In den Ausschüssen des Europäischen Parlaments wird derzeit der von der Kommission vorgelegte Entwurf einer neuen europäischen Richtlinie für erneuerbare Energien diskutiert. Ihr Ausbau hat in Europa eine lange und erfolgreiche Geschichte. Die Vorschläge der Kommission könnten die Erfolgsgeschichte allerdings jäh beenden. Denn bei der Erarbeitung der Vorschläge hat sich bisher die marktliberale Direktion – die Brüsseler Bezeichnung für Ministerium – für Wettbewerb durchgesetzt. Die neue Richtlinie wird nach der Sommerpause mit den Regierungen der Mitgliedstaaten diskutiert und soll noch in diesem Jahr in Kraft treten.
Zentraler Grund für die EU, sich formal mit der Förderung erneuerbarer Energien zu beschäftigen, war das Kyoto-Protokoll. Dieses wurde Ende 1997 als erstes globales Klimaschutzabkommen verabschiedet und verpflichtete insbesondere die Industrieländer, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Daher setzte die EU im Jahr 2001 eine Richtlinie in Kraft, die die klimafreundlichen erneuerbaren Energien fördert. Alle Mitgliedstaaten – und nicht nur wenige Vorreiterstaaten – sollten sie ausbauen und damit zur Umsetzung des Abkommens beitragen. Das hat gewirkt. Der Ausbau gerade von Wind- und Solaranlagen hat bereits bis 2013 zu einer Reduktion der Treibhausgasemissionen um 360 Millionen Tonnen pro Jahr geführt. Das entspricht rund sieben Prozent aller klimaschädlichen Emissionen der EU. Damit leistet die Richtlinie unverzichtbare Beiträge zum Klimaschutz.
Angesichts der zunehmenden Erdüberhitzung und des Pariser Klimaabkommens von 2015, das deutlich anspruchsvoller ist als das von Kyoto, zeigt diese Richtlinie, wie weitsichtig, richtungsweisend und notwendig die Klimapolitik der EU bislang war. Die Richtlinie hat aber auch andere positiven Effekte. So arbeiten heute 1,2 Millionen Europäer im Bereich der erneuerbaren Energien. Rund 40 Prozent der weltweiten Patente aus dieser Branche werden von europäischen Unternehmen gehalten. Der Ausbau der erneuerbaren Energien hat die Kosten für Energieimporte um mehr als 30 Milliarden Euro pro Jahr gesenkt.
Diesem erfolgreichen europäischen Projekt soll nun allerdings gerade aus Brüssel ein heftiger Dämpfer verpasst zu werden. So waren bislang nationale Ausbauziele für die erneuerbaren Energien Bestandteil der Richtlinie. Sie verpflichteten die nationalen Regierungen, den von der Bevölkerung gewollten Ökostromausbau voranzutreiben. Damit wurde die nationale Politik in die Lage versetzt, gegen den Widerstand der traditionellen Energieversorger die umweltfreundliche Konkurrenz zu fördern. Nicht nur die Regierungen der kleinen EU-Mitgliedstaaten haben dabei gegenüber den großen internationalen Energiekonzernen einen schweren Stand. Ohne den Druck der mächtigen Europäischen Kommission könnten viele Länder einen dynamischen Ökostromausbau kaum gegen die alten und großen Energiekonzerne wie RWE, EdF und Co. durchsetzen.
Dennoch will die Europäische Kommission zukünftig auf nationale Ziele verzichten. Stattdessen möchte sie den nationalen Regierungen hohe Hürden für den Ökostromausbau in den Weg stellen.
Vor allem soll den Mitgliedstaaten die Freiheit genommen werden, eine Politik zu wählen, die zu ihren nationalen Bedürfnissen am besten passt. Das bislang am häufigsten verwendete Instrument soll grundsätzlich verboten werden: die administrativ bestimmte Einspeisevergütung für Ökostrom, wie sie das alte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vorsah. Im Jahr 2012 nutzten 24 EU-Mitgliedstaaten dieses überaus erfolgreiche Instrument. Sie alle sollen stattdessen „marktnähere“ Systeme einführen, insbesondere Ausschreibungssysteme. Zum Ausbau von Ökostromanlagen wurden diese in der EU bislang kaum verwendet. Zahlreiche Länder außerhalb Europas haben allerdings schlechte Erfahrungen gesammelt. So kam oft der Ausbau nicht voran – und wenn doch entwickelte sich dennoch meist keine heimische Industrie und es entstanden nur wenig neue Arbeitsplätze.
Ferner soll eine gezielte und differenzierte Förderung verschiedener Technologien grundsätzlich untersagt werden. Diese Differenzierung war bislang Standard in fast allen Mitgliedstaaten. Denn schon aufgrund der unterschiedlichen Kosten dürfen beispielsweise Windenergie, Photovoltaik und Biomasse nicht über einen Kamm geschoren werden. Bei einer Gleichbehandlung kommen die etwas teureren Technologien nicht zum Zuge. In Deutschland hätten beispielsweise Photovoltaikanlagen auf oder an Gebäuden kaum noch eine Chance. Genau diese aber sind bei den Bürger besonders beliebt. Schließlich geht es nicht bürger- und verbrauchsnäher. Photovoltaikanlagen brauchen ferner keinen zusätzlichen Platz, sie verändern das Landschaftsbild nicht und sind unschädlich für die Natur. Sie haben damit kaum Konfliktpotenzial.
Im Entwurf der Kommission wimmelt es von solchen marktliberalen Vorschlägen. Sie erschweren die nationale Politik für den weiteren dynamischen Ökostromausbau. Diesen aber wollen die Wähler, vor allem um den Klimaschutz voranzutreiben. Der ist heute dringender denn je. Schließlich verpflichtet das Pariser Klimaabkommen gerade die Industriestaaten zu deutlich mehr Klimaschutz. Dafür brauchen die EU-Mitgliedstaaten keine Hürden, sondern Ansporn und Unterstützung aus Brüssel. Genau das Gegenteil hat die Generaldirektion Wettbewerb – das Brüsseler Zentrum der Marktideologie – in den Entwurf der neuen Richtlinie hineinverhandelt. Offensichtlich verblassen dort Ziele wie Klimaschutz, Arbeitsplätze oder Unabhängigkeit von Energieimporten vor den Prinzipien des ungeregelten Marktes und des Europäischen Binnenmarktes.
Schon die ersten Entwürfe der Europäischen Kommission für die Richtlinie für Erneuerbare Energien von 2001 und für deren erste Novelle 2009 waren von einem sehr marktliberalen Geist geprägt. Auch sie waren für den Ausbau der erneuerbaren Energien nur begrenzt hilfreich. Nur durch die hartnäckigen Interventionen der EU-Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments wurden aus den fragwürdigen Entwürfen Richtlinien, die umweltpolitisch wirksam und volkswirtschaftlich vorteilhaft waren. Wenn die europäische Erfolgsgeschichte bei den erneuerbaren Energien fortgeschrieben werden soll, dürfen weder das Europäische Parlament noch die nationalen Regierungen vor der Marktideologie kapitulieren. Sie müssen, wie früher, mit aller Entschlossenheit für eine bessere neue Richtlinie kämpfen. Dabei sollten nicht der ungeregelte Markt, sondern politische und volkswirtschaftliche Ziele im Mittelpunkt stehen. Dieser Kampf würde sich lohnen. Für das globale Klima. Für die demokratische Kultur der EU. Und für ihre Glaubwürdigkeit.
Uwe Nestle, Gründer von EnKliP – Energie- und KlimaPolitik in Kiel. Zwischen 2001 und 2010 war er im Bundesumweltministerium für energiepolitische Fragen zuständig. www.EnKliP.de