Standpunkte Klimaschutz mit flexiblen Modellen erreichen

Wie könnte der Kohleausstieg marktwirtschaftlich effizient organisiert werden? BEE-Präsident Fritz Brickwedde schlägt vor, den Kraftwerken ein Stunden-Budget zuzuweisen. Sie wären dann noch am Netz, würden aber nicht mehr durchgängig Strom erzeugen. Soziale Härten würden abgefedert.

von Fritz Brickwedde

veröffentlicht am 30.10.2017

aktualisiert am 22.11.2018

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Beim Klimaschutz und dem Ausbau der Erneuerbaren Energien geht es nicht nur um selbst gesteckte Vorgaben, sondern auch um rechtlich verbindliche Ziele der Europäischen Union und das Pariser Klimaschutzabkommen. Beim schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung kann es deshalb nicht mehr um das Prinzip, sondern nur noch um das Tempo und Ausgleichsmaßnahmen für die Braunkohlereviere gehen, um den Ausstieg sozialverträglich mit neuen Arbeitsplätzen zu gestalten.


Denn: 60 Prozent der Deutschen Kohlekraftwerke sind älter als 35 Jahre, 25 Prozent sogar älter als 40 Jahre. Und kein Unternehmen will in Deutschland ein neues Kohlekraftwerk bauen, so zum Beispiel die Aussage von Uniper.


Es ist doch ein Unding, dass diese alten abgeschriebenen und inflexiblen Kraftwerke hohe Emissionen (CO2, NOx, SO2, Quecksilber)  verursachen und gewinnträchtig sind, während junge, moderne und flexible Gas- und Kohlekraftwerke mit deutlich niedrigeren Emissionen rote Zahlen schreiben. Nur durch das Abschalten alter Kohlekraftwerke wird es dazu kommen, dass Standorte wie Lünen, Hamm oder Datteln schwarze Zahlen schreiben werden.


CO2-Preis rauf, Stromsteuer runter


Das Stromsystem der Zukunft kann nur flexibel sein. Deshalb ist kein Platz für alte Grundlastkohlekraftwerke, die aus technischen und ökonomischen Gründen im Vollastbetrieb laufen und die Netze für die Erneuerbaren verstopfen.


Bundespräsident a.D. Prof. Horst Köhler hat in einer Rede vor der Deutschen Bundesstiftung Umwelt im Dezember 2016 unter anderem erklärt: „Das überlange Festhalten an der Kohle hat uns politisch und finanziell schon gigantische Kosten verursacht.“ Und: „Die globale Erwärmung ist das größte Marktversagen in der Geschichte der Menschheit. Wir brauchen jetzt endlich einen wirksamen Preis auf CO2, und zwar entweder durch eine Steuer oder einen Emissionshandel, der funktioniert.“


Ein marktkonformer Weg wäre eine CO2-Bepreisung. Bislang ist es nicht gelungen, über den Emissionshandel ausreichend Preissignale zu setzen. Auch bei der laufenden Reform des Emissionshandels wird dies absehbar nicht eintreten. Folglich liegt es auf der Hand, dass über einen CO2-Mindestpreis oder eine nationale CO2-Bepreisung die erforderlichen Preissignale gesetzt werden müssen, vorausgesetzt, man möchte die Klimaschutzziele rein marktwirtschaftlich erreichen. Der BEE hat in einer aktuellen Studie herausgearbeitet, dass eine nationale CO2-Bepreisung in Höhe von gerade mal 20 Euro je Tonne ausreichen würde, um die nationalen Klimaschutzziele zu erreichen. Die Einnahmen  könnten aufkommensneutral den Stromkunden zurückgegeben werden, indem man die Stromsteuer stark absenkt.


Da es allerdings auch heftige politische Widerstände gegen marktwirtschaftliche Lösungsansätze gibt, ist es nicht überraschend, dass auch ordnungsrechtliche Ansätze wie ein Kohleausstieg mit der Festlegung konkreter Abschaltdaten bestimmter Kohlekraftwerke diskutiert werden.


Aber auch hier sind grundsätzlich deutlich marktorientierte Lösungen denkbar, die die Erreichung der Klimaschutzziele sichern – bei gleichzeitiger Sicherstellung der Versorgungssicherheit und der ökonomischen Basis für den Wirtschaftsstandort Deutschland.


Volllaststunden könnten sogar gehandelt werden


Den Kohlekraftwerken könnte ein Volllaststunden-Budget der jährlichen Stromerzeugung zugewiesen werden. Diese wären dann noch am Netz, würden aber nicht mehr durchgängig Strom erzeugen. Diese Begrenzung könnte so festgelegt werden, dass das Klimaschutzziel genau erreicht wird. Anders ausgedrückt:  Für den Klimaschutz ist es unerheblich, ob von drei Kohlekraftwerken eines abgeschaltet wird oder ob alle drei jeweils ein Drittel weniger CO2 ausstoßen. Die Kraftwerksbetreiber würden sich an den Börsenstrompreisen orientieren und vor allem Strom erzeugen, wenn diese hoch sind. Zu Zeiten niedriger Strompreise, wenn die Erneuerbaren Energien günstig Strom erzeugen, würden sie weitgehend oder ganz runtergefahren werden. Grundsätzlich ließe sich durch eine – gewisse – Handelbarkeit von Volllaststunden auch den Marktteilnehmern überlassen, ob sie einige Kohlkraftwerke ganz abschalten möchten, weil sich ein Betrieb mit verringerter Stundenzahl bei konkreten Kraftwerken nicht rechnen würde. Das wäre dann ein Marktmodell.


Dies hätte eine Reihe von Vorteilen. Die Klimaschutzziele könnten passgenau erreicht werden. Die Versorgungssicherheit wäre sichergestellt, da die (meisten) Kraftwerke weiterhin in Zeiten hohen Stromverbrauchs, wie etwa in Kältephasen oder bei niedriger Wind- und Solarstromerzeugung, zur Verfügung stünden. Auch für die Arbeitnehmer in den Kraftwerken hätte das Modell eine Reihe von Vorteilen, da ihre Arbeitsplätze auf Jahre hinweg gesichert blieben.


Der BEE sieht dabei zudem große Vorteile für das Energieversorgungssystem. Die Kohlekraftwerke würden vor allem in Zeiten hoher Stromerzeugung mit erneuerbaren Energiequellen runtergefahren werden. Die höhere Flexibilität im System würde sich unter anderem durch niedrigere Redispatchkosten und Abregelungskosten für erneuerbare Energien für die Stromkunden positiv auswirken.


Netzengpass Richtung Süden entlasten


Und abschließend gibt es noch ein gewichtiges Argument für die politischen Vertreter Süddeutschlands. Der Druck auf eine Aufteilung der Marktgebiete würde sich deutlich verringern, da sich die Netzungleichgewichte zwischen Nord- und Süddeutschland deutlich verringern würden, wenn die Kohlekraftwerke dann ihre Produktion runterfahren, wenn viel Wind- und Solarstrom im Netz ist. Dies wirkt sich dann auch positiv auf die Stromkosten aus.


Die Modernisierung der Energieversorgung bietet große Chancen für unsere Volkswirtschaft. Faire Marktbedingungen und verlässliche industriepolitische Rahmenbedingungen sind dabei hilfreich. Die Politik hat jetzt die Chance, Konzepte umzusetzen, die zugleich das Klima schützen und zur Modernisierung unserer industriellen Basis beitragen.

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