Die Bundesregierung hatte sich für den G-20-Gipfel viel vorgenommen, eine ambitionierte Agenda zur Gestaltung einer interdependenten Welt entwickelt. Deren Grundzüge standen schon fest, als noch alle angenommen hatten, Hillary Clinton würde auf Barack Obama als folgen.
Doch der neue Präsident im Weißen Haus ist ein Klima-, und Kooperationsskeptiker, ein Mann der zu Hause gegen Medien, Wissenschaft und Justiz, also die Instanzen der Machtkontrolle, Front macht und international als Spalter auftritt: Protektionismus, wo es US-Interessen dient, Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen, Beiträge zu den Vereinten Nationen sollen gesenkt werden. Eine wankelmütige Weltmacht, die Affronts verkündet, statt Weltpolitik mit Partnern zu gestalten. Nicht aus Versehen, sondern ankündigt als Strategie zur Schwächung des multilateralen Systems – so hat es Trump im Wahlkampf immer wieder erläutert, sein Berater Stephen Bannon liefert den ideologischen Überbau dazu: America First.
Dass dies alles nicht nur Raunen und Getöse ist, zeigte sich Ende Mai beim jüngsten Nato-Treffen und dann beim G-7- Gipfel in Italien. Dort trat der Präsident als Polterer und Weltpolitik-Macho auf, der anderen die Leviten liest. Das waren keine guten Vorzeichen für den G-20-Gipfel. Die Sorge war groß, dass Trump mit anderen Autokraten, die ebenfalls ein eher taktisches Verhältnis zum Multilateralismus pflegen, flexible Allianzen bilden könnte: mit Russlands Präsident Wladimir Putin oder dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan beispielsweise.
Der Worst Case wäre etwa so ausgefallen: Trump verkündet auf dem G-20-Gipfel, dass die USA 30 Prozent Importzölle auf Stahl erheben; er fordert, die Finanzmarktregulierungen, die in den vergangenen Jahren vorangebracht wurden, in der G20 wieder auf den Prüfstand zu stellen, denn sie schränken die Handlungsfreiheit der Banken und Investmenthäuser ein; Trump tritt gemeinsam mit Putin, dem Herrscher Saudi Arabiens, vielleicht noch Erdogan und dem Präsidenten von Indonesien auf und stellt das Pariser Klimaabkommen in Frage. Das Ergebnis: die G20 vor einem Scherbenhaufen. G0 – es geht nichts mehr zusammen.
Beim G-20-Gipfel in Hamburg, ging es also nicht um Details, sondern ums Ganze – um die Grundideen von Multilateralismus, regelbasierter Weltwirtschaft, die Stabilisierung des Klima- und Erdsystems. Wie also sind die Ergebnisse des Gipfels zu bewerten?
Die gute Nachricht lautet: die Kooperationsskeptiker konnten eingehegt und zurückgedrängt, Rückschläge vermieden werden. Beim Welthandel gab es Formelkompromisse, jedoch keinen Dammbruch. Die Finanzmarktregulierung wurde nicht in Frage gestellt. Beim Klimaschutz stand es 19:1 – eine wirklich gute Nachricht, keine Selbstverständlichkeit. An manchen Stellen der G 20 Abschlusserklärung finden sich wichtige Akzentsetzungen: Zusammenarbeit mit Afrika, Bekämpfung von Pandemien, Schutz der Ozeane, Unterstützung für Unternehmerinnen, Cybersicherheit und Digitalisierung – große Zukunftsthemen.
Und, ganz wichtig: eine Allianz der Herausforderer des Multilateralismus ist nicht entstanden. Nicht Trump, Putin und Co haben den Gipfel geprägt, bedrängt, belehrt (so wie Trump kürzlich beim Nato-Treffen), Oberwasser und die Deutungshoheit über die Zukunft behielten diejenigen, die eine Gestaltung der Globalisierung voranbringen wollen: Kanzlerin Angela Merkel, die Europäer, die neue Generation des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und des kanadischen Präsidenten Justin Trudeau. Auch das Zusammenspiel mit Japan und den Schwellenländern war wichtig.
19:1 beim Klimaschutz ist das was bleibt. Trump oder auch Putin können derzeit alle möglichen Prozesse zur Gestaltung der Globalisierung verlangsamen, aber blockieren oder dominieren konnten sie den Gipfel nicht. Globalisierung gestalten, das geht (für eine Weile) zur Not auch ohne die Trumps und Co. Vielleicht spornt der Gegenwind sogar an.
Also, die Bilanz lautet: Rückschläge erfolgreich vermieden. Aber: ein Befreiungsschlag oder ein Durchbruch zur Gestaltung der global vernetzten Welt war das nicht. Die Konflikte wurden, neben den Formelkompromissen beim Handel und dem 19:1 beim Klimaschutz, von einer Bugwelle von Detailvorschlägen, die sich in der Abschlusserklärung und weiteren Arbeitsdokumenten finden, zugedeckt. Keine schlechte Strategie, denn all dieses Themenfelder sind relevante, globale Interdependenzprobleme, die zukünftig intensiv bearbeitet werden müssten. Das haben nun sogar Trump und andere anerkannt. Doch zu ein oder zwei herzhaften, bleibenden, großen Leuchtturminitiativen (zum Beispiel durch eine signifikante Aufstockung der Mittel für den „Compact with Africa“), die beispielhaft hätten zeigen könnten, dass die Mehrzahl der G-20-Länder zu entschlossenem Handeln bereit ist und wie und mit welcher Kraftanstrengung die Gestaltung der Globalisierung zukünftig angegangen wird, hat es dann in Hamburg nicht mehr gereicht.
Die begrenzten Handlungsspielräume, die der G-20-Gipfel letztlich bot, werden auch beim Klimaschutz deutlich: 19:1 für die Unterstützung des Klimaabkommens war schon einmal mehr, als viele Beobachter vorher erwartet hatten, aber auch zu wenig, um das Klimaproblem wirklich zu lösen. Die Think 20, ein Zusammenschluss von Forschungsinstituten aus den G-20-Ländern, der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) und die OECD hatten in Studien gezeigt, wie die Eckpunkte eines Aktionsplanes der G20 ausschauen müssten, um Klimaschutz zu einem Modernisierungs- und Gerechtigkeitsprojekt für die Weltwirtschaft zu machen: der Scheitelpunkt der Emissionen müsste 2020 erreicht sein, bis 2050 müssten die Treibhausgasausstöße gegen Null gehen. Damit dies gelingt, wären ab 2020 ein CO2-Preis von etwa 40 Dollar sowie eine Abschaffung der weltweiten Subventionen für die Verbrennung fossiler Energieträger notwendig. Die G-20-Länder müssten zudem, neben den sich bereits dynamisch entwickelnden Investitionen in erneuerbare Energien, Pläne für den Ausstieg aus der Kohle vorlegen.
Zudem verdoppeln sich in den kommenden drei Dekaden die weltweiten Infrastrukturen, insbesondere in den urbanen Räumen – neben Energie geht es hier vor allem um Mobilitätssysteme und Gebäude. Diese Investitionen müssen klimaverträglich ausgerichtet werden, um die globale Erwärmung auf unter zwei Grad im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung zu begrenzen und Kipp-Punkte im Erdsystem zu vermeiden. Die T20 und der WBGU haben außerdem Vorschläge auf den Tisch gelegt, wie Klimaschutz zugleich dazu beitragen kann, soziale Schieflagen in unseren Gesellschaften zu bekämpfen. Ein Teil der Einnahmen aus der Besteuerung der Treibhausgasemissionen könnte direkt an die unteren 40 Prozent der Bevölkerungen wieder ausgeschüttet oder für aktive Arbeitsmarktpolitik verwendet werden. Da bleibt also viel zu tun, wozu sich die G20 (noch) nicht durchringen konnten.
Bei den nächsten Klimaverhandlungen in Bonn, im November des Jahres, werden all diese Punkte wieder auf der Agenda stehen. Die 19:1 – Entscheidung der G20 haben dafür gesorgt, dass das Pariser Klimaabkommen verteidigt, stabilisiert und bekräftigt wurde. Realen Klimaschutz zu beschleunigen muss nun an vielen anderen Orten fortgesetzt werden. Hier ist die gute Nachricht: während die Staaten sich schwer tun, Klimaschutz, ökonomische Modernisierung und soziale Entwicklung zusammenzudenken und rasch voranzubringen, gehen viele andere Akteure mit Kraft in diese Richtung. Viele Städte, Regionen und Unternehmen, auch aus den USA, sind längst Klimavorreiter.
Die Wissenschaft liefert, zum Beispiel im Rahmen der Think 20, Konzepte, Daten, Orientierungen, Lösungsvorschläge. Und am 5. Juli meldeten sich vor dem G-20-Gipfel 400 globale Investoren zu Wort, die 22 Billionen US-Dollar, die etwa einem Viertel des globalen Bruttosozialproduktes entsprechen, verwalten. Ihre Ankündigung: sie wollen zur Dekarbonisierung der Weltwirtschaft und der Umsetzung des Klimaabkommens massiv beitragen. Ihre Forderungen: ein angemessener Preis für Treibhausgasemissionen und eine Beschleunigung des Umbaus der globalen Energiesysteme in Richtung der Erneuerbaren. Weltpolitik wird im 21. Jahrhundert nicht mehr nur von Staaten gemacht – das ist gut. Aber: ohne die Staaten und ihre Fähigkeit politische Ordnungen und Anreize zu schaffen, geht es auch nicht. Die G20 muss also weitermachen. Dass dies möglich ist, verdankt sie auch dem Gipfel von Hamburg. Rückschläge wurden vermieden, Durchbrüche zunächst vertagt.
Dirk Messner ist Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).