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Gesundheit & E-Health

Standpunkte „Deine Chance“: Kampagne zur richtigen Zeit

Martina Pötschke-Langer, Leiterin des WHO-Kollaborationszentrum für Tabakkontrolle und Krebsprävention am DKFZ
Martina Pötschke-Langer, Leiterin des WHO-Kollaborationszentrum für Tabakkontrolle und Krebsprävention am DKFZ Foto: Tobias Schwerdt

Die Kosten des Rauchens für die deutsche Gesellschaft und Wirtschaft liegen bei rund 100 Milliarden Euro pro Jahr, rund 127.000 Menschen sterben jährlich an den Folgen. Martina Pötschke-Langer, Leiterin des WHO-Kollaborationszentrum für Tabakkontrolle und Krebsprävention am Deutschen Krebsforschungszentrum erklärt, warum Kampagnen zur Rauchentwöhnung ein Erfolg werden müssen.

von Martina Pötschke-Langer

veröffentlicht am 18.06.2021

aktualisiert am 06.02.2023

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Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig, hat auf dem Höhepunkt der Pandemie, inmitten des dritten Lockdowns, eine Gesundheitskampagne mit einer zerbrochenen Zigarette und der Botschaft “Deine Chance“ gestartet.

Sie ruft zum Rauchstopp auf und motiviert zum Handeln. Rauchenden soll der Rauchstopp leicht gemacht werden. Ein umfangreiches Angebot steht bereit. Vom kostenlosen Beratungstelefon und Online-Programm der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung über Kurse von Krankenkassen und freien Trägern bis hin zu Ärzt:innen und Suchttherapeut:innen, die in ihren Praxen und Suchthilfeeinrichtungen individuelle Beratungen anbieten.

Warum gerade jetzt?

Während wir innerhalb eines Jahres in Deutschland über 80.000 Corona-Tote und Hunderttausende Infektionsopfer mit Langzeitschäden zu beklagen haben, verstarben im gleichen Zeitraum über 127.000 Menschen an den Folgen des Rauchens und Millionen leiden unter einer Vielzahl tabakbedingter chronischer Krankheiten, denn Rauchen schädigt nahezu alle Organe des Körpers.

Die Kosten der Corona-Pandemie sind so hoch, dass momentan nur eine grobe Schätzung möglich ist. Die Kosten des Rauchens für die deutsche Gesellschaft und Wirtschaft dagegen konnten bereits berechnet werden, sie liegen bei rund 100 Milliarden Euro pro Jahr.

Während zur Bekämpfung des Corona-Virus einschneidende Maßnahmen ergriffen wurden und sich unser aller Leben drastisch veränderte, wurde der Bekämpfung der nunmehr so lange schon bestehenden Tabakepidemie bislang keine hohe politische Priorität eingeräumt.

Das könnte sich jetzt ändern. Es ist eine doppelte Chance.

Die Kampagne selbst besteht zu einem Teil aus einer direkten Ansprache derjenigen, die unter ihrer Nikotinsucht leiden und dem Druck zu rauchen aus eigenem Wunsch entkommen wollen. Sie sollen zu einem Rauchstopp motiviert werden, hierfür werden ihnen konkrete Hilfsmöglichkeiten aufgezeigt.

Die Kampagne wird von den im „Aktionsbündnis Nichtrauchen (ABNR)“ zusammengeschlossenen Gesundheitsorganisationen nachdrücklich unterstützt. Es sind Organisationen, die sich seit 30 Jahren für eine wirksame Tabakkontrollpolitik einsetzen und als Ziele verfolgen, dass Rauchenden der Ausstieg aus dem Rauchen erleichtert, die Jugend vor dem Einstieg in das Rauchen bewahrt und Nichtrauchende vor Passivrauchen geschützt werden. Wir wissen längst, was wirkt und wo Deutschland einen Nachholbedarf hat.

Höhere Preise schrecken ab

Die wirksamste politische Maßnahme liegt in den Händen des Finanzministers. Er kann die Tabaksteuern so erhöhen, dass ein Zigarettenpäckchen über 10 Euro kosten würde. Dies wäre ein Preis, der sich motivierend auf einen Rauchstopp auswirken und Jugendliche vom Rauchen abhalten würde. Ein Ausweichen auf billigere Nikotinprodukte kann durch entsprechende Steuererhöhungen vermieden werden.

Marketing, Sponsoring und Werbung für Tabak- und Nikotinprodukte sind in Deutschland weiterhin erlaubt wie auch ihr Verkauf über Automaten, Lebensmittelläden, Supermärkte, Tankstellen, Kioske und Spezialläden. Keine anderen Konsumprodukte sind derart umfangreich verfügbar und werden entsprechend massiv beworben. Auch in öffentlich geförderten TV-Produktionen und Filmen sowie über die sozialen Medien wird das Rauchen durch seine Omnipräsenz tagtäglich normalisiert. In allen genannten Bereichen sind zielgerichtete und wirksame Kontrollmaßnahmen längst überfällig.

Die permanente Konfrontation mit der Verführung zum Rauchen durch Verfügbarkeit und Promotion macht es den Rauchenden in Deutschland besonders schwer, ihren Tabakkonsum zu beenden. Während die Politik sich schwer tut, wünscht sich die große Mehrheit der Bevölkerung – einschließlich einer Mehrheit der Rauchenden – ein umfassendes Werbeverbot, das auch die Verkaufsorte und Kinofilme mit einschließt.

Gefahr durch Passivrauchen

Auch wenn die Belastungen durch Tabakrauch infolge der Nichtraucherschutzgesetze deutlich abgenommen haben, sind immerhin noch 11 Prozent der nicht rauchenden Erwachsenen regelmäßig und unfreiwillig Tabakrauch ausgesetzt. Nachbesserungen beim Nichtraucherschutz sind deshalb weiterhin dringend geboten. Der Flickenteppich unterschiedlicher Gesetzgebungen in den  Bundesländern sollte beendet und allen Menschen ein rauchfreier Arbeitsplatz, insbesondere auch in der Gastronomie, sichergestellt werden.

Der häuslichen Tabakrauchbelastung von Kindern und Jugendlichen in Familien mit niedrigem Sozialstatus und hoher Rauchprävalenz der Eltern sollte mit zielgruppenspezifischen Angeboten begegnet werden.

Es versteht sich von selbst, dass bei allen gesetzlichen Maßnahmen, die ihre Wirksamkeit bei der Eindämmung der Tabakepidemie bewiesen haben, eine Beeinflussung durch die Tabakindustrie und ihrer Interessensvertretungen zu unterbleiben hat. Denn deren Interessenskonflikte schließen eine Mitwirkung aus.

Die Kampagne "Deine Chance" hat alle Möglichkeiten, bestehende Defizite Schritt für Schritt zu beseitigen und eine echte Unterstützung für Rauchende zum Rauchstopp zu werden.

Dr. Martina Pötschke-Langer ist die Leiterin des WHO-Kollaborationszentrums für Tabakkontrolle und Krebsprävention am Deutschen Krebsforschungszentrum und Herausgeberin der "Roten Reihe zur Tabakprävention und Tabakkontrolle".

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