1975 besetzten Tausende Menschen den Bauplatz des geplanten
Atomkraftwerks in Wyhl bei Freiburg. Es war nicht nur der Beginn der
Anti-AKW-Bewegung, sondern auch die Geburtsstunde der Energiewende. Inspiriert von
der selbst organisierten Volkshochschule Wyhler Wald bauten Aktivisten die ersten solarthermischen Kollektoren und
gründeten die Solartage. Aus ihnen wurde später die Intersolar, immer noch die weltweit
wichtigste Photovoltaikmesse.
Keine Frage: Graswurzelbewegungen können viel erreichen. In der Klimakrise aber hat es trotz der Größe der Bedrohung noch nicht für eine kraftvolle außerparlamentarische Opposition gereicht. Das könnte sich 2019 ändern.
Wirkungsvoll ist die einfache Aktion der schwedischen Schülerin Greta Thunberg, die seit Monaten jeden Freitag die Schule schwänzt, um vorm Parlament besseren Klimaschutz zu fordern. Schüler weltweit haben sich Thunbergs Vorbild angeschlossen und organisieren sich unter dem Hashtag #FridaysForFuture. Ob in Aachen oder Adelaide: Jugendliche fühlen sich offenbar angesprochen von der Botschaft der Schwedin, sich nicht die Zukunft stehlen zu lassen.
Bisher sind es oft nur ein paar Dutzend Menschen, die an den Aktionen teilnehmen. „Aber die Mobilisierung der jungen Leute nimmt Fahrt auf“, sagte Laurence Tubiana, Chefin der European Climate Foundation, bei der Klimakonferenz in Kattowitz.
Auch der Trend bei der Klimawache am Brandenburger Tor in Berlin zeigt nach oben, berichtet eine der Organisatorinnen, Molina Gosch. Die Bezirksabgeordnete der Grünen in Berlin-Mitte ist durch das Trainingsprogramm „Climate Reality Leader“ von Al Gore gegangen: „Ich bin immer wieder überrascht, wie viel Kraft man hat, wenn man sieht, dass auch andere besorgt sind“, sagte sie Tagesspiegel Background. Für sie sei außerdem wichtig, „für andere sichtbar“ zu sein.
Damit bestätigt Gosch Ergebnisse der Forschung zu Graswurzelbewegungen: „Anerkennung ist extrem wichtig“, sagte Nina Langen von der TU Berlin, die sich in einem Projekt der Uni Bonn mit dem Thema beschäftigt hatte. „Am Anfang braucht es offensichtlich immer ein Unbehagen, eine Unzufriedenheit, einen Konflikt, der einen aufweckt“, erklärte Langen die Motivation.
Warum es trotzdem in den USA lange Zeit keine nachhaltige Graswurzelbewegung für mehr Klimaschutz gab, hat der Soziologe Doug McAdam von der Stanford University untersucht. Gründe waren unter anderem die „unnachgiebige Leugnung“ des Klimawandels im Land, das Fehlen einer „Inhaberschaft“, wie es bei der Polizeigewalt gegen Afroamerikaner war, sowie der scheinbar so lange Zeithorizont, hinter dem sich die Auswirkungen des Klimawandels in einer nebulösen Zukunft verbargen.
Diese Analyse stammt aber von 2017. Seitdem ist in den USA die „Jugendarmee“ des Sunrise Movement schnell gewachsen. Weitere wichtige Bewegungen: In Frankreich hat die Initiative „L'Affaire du siècle“ innerhalb kurzer Zeit zwei Millionen Unterschriften für mehr Klimaschutz gesammelt. Das Netzwerk Extinction Rebellion, das seinen Ursprung in Großbritannien hat, machte unter anderem mit der Blockade von Londoner Brücken auf sich aufmerksam. Und nicht nur junge Leute sind dabei. So haben sich Australierinnen zum Club der Mums for a Safe Climate zusammengetan.
Für den 27. September haben Aktivisten zum potentiell größten bisherigen Klimaprotest aufgerufen: Nichts weniger als einen weltweiten Generalstreik will das Organisationsteam von Earth Strike anzetteln, das nach eigenen Angaben schon tausende Mitglieder in 60 Ländern hat.