundheit und leistungsfähige Gesundheitssysteme in direkter Wechselwirkung unter anderem mit Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Klima und Ernährung stehen. Keine neue Erkenntnis, wird doch genau diese wechselseitige Kausalität in den 17 Nachhaltigkeitszielen der im September 2015 verabschiedeten Agenda 2030 der Vereinten Nationen eindrücklich widergespiegelt.
Global vernetzte Gesellschaften können den damit verbundenen Herausforderungen nur durch ein gemeinsames Verständnis und Vorgehen zum Gesundheitsschutz, zum Beispiel bei der Impfstoffproduktion und -verteilung, begegnen. In diesem Gesamtkontext muss Gesundheit als Global Public Good und Gesundheitssystemstärkung als Global Public Investment verstanden werden.
Unser Land hat sich auch dank politischer Weitsicht zu einem einzigartigen Ökosystem für Globale Gesundheit entwickelt, bestehend aus international hoch anerkannten akademischen und wissenschaftlichen Einrichtungen, medizinischen Institutionen, sowie privaten, zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteuren.
Aktivitäten in diesen einzelnen Sektoren verknüpfen sich mit hochrangigen Konferenzen wie dem World Health Summit in Berlin, Netzwerken wie der deutschen Allianz für globale Gesundheitsforschung GLOHRA und grundlegenden Informations-, Plattform- und Netzwerkstrukturen wie dem Global Health Hub Germany. Das Global AMR R&D Hub zur Bekämpfung von Resistenzen gegen antimikrobiell wirksame Arzneimittel und das gerade erst am 1. September eröffnete WHO Hub für Pandemische und Epidemische Intelligenz bilden zudem in Deutschland angesiedelte internationale Strukturen dieses Ökosystems, zu dem auch die deutschen Büros der beiden weltweit größten im Gesundheitsbereich tätigen Stiftungen, Wellcome Trust und Bill & Melinda Gates Foundation, hinzuzurechnen sind.
Verständnis für die Bedeutung schaffen
Mit der GHA – German Health Alliance mit 120 Mitgliedsunternehmen und -organisationen besteht seit bereits vielen Jahren eine multisektorale Initiative, die sich der Gesundheitssystemstärkung verschrieben hat und eine wichtige, wirksam gestaltende Schnittstelle von Entwicklungszusammenarbeit und Gesundheitswirtschaft ausgeprägt hat.
Einen wichtigen Beitrag, um Verständnis und Wichtigkeit von Globaler Gesundheit in der breiten Öffentlichkeit zu verankern, wird auch die aus zivilgesellschaftlichem Engagement hervorgegangene Virchow Foundation für Globale Gesundheit leisten, unter anderem mit dem ab 2022 jährlich in Berlin ausgelobten, international hochrangigen, prestigeträchtigen und hoch dotierten Virchow Prize for Global Health.
Letztendlich bilden die genannten und weitere Säulen deutschen Engagements in Globaler Gesundheit ein ganz besonderes, weltweit wohl einmaliges, dabei hoch potentes Wirkungsgefüge. Dieses kann sich jedoch nur dann erfolgreich entfalten, wenn die Säulen allesamt stabil stehen, kohärent gedacht und in enger Kooperation verzahnt werden.
Ob es nun darum geht, Deutschland als einen weltweit führenden Standort der industriellen Gesundheitswirtschaft zu erhalten und stärken, als Zentrum für wissenschaftliche Aktivitäten in Globaler Gesundheit auszubauen oder zu einem politisch noch stärker engagierten Akteur der Entwicklungszusammenarbeit im Gesundheitssektor zu machen – gleichermaßen sollten von einer neuen Bundesregierung unter anderem folgende Maßnahmen umgesetzt werden:
- Der Strategie der Bundesregierung zu Globaler Gesundheit sollte ein konkreter gemeinsamer Umsetzungsplan folgen, der vorhandene Strukturen und Expertisen aus den verschiedenen Sektoren und Disziplinen konsequent zusammendenkt und nutzt
- Die neue Bundesregierung muss eine proaktive Rolle übernehmen, über die sie dem breiten Engagement deutscher Akteure in der engen Zusammenarbeit mit anderen Ländern und Regionen einen politischen Rahmen gibt. Insbesondere im Bereich der Gesundheitssystemstärkung erfordert das eine weitgehende ressortübergreifende Kohärenz, während Umsetzung und Erfolgsmessung unter wissenschaftlicher Begleitung und Validierung stehen müssen.
- Gesundheit muss in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in die Themengruppe höchster Priorität aufgenommen werden, was trotz der aktuellen Pandemie vom zuständigen Bundesministerium weiterhin nicht vorgesehen ist.
Unter diesen zentralen Voraussetzungen kann Deutschland seiner internationalen Rolle und Verantwortung auch künftig gerecht werden, einen weiter wachsenden Beitrag zu signifikanten Verbesserungen und transformativen Umgestaltungen in Richtung qualitätsorientierter, bedarfsgerechter und resilienter Gesundheitssysteme mit bestmöglicher Prävention und diskriminierungsfreiem Zugang zu leisten, vor allem gemeinsam mit und in ärmeren Ländern – auch um für die nächste Pandemie global besser gerüstet zu sein.
Zudem können Herausforderungen, zu denen die stark wachsende Zunahme an nichtübertragbaren Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes, die Bekämpfung von Infektionskrankheiten und die Stärkung der Mutter-Kind-Gesundheit zählen, zielgerichteter und nachhaltiger angegangen werden.
Stabile Gesundheitssysteme sind Grundvoraussetzung für nachhaltig positive sozioökonomische Entwicklungen. Politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Engagement für dieses Ziel der nachhaltigen Gestaltung unserer Welt von morgen werden noch erfolgreicher und wirksamer Hand in Hand gehen, wenn sich die neue Bundesregierung der Globalen Gesundheit als prioritäres Handlungsfeld noch stärker annimmt und die Expertise-tragenden Akteure der verschiedenen Sektoren gemeinsam konsequent als eine Art „Koalition für Gesundheit“ mit einbezieht.
Roland Göhde ist der Vorstandsvorsitzende der GHA – German Health Alliance.