Standpunkte Klimaschutz fördert Beschäftigung

Svenja Schulze, Bundesumweltministerin
Svenja Schulze, Bundesumweltministerin Foto: promo

Klimaschutz und Strukturwandel brauchen Planungssicherheit. Während in den Sektoren Energiewirtschaft und Teilen der Industrie mit dem Emissionshandel eine funktionierende CO2-Bepreisung besteht, fehlt in den Sektoren Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft ein konsistentes Preissignal. Wie ein gerechtes Konzept aussehen kann, schreiben Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) und Reiner Hoffmann, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

von Svenja Schulze

veröffentlicht am 10.12.2018

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Vor wenigen Tagen erreichten uns eine gute und eine schlechte Nachricht zum Klimawandel. Die schlechte: So viel Kohlendioxidausstoß wie heute gab es laut einer Untersuchung des UN-Umweltprogramms noch nie. Die gute: Ein Umsteuern ist noch möglich, die Ziele, die sich die internationale Staatengemeinschaft zur Begrenzung des Klimawandels gegeben hat, sind noch erreichbar. 

Nicht nur die Erfahrungen aus dem vergangenen Sommer haben uns ein Alarmsignal gesendet. Nur noch Populisten mit unlauteren Motiven stellen die Notwendigkeit von mehr Klimaschutz infrage. Es geht in der Debatte also nicht darum, ob Klimaschutz notwendig ist. Es geht aber sehr wohl um die Frage, wie der für den Klimaschutz notwendige Strukturwandel gestaltet wird. 

In diesen Tagen trifft sich die Weltgemeinschaft in Katowice, um über die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens zu verhandeln. Deutschland kommt in diesem Prozess eine zentrale Rolle zu: Als viertgrößter Pro-Kopf-Emittent von CO2 wollen wir zeigen, dass ambitionierter Klimaschutz große Chancen für neue und nachhaltige Beschäftigung mit guten Arbeitsplätzen bieten kann. 

Die Strukturwandel-Kommission, die neben einem Ausstiegspfad aus der Kohle Vorschläge für die Entwicklung der betroffenen Regionen machen soll, wird hierfür unsere Bewährungsprobe sein. Hier zeigt sich, was für viele Bereiche unserer Gesellschaft gilt: Viele Menschen sind verunsichert angesichts der großen Veränderungen, vor denen wir stehen. Nicht nur durch den Klimawandel – auch Digitalisierung, Globalisierung oder der demografische Wandel lösen Sorge aus. 

Deshalb müssen wir den Menschen Sicherheit im Wandel geben. Auch in einer treibhausgasneutralen Wirtschaft haben Erwerbsarbeit und industrielle Wertschöpfung für unsere Gesellschaft eine zentrale Bedeutung. Gerechte Strukturentwicklung heißt: neue, hochwertige Beschäftigung und qualitatives Wachstum bei einer schrittweisen Abkehr von der Verbrennung fossiler Energieträger. Unser Weg lautet „Just Transition“ – ein sozial gerechter Strukturwandel als Leitprinzip der Klimapolitik. Der Markt alleine wird es nicht richten. Was wir brauchen, ist ein handlungsfähiger Staat, der Leitplanken zieht, für Investitionen sorgt und den Menschen Sicherheit gibt.

Was bedeutet das konkret? Aus unserer Sicht kommt es auf sechs Punkte an. 

Erstens: Klimaschutz und Strukturwandel brauchen Planungssicherheit und einen verlässlichen finanziellen und rechtlichen Rahmen. Warme Worte und Lippenbekenntnisse sparen noch kein Gramm CO2. Wir brauchen klare Vorgaben zur CO2-Minderung in allen Sektoren und klare Verantwortlichkeiten, damit Investitionen in klimafreundliche Technologien und Anwendungen fließen. Mit dem Klimaschutzgesetz, das 2019 beschlossen werden soll, können wir diese Weitsicht und Verlässlichkeit in der deutschen Klimaschutzpolitik schaffen.

Zweitens: Eine aktive Industrie- und Strukturpolitik muss nachhaltige und ökonomisch tragfähige Perspektiven schaffen, regionale Potenziale der Strukturentwicklung heben und auf eine positive Beschäftigungsbilanz abzielen. Dabei muss mitbestimmte und tarifvertraglich abgesicherte Beschäftigung im Mittelpunkt stehen. Die Kernaufgabe der Strukturwandel-Kommission liegt eben darin, Klimaschutzanforderungen mit neuen industriellen Wertschöpfungspotenzialen zu verbinden. So sollten wir es auch in anderen Branchen angehen.

Drittens: Wenn wir den Menschen Sicherheit im Wandel geben wollen, dann müssen wir für Qualifizierung und neue berufliche Perspektiven sorgen. Fort- und Weiterbildung dürfen nicht erst dann beginnen, wenn jemand bereits arbeitslos ist. Und im Zweifel müssen sich die Beschäftigten auch darauf verlassen können, dass das Solidarsystem sie in Zeiten des Umbruchs auffängt. Deshalb ist die aktuell geführte Sozialstaatsdebatte so wichtig. Für uns gilt: Im Strukturwandel darf niemand ins Bergfreie fallen.

Viertens: Das Anschieben von Transformationsprozessen erfordert öffentliche Investitionen. Es ist die Aufgabe des Staates, technologische und soziale Innovationen, die ein gesellschaftliches Interesse voranbringen, zur Marktreife zu bringen sowie die infrastrukturellen Voraussetzungen dafür zu schaffen. 

Fünftens: Wenn wir von Arbeitgebern eine Kultur der Verantwortung fordern, dann schließt das Nachhaltigkeit mit ein. Weil aber kurzfristiges Profitinteresse und der langfristige Erhalt von inländischen Wertschöpfungsstrukturen nicht immer in Einklang miteinander stehen, müssen die Investitionen der Unternehmen auch durch langfristig orientierte staatliche Regulierung gelenkt werden. Emissionsgrenzwerte oder Produkt-Benchmarks sind deshalb als Teil des Instrumentenmixes notwendig.

Sechstens: Während in den Sektoren Energiewirtschaft und Teilen der Industrie mit dem Emissionshandel eine funktionierende CO2-Bepreisung besteht, fehlt in den Sektoren Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft ein konsistentes Preissignal, dass die Klimawirkung angemessen abbildet und Investitionen in klimafreundliche Technologien lenkt. Hierzu wurden in den letzten Monaten zahlreiche Vorschläge unterbreitet. Diese sollten in den kommenden Monaten intensiv diskutiert und auch auf ihre Verteilungswirkungen überprüft werden. Negative Auswirkungen auf kleine und mittlere Einkommen müssen genauso vermieden werden wie ungerechte Belastungen von Pendlerinnen und Mietern. 

Wir sind überzeugt: Ein ambitionierter Klimaschutz und die damit verbundenen Transformationsprozesse können mit guter politischer Steuerung positive Auswirkungen auf Wertschöpfung und Beschäftigung haben. Wir stehen für eine aktive Industrie- und Strukturpolitik, die frühzeitig die Weichen für die gute Arbeit von morgen stellt. Und für einen Sozialstaat, der bei allen Sorgen und Ängsten für Sicherheit und Perspektive sorgt. Unter der Prämisse von „Just Transition“ müssen wir Klimaschutz und gute Arbeit zusammenführen. Dafür gibt es zwei Wege: Den verzagten nach hinten gerichteten und den mutigen in die Zukunft orientierten. Wir plädieren für mehr Mut und mehr Optimismus!

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