Standpunkte Klimaschutz muss raus aus der Öko-Ecke

Warum der Lars Grotewold findet, dass das Klimathema noch viel zu sehr in einem politischen Lager vermutet wird, begründet er in seinem Standpunkt.

von Lars Grotewold

veröffentlicht am 10.08.2017

aktualisiert am 15.11.2018

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Ich hatte vor kurzem die Freude, der Europapremiere von Al Gores neuem Film beiwohnen zu dürfen: „Immer noch eine unbequeme Wahrheit.“ In der Tat. Da stand er nun auf der Bühne, einer der großen Vorkämpfer für globalen Klimaschutz, und kündigte sein neues Werk an. Dann folgten gut zwei Stunden Film mit ganz vielen bedrückenden Szenen von schweren Stürmen, Überflutungen und Dürren – und ganz viel Al Gore. Ja, ein paar Lösungen wurden auch genannt, vor allem die ermutigenden Entwicklungen bei den Erneuerbaren Energien.


Ich verließ den Zoo-Palast in Berlin mit gemischten Gefühlen. Ja, die Menschen müssen verstehen, dass wir dabei sind, uns unserer eigenen Lebensgrundlagen zu berauben. Aber motivieren wir sie mit immer krasseren Bildern von leidenden Menschen, die versuchen, sich vor Klimawandel-induzierten Naturkatastrophen zu retten? Bildern, die Angst machen vor der Zukunft auf einem überhitzten Planeten? Angst motiviert nicht zum Anpacken. Angst führt zu Hilflosigkeit, Verdrängung und Leugnung des Problems. Die große Mehrheit der Menschen in den industrialisierten Ländern versteht den Klimawandel als (abstrakte) Bedrohung, das zeigen viele Umfragen. Daraus leitet sich allerdings keine Veränderung ihres Verhaltens ab – politisch wie beim Konsum, das zeigt die Realität.


Wir kommunizieren wie vor zehn Jahren


Business-as-usual ist der größte Feind von uns Klimaschützern. Wir können die schlimmsten Effekte der globalen Überhitzung nicht verhindern, wenn wir an dem Modell festhalten, Wohlstand durch die Verbrennung fossiler Energien zu generieren. Wenn Al Gores Film mir eines gezeigt hat, dann dass wir uns bei der Kommunikation dieses Themas in der letzten Dekade kaum weiterentwickelt haben. Wenigstens der früher obligatorische Eisbär fehlte! Wir machen business-as-usual in der Klimawandel-Kommunikation. Das wird uns nicht zum Ziel führen. Es ist Zeit, uns das klar zu machen!


Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin der Letzte, der all die hochgradig engagierten Menschen, die sich für ambitionierten und effektiven Klimaschutz überall auf der Welt einsetzen, kritisieren will. Ohne sie wären wir heute nicht dort, wo wir sind. Und wir sind einen weiten Weg gekommen. Und dennoch: Wir werden an den hohen Zielen des Pariser Klimaabkommens krachend scheitern, wenn es uns nicht gelingt, das Klimathema aus der Öko-Ecke herauszuholen und andere als die üblichen Verdächtigen mit an Bord nehmen. Und Scheitern ist keine Option! Darum geht es mir.


Klimapolitik polarisiert


Das Dilemma ist, dass das Framing, mit dem der Klimaschutz anfangs auf die politische und öffentliche Agenda gebracht worden ist, letztlich der Auslöser für die starke politische Polarisierung ist, in der wir heute stecken und die ein schnelleres Vorankommen ausbremst. Denn die Bilder von leidenden Eisbären, der Rhetorik von der Rettung des Planeten, einer insgesamt also bedrohungsfokussierten Kommunikationsstrategie, haben den Klimawandel von vornherein als ein Thema von sozialer und intergenerationaler Gerechtigkeit, Artenschutz, Ungleichheit und Konsumkritik gerahmt. Das ist natürlich sachlich alles nicht falsch, diese Botschaften fallen aber leider nur in bestimmten gesellschaftlichen Milieus auf fruchtbaren Boden. Und sie assoziieren das Thema damit automatisch mit bestimmten kulturellen Werten wie zum Beispiel Altruismus, während sie andere ausklammern wie zum Beispiel Materialismus oder Hedonismus.


Ein Effekt dieser Erzählung ist die Polarisierung des Klimaschutzes entlang des gesellschaftlichen Wertespektrums – von der Überzeugung, dass Klimawandel ein ernstes Problem für das Fortbestehen der Menschheit ist, das sofortiges Gegensteuern erfordert, bis zu jener, dass Klimaschutz ein (impliziter) Angriff auf die eigenen Werte ist; ein trojanisches Pferd, mit dem eigentlich etwas ganz anderes erreicht werden soll: die Abschaffung marktliberaler Prinzipien und die Machtübernahme der grünen und linksliberalen Gutmenschen. Diese Polarisierung liegt auch heute noch im Kern der Auseinandersetzung. Hierdurch erklärt sich, dass sachliche Vorschläge für einen Ordnungsrahmen für die deutsche Energiewende polemisch als Planwirtschaft diskreditiert werden.


Die alten Botschaften kommen nicht an


Und was machen wir Klimaschützer in dieser Situation? Wir antworten mit unseren guten alten Argumenten und Bildern, die doch so klar zeigen, warum wir handeln müssen. Wir schmoren weiter im eigenen Saft, in der Hoffnung dass all jene, die andere Prioritäten setzen, doch noch schnell genug ihr Klimagewissen entdecken. Wir haben es uns bequem gemacht in unserer Nische, in der wir uns und all die bereits Überzeugten immer wieder darin bestätigen, dass wir auf der richtigen Seite sind. Dabei übersehen wir aber den eigentlichen Punkt, und wir sollten schnellsten die richtige Frage stellen. Und diese Frage ist nicht: Was ist falsch mit all den Menschen, denen Klimaschutz offenbar nicht so wichtig ist, wie uns, sondern sie lautet: Was ist falsch mit uns, dass wir nicht verstehen, warum wir nur wenige Menschen mit diesem Thema erreichen, wenn es doch so existenzielle Bedeutung hat?


Dazu müssen wir viel besser verstehen und ernst nehmen, woher Menschen hinsichtlich ihrer Werte und Präferenzen kommen, wie sie die Welt sehen, in welcher Lebenswirklichkeit sie stecken. Nur dann gibt es überhaupt eine Chance, sie mit auf den Weg zu nehmen. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein viel größerer Teil der Bevölkerung für die Dekarbonisierung zu mobilisieren ist, als wir gegenwärtig mit unseren Klima-Narrativen erreichen. Wir alle wissen, dass Dekarbonisierung viel mehr als die Antwort auf ein Umweltproblem ist. Dekarbonisierung ist aktiver Gesundheitsschutz; auf der ganzen Welt leiden Millionen von Menschen unter den Auswirkungen massiver Luftverschmutzung durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas. Dekarbonisierung heißt Innovation und wirtschaftliche Erneuerung, sie ist die fundamentale Voraussetzung für künftige Wettbewerbsfähigkeit. Auch unser Verkehrsminister wird bald verstehen, dass das protektionistische Gebaren zur Bewahrung des Diesels eher der Todesstoß als die Rettung für die deutschen Autobauer sein wird. Denn es verhindert die notwendige rasche Modernisierung, die es braucht, um künftig auf dem Weltmarkt bestehen zu können. Wir alle können diese Liste mühelos erweitern, und doch greifen wir automatisch zunächst auf die Bedrohungskulisse zurück, wenn uns jemand fragt, warum wir denn eigentlich Klimaschutz machen müssen. Obwohl wir all die Chancen kennen! Business-as-usual eben, nur noch ein bisschen heftiger vielleicht.


Das alles ist nicht neu, und Sie dürfen mir glauben, dass mir viele der neuen Ansätze in der Klimakommunikation bekannt sind. Aber so richtig, scheint mir, haben wir es eben doch noch nicht verstanden: Auch wir müssen uns verändern! Das vergessen wir vielleicht manchmal über all dem Wandel, den wir von allen verlangen. Wie üblich bei unserem Thema, gilt auch hier: Je schneller, desto besser! In diesem Sinne freue ich mich auf ihren nächsten Film, lieber Al Gore, der mich dann bestimmt weniger frustriert zurücklässt


Lars Grotewold ist Leiter des Bereichs Klimawandel bei der Stiftung Mercator

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