Standpunkte Klimakiller Methan-Lecks der US-Gasindustrie

Bei der Gasförderung in den USA gelangen wesentlich größere Mengen des Treibhausgases Methan in die Atmosphäre, als die aktuellen Berechnungen vermuten lassen, so das Ergebnis einer neuen Studie. Grund für die Lecks ist mangelnde Überwachung – nicht nur bei der kontroversen Fracking-Methode, sondern unabhängig von der eingesetzten Technik zur Gasgewinnung. Lorenzo Cremonese vom IASS schreibt in seinem Standpunkt über Möglichkeiten, das Problem einzudämmen.

von Lorenzo Cremonese

veröffentlicht am 16.08.2018

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Eine kürzlich im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlichte Studie deutet darauf hin, dass bei der Gasförderung in den USA wesentlich größere Mengen des Treibhausgases Methan in die Atmosphäre gelangen, als die aktuellen Berechnungen vermuten lassen – unabhängig von der Technik, die bei der Gasgewinnung zum Einsatz kommt.


Eine korrekte Interpretation dieser Erkenntnisse legt nahe, dass dies wahrscheinlich auch auf die Erdgasproduktion im Rest der Welt zutrifft. Probleme wie veraltete Datenbanken und unzureichende Informationen über Überwachungs- und Meldesysteme weltweit müssen daher dringend in Angriff genommen werden.


In den letzten Wochen befassten sich auch deutsche Medien mit dem Thema. Das ist zu begrüßen, denn der Zusammenhang von Klimawandel und Erdgas ist in Deutschland ein politisch sensibles Thema: Importiertes Erdgas deckt 23 Prozent des hiesigen Energieverbrauchs ab.


Allerdings ist die Interpretation der Ergebnisse in den Artikeln irreführend: Häufig wird das in den USA weit verbreitete Fracking für die überraschend hohen, gemessenen Methanverluste bei US-amerikanischen Öl- und Gasanlagen verantwortlich.


So heißt es in einem Artikel: „Ein großes Problem bei dieser Methode ist, dass das Gas nicht komplett aufgefangen wird und deshalb viel klimaschädliches Methan in die Atmosphäre entweicht.“ In ähnlicher Weise wird in einem anderen Artikel behauptet: „Eine wesentliche Rolle spielt der Einsatz der Fracking-Methode, bei der das geförderte Erdgas nicht komplett aufgefangen wird.“


Doch wie in der Studie nachgewiesen wurde, ist die verbreitete Annahme, Fracking führe zu höheren Methanverlusten, schlichtweg nicht richtig. Tatsächlich ist die zentrale Botschaft der Science-Studie eine ganz andere: Unabhängig von der angewendeten Technik – Fracking oder konventionelle Gewinnung  – scheinen die Verluste im Upstream-Sektor (Exploration, Förderung, Produktion) rund 60 Prozent höher zu sein, als von der US-amerikanischen Umweltschutzbehörde offiziell gemeldet. Auch wenn beim Fracking viele ökologische und ökonomische Fragen offen bleiben, etwa bezüglich Erdbeben und Grundwasserschutz, wird die Behauptung, Fracking führe zu höheren Methanemissionen, durch die Studie nicht bestätigt.


Für Europa und andere Regionen, wo Erdgas ohne Fracking abgebaut und genutzt wird, bietet die Studie daher interessante Denkanstöße.


Sie dürfte weltweit Bedenken hinsichtlich der Methoden der Gasgewinnung – ob mit oder ohne Fracking – auslösen. Heutzutage wird allgemein angenommen, dass große Lecks in der Regel auf das Alter der Anlagen, auf mangelhafte Prozesse oder auf die schlechte Instandhaltung von überirdischen Tanks und Leitungen zurückzuführen sind. In einer IASS-Veröffentlichung aus dem Jahr 2016 gehen wir dieser Problematik genauer auf den Grund. Bezeichnenderweise bezieht sich der Online-Artikel in Science, der die Studie vorstellt, überhaupt nicht auf Fracking. Das Gleiche gilt auch für die Studie selbst sowie die zusätzlich bereitgestellten Materialien.


Steve Hamburg, wissenschaftlicher Leiter beim Environmental Defense Fund und ein Autor der Studie, berichtet im Online-Artikel von Science, dass mit Infrarotkameras aus Flugzeugen 8.000 Industriestandorte überprüft wurden. In vier Prozent der Fälle wurden ihm zufolge ungewöhnlich hohe Methanemissionen entdeckt. Die meisten davon seien bei Klappen und Lüftungen an Erdgasspeichertanks  in der Nähe von Bohrlöchern gefunden worden. Dies zeigt eindeutig, dass nicht eine bestimmte Technik, sondern eine mangelhafte Überwachung verantwortlich ist, mit der die zahlreichen Lecks nicht erkannt werden können. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass Klappen und Lüftungen an Speichertanks nicht nur im Fracking-Betrieb eingesetzt werden, sondern in jeder Phase der Produktionskette zu finden sind.


Angesichts neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, wie sie die Studie in Science präsentiert, sollte eine vertiefte Diskussion zur Qualität der von Emissionsmeldesystemen aus aller Welt bereitgestellten Daten stattfinden, zumal diese oft nicht durch solide empirische Untersuchungen gestützt werden. Diesbezüglich wäre es aufschlussreich, die sehr niedrigen, von den zuständigen Stellen in Europa gemeldeten Emissionsmengen im Lichte dieser neuen Erkenntnisse zu überprüfen. Eine solche Untersuchung  gemeinsam mit der Industrie wäre ein lohnendes Unterfangen für die wissenschaftliche Gemeinschaft.


Die Fracking-Debatte in Deutschland ist mit Fehlinformationen behaftet und wir haben eine Chance verpasst, Pros und Kontras einer Wiederbelebung der deutschen Gasindustrie objektiv abzuwägen. Themen wie Energiesicherheit, Kohle, Atomausstieg, Abhängigkeit von russischem Gas und Entwicklung moderner partizipatorischer Prozesse stehen nicht wirklich im Mittelpunkt der Debatte. Die Verbreitung fundierter Informationen – auch durch die Medien – könnte dabei helfen, Gerüchte zu entkräften und eine faktenbasierte Debatte zwischen den Beteiligten zu fördern.


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