Der Kohleausstieg muss heute eingeleitet und spätestens in den kommenden zwei Jahrzehnten abgeschlossen werden. So würde der Markt bereinigt und ausreichend Platz für erneuerbare Energien und in der Übergangszeit für Gaskraftwerke und mittelfristig mehr Speicher freigemacht werden. Die Klimaziele von Paris geben das maximale Emissionsbudget auch im Stromsektor vor, welches nicht überschritten werden sollte. Ähnlich wie beim Atomausstieg könnte so ausreichend Flexibilität geschaffen werden, um die Kraftwerksbetreiber im Rahmen des Strukturwandels und Umbaus zu unterstützen. Die ältesten und ineffizientesten Kohlekraftwerke, solche die vor 1990 gebaut wurden, sollten möglichst rasch vom Netz gehen. Dies würde den Umbau erleichtern. Die erneuerbaren Energien müssen weiter wachsen, am besten lastnah und dort, wo es dem System am meisten nützt. Es bedarf dezentraler Netze samt intelligenter Steuerung, um die Energiewende so kosteneffizient wie möglich zu machen.
Dies gelingt natürlich nur, wenn der Strukturwandel klug begleitet wird. Anstelle von „Kohleabwrackprämien“ für das Stilllegen von Kraftwerken zu bezahlen, die ohnehin vom Netz gegangen werden, sollten besser Finanzhilfen für betroffene Regionen und Beschäftigte bereitgestellt werden.
Der Umbau des Energiesystems muss heute eingeleitet werden, die Rahmenbedingungen für die kommenden Jahrzehnte vorgegeben werden. Schnell warnen die Mahner: um Gottes Willen, man kann doch heute nicht schon wissen, was morgen ist! Außerdem müsse es doch Innovationen und einen Wettbewerb um die besten Technologien geben. Alles richtig, alles gut. Aber: Die viel gepriesene „Technologieoffenheit“ im Rahmen einer Transformation des kompletten Energiesystems kann zu Fehlentwicklungen, einseitigen Ausrichtungen und Lock-in-Effekten führen, die man durchaus vermeiden kann. Technologieoffenheit kann zu erheblichen Diskriminierungen von für die Energiewende wichtigen Technologien führen. Beispiel Verkehr. Die Emissionen müssen in den kommenden fünfzehn Jahren halbiert werden. Die Erfüllung der Treibhausgasminderungen im Verkehrssektor hat unbequeme Wahrheiten zur Folge, die kein politischer Entscheidungsträger gern offen ausspricht. Es kann nicht weitergehen wie bisher. Es wird weniger und optimierten Verkehr geben müssen. 45 Millionen Fahrzeuge, die durchschnittlich knapp 23 Stunden am Tag rumstehen, wird es nicht mehr geben können. „Autogerechte Städte“ werden zu „menschengerechten Städten“. Die Digitalisierung wird die Mobilitätsdienstleistungen völlig verändern, hin zu Carsharing und autonomem Fahren.
Da die erneuerbaren Energien im Zentrum des künftigen Energiesystems stehen werden, ist eine direkte Elektrifizierung des Verkehrs technologisch und wirtschaftlich effizient und wäre mit einem realisierbaren Zubau der Anlagen vereinbar. Die Einbindung von Batterien kann systemdienlich zur Stromspeicherung und Entlastung der dezentralen Netze beitragen. Der Güterverkehr kann ebenso mit elektrischen Lkw oder aber direkt auf der Schiene transportiert werden. Für lange Distanzen bieten sich flüssige Treibstoffe an, die aus erneuerbaren Energien gewonnen werden, wie beispielsweise Power to Gas. Der großflächige Einsatz von Power to Gas oder Wasserstoff für alle Verkehrsbereiche würde hingegen einen bis zu siebenfachen Mehr-Ausbau erneuerbarer Energien nach sich ziehen. Und es bedarf einer adäquaten Infrastruktur, die heute errichtet werden muss. „Technologieoffenheit“ kann zu erheblichen Fehlentwicklungen führen, welche Sunk investments nach sich ziehen. Mehrere unterschiedliche Infrastrukturen aufzubauen ist teuer und ineffizient.
Bei den Ausschreibungen erneuerbarer Energien würde Technologieoffenheit vor allem preiswerte Anlagen, somit Onshore-Windanlagen favorisieren. Zum Gelingen der Energiewende sind aber ebenso lastnahe Stromerzeugungsanlagen wichtig, die Energie bedarfsgerecht und versorgungssicher herstellen. Dazu können Solaranlagen oder Biomasse-Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen genauso gehören wie mittelfristig jedwede Speicherlösungen. Diese würden bei technologieoffenen Ausschreibungen kaum eine Chance bekommen.
Wenn man schon unbedingt markt- statt planwirtschaftliche Lösungen einbringen will, sollte man bei den Netzentgelten anfangen. Die staatlich garantierten Traumrenditen für Netzbetreiber führen zu hohen Netzentgelten und Kosten für Verbraucher. Man könnte systemdienliche Ausschreibungen auch für Netze einführen, ähnlich wie jüngst die Monopolkommission vorgeschlagen hat. Müssten sich die Netzbetreiber auch einem Wettbewerb um günstigste Lösungen stellen, würden die Kosten sicherlich sinken können und wir könnten einen optimierten und auf Systemdienlichkeit ausgerichteten Netzbedarf steuern und umsetzen.
Die Energiesteuern müssen reformiert werden. Strom ist zu stark, fossile Energien, allen voran Diesel, sind viel zu niedrig besteuert. Eine konsequent auf Klimaschutz ausgerichtete Steuerreform sollte vor allem die Nutzung von Heizöl, Diesel und Benzin deutlich stärker besteuern. Die Steuereinnahmen sollten für die energetische Gebäudesanierung und den Umbau des Verkehrssystems genutzt werden, sodass die umweltbewussten Heizungs- und Autokäufer finanziell bevorteilt werden.
Viel zu tun für die neue Regierung. Vor allem obliegt es den Grünen, die Kräfte der Moderne, die es auch in CDU und FDP gibt, zu mobilisieren und mit ihnen gemeinsam die Energiewende auf Trab und den Verkehr nachhaltig in Bewegung zu bringen. Der FDP-Slogan „Denken wir neu“ macht Hoffnung. Denken ist ein sehr guter Anfang. Wenn Deutschland nicht den Anschluss an die Moderne verpassen will, brauchen wir eine Politik, die den Mut hat, das Neue, aber Undenkbare zu denken: Atom und Kohle waren gestern. Wir brauchen Klimaschutz und eine Zukunft, in der wir auch morgen noch gut und gerne leben.