Die neue Kohle-Kommission soll in Kürze eingesetzt werden. Ihre Aufgabe unter anderem: ein Ausstiegsfahrplan für die Kohle und Maßnahmen für die Schließung der Klimaschutzlücke 2020. Aber in der öffentlichen Debatte sind Vorschläge, die mit dem Klimaschutz und den Klimaschutzzielen vereinbar sind, Mangelware. Als ambitioniert gilt schon, wer die Stilllegung von sieben Gigawatt (GW) Kohlekapazität fordert. Dabei reicht diese Reduktion auf keinen Fall aus, um das Klimaschutzziel 2020 noch zu erreichen.
Gleichzeitig steht die Debatte um ein neues Atomgesetz auf der Tagesordnung. Obwohl die Sicherheit der noch laufenden Atomkraftwerke (AKW) in der verbleibenden Restlaufzeit ein großes Problem ist und die Atomkraft zunehmend den erneuerbaren Energien im Weg steht, will die Bundesregierung die Überarbeitung des Gesetzes nicht für eine Beschleunigung des Atomausstieges nutzen.
Vor diesem Hintergrund hat der BUND kürzlich eine eigene Analyse veröffentlicht, in der wir zeigen, dass Deutschland bis 2020 sehr viele Kohlekraftwerke vom Netz nehmen kann und zugleich die Laufzeiten der verbliebenen Atomkraftwerke relevant verkürzen kann. Der BUND will mit seinem Abschaltplan eine transparente Diskussion darüber anstoßen, über das, was möglich ist. Die ersten Reaktionen von Stefan Kapferer vom BDEW und der Braunkohlelobby DEBRIV waren scharf, entbehrten aber substantieller Kritik an unseren Vorschlägen und Berechnungen.
Als Grund für den mangelnden politischen Ehrgeiz bei der schnellen Abschaltung von gefährlichen und klimaschädlichen Kraftwerken wird mit Problemen bei der Versorgungssicherheit argumentiert. Mit dem Abschaltplan wird das Argument klar entkräftet. Nach der Berechnung in unserer Analyse geht im Ergebnis der Leistungsüberschuss in Deutschland zwar zurück, aber die Versorgung bleibt auch in Stunden ohne Sonne und mit wenig Wind gewährleistet. Die Versorgungsicherheit ist gewährleistet, wenn die Politik nicht weiter abwartet, sondern aktiv die Energiewende voranbringt.
Es geht darum, die erneuerbaren Energien engagiert weiter auszubauen und die energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen für eine Energiewende, die im Wesentlichen auf Windenergie und Photovoltaik basiert, zu schaffen. Dies bedeutet auch einen Ausbau von flexiblen dezentralen KWK-Kraftwerken, die Senkung des Stromverbrauchs und eine deutliche Steigerung der Möglichkeiten zur Lastreduktion. Als begleitende Maßnahme zu diesen notwendigen Schritten schlagen wir zudem die Einrichtung einer neuen Kohleausstiegsreserve vor.
Wie sind wir bei unseren Berechnungen vorgegangen? Der BUND hat für seinen Abschaltplan eine detaillierte Leistungsbilanz für den aktuellen und den zukünftigen Kraftwerkspark bis 2023 vorgenommen. Eine Leistungsbilanz ist kein perfektes Abbild der Wirklichkeit auf dem Strommarkt. Gerade auch weil sie im Kern eine nationale Betrachtung ist und die immer wichtiger werdende Absicherung über die europäischen Nachbarn nur rudimentär betrachtet. Aber eine Leistungsbilanz ist eine transparente Extrembetrachtung.
Die Berechnungen der Leistungsbilanz basieren dabei hauptsächlich auf Werten der Bundesnetzagentur oder der Übertragungsnetzbetreiber. Abweichungen und andere Annahmen werden in dem Konzept begründet. Denn: Die Transparenz ist eine wichtige Voraussetzung für die jetzt anstehende politische Debatte um die Atomgesetznovelle und in der Kohlekommission. Ohne eine offene, ehrliche Debatte wird es nicht gehen.
Zu der an uns gerichteten Kritik beziehen wir deshalb auch Stellung. Der BDEW sagte in einer ersten Reaktion, die Rechnung des BUND sei nicht nachvollziehbar und der Trend zum Abbau gesicherter Erzeugungskapazitäten setzte sich unvermindert fort. Dies haben wir in unserer Leistungsbilanz aber gar nicht bestritten. Im Gegenteil: Der BUND fordert eine umfangreiche Stilllegung von Kohle- und Atomkraftwerken. Und bei den Werten für Gaskraftwerke im Jahr 2020 bezieht sich die BUND-Analyse direkt auf die Zahlen der BDEW-Kraftwerksliste. Aber wir zeigen, dass unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Reserven dennoch ausreichend gesicherte Leistung vorhanden ist.
Der Bundesverband Braunkohle (DEBRIV) kritisierte, die vom BUND angenommene gesicherte Leistung aus erneuerbaren Energien gebe es in dem behaupteten Ausmaß nicht. Wir haben unsere diesbezüglichen Annahmen aber konkret begründet. Vor allem aber haben wir eine Variante der Methode der Übertragungsnetzbetreiber zur Ermittlung der gesicherten Leistung aus erneuerbaren Energien benutzt. Auch diese Variante hat eine positive Leistungsbilanz. Die vorgebrachten Einwände reichen also nicht aus, um den BUND-Abschaltplan zu entkräften.
Die 2020-Frage ist das aktuell größte ungelöste Klimaschutz-Problem Deutschlands: Bekanntlich wird das Klimaziel für 2020 derzeit um phänomenale zehn Prozentpunkte verfehlt. Die klaffende Lücke bis zum Klimaziel beträgt unverändert 150 bis 160 Millionen Tonnen CO2. Es gibt keine andere Möglichkeit, diese Lücke zu schließen, als die Emissionen aus Kohlekraftwerken deutlich zu reduzieren (selbst wenn man Bundesregierung ist und offensichtlich vorhat, das Ziel zeitlich nach hinten zu verschieben). Die politische Debatte dazu ist aber von einer vermeintlichen Macht des Faktischen dominiert: Seit den Jamaika-Sondierungsgesprächen hält sich hartnäckig, dass versorgungssicher maximal sieben bis acht GW Kohlekraftwerke schnell vom Netz genommen werden könnten. Das schließt aber die Klimaschutzlücke nicht mal zu einem Drittel.
Das Klimaziel 2020 ist nicht einerlei: Wird 2020 nicht geschafft, steht auch das nächste Ziel für 2030, dann mindestens minus 55 Prozent Treibhausgase, faktisch auf der Kippe. Denn die Aufgabe, dann zu Einsparungen zu kommen, wird nicht kleiner, sondern größer, und der Sockel an Emissionen bliebe zu hoch. Um die nötigen CO2-Einsparungen zu erreichen, muss die Leistung der Braun- und Steinkohlekraftwerke am Strommarkt von heute rund 43 GW auf 20 GW sinken – wobei rund drei GW schon zur Stilllegung bis 2020 angemeldet sind. Das entspricht in etwa allen Kraftwerken, die vor 1990 ans Netz gegangen sind: Steinkohlekraftwerke ab 100 Megawatt (MW); Braunkohleblöcke ab 200 MW, weil diese kaum Wärme auskoppeln.
Das wirft als erstes die Frage nach Jobverlusten und Folgen für die Braunkohle-Reviere auf. Deshalb müssen die strukturpolitischen Begleitmaßnahmen für den Kohleausstieg endlich auf den Weg gebracht werden. Der BUND schlägt, auch zum Erhalt von Arbeitsplätzen, und für die Sicherung der Versorgung eine Kohleausstiegsreserve vor, die neu eingeführt werden soll, und in die rund sechs GW an Kraftwerksleistung eingebracht werden. Darüber hinaus können Steinkohle-KWK-Anlagen, bei denen die Brennstoff-Umstellung oder Ersatz nicht schnell genug realisierbar sind, übergangsweise für die Wärmeversorgung in den Wintermonaten laufen. Auch werden teilweise emissionsärmere (Gas-KWK-) Ersatzanlagen errichtet werden müssen.
Nicht zuletzt liegen auch Vorschläge auf dem Tisch, nur einen Teil der Emissionsminderung über Stilllegungen zu erreichen und die übrigen Kohlekraftwerke entsprechend zu drosseln. All die genannten Maßnahmen werden Standorte und die dortigen Jobs für eine gewisse Übergangszeit, manche auch dauerhaft, erhalten. Begleitend müssen für die Beschäftigten sozialpolitische Maßnahmen entwickelt werden, Umschulung und Weiterbildung organisiert und weitere neue Arbeitsplätze in den Regionen geschaffen werden.
Als zweites stellen sich monetäre Fragen: Die Börsenstrompreise würden sich dadurch nach ersten Berechnungen auf ca. 40 Euro pro Megawattstunde erhöhen – was viele derzeit darbende Kraftwerksbetreiber freuen dürfte (und die penetrante Forderung der Energieversorger nach Kapazitätsmärkten obsolet macht). Die EEG-Umlage würde im Übrigen sinken; auch mehr Effizienz, ohnehin unverzichtbar, wird sich preisdämpfend auswirken.
Und wie steht es um Entschädigungen für die Kraftwerksbetreiber? Schlecht. Mit etwa einem Jahr Übergangsfrist können Kohlekraftwerke mit einem Betriebsalter ab 25 Jahren grundsätzlich entschädigungsfrei stillgelegt werden. Die Frage der Tagebaue, so einschlägige Gutachten, muss noch einmal gesondert betrachtet werden.
Die neue Bundesregierung muss das Atomgesetz schnell überarbeiten, denn das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgegeben, das Atomgesetz bis 30. Juni 2018 zu ändern, damit der Atomausstieg gänzlich verfassungsgemäß wird. Das Gericht hat die Gesetzmäßigkeit des Atomausstiegs bestätigt, sieht jedoch Handlungsbedarf, da die vollständige Verstromung der den Atomkraftwerken zugewiesenen Elektrizitätsmengen in zwei Sonderfällen (Krümmel und Mülheim-Kärlich) nicht sichergestellt ist. Der BUND kritisiert, dass die Bundesregierung die Novelle bislang nicht zum Anlass nimmt, den dringend gebotenen Atomausstieg in Deutschland zu beschleunigen.
Der geltende gesetzliche Ausstiegsfahrplan sieht vor, dass mit Philippsburg 2 nur ein weiteres AKW Ende nächsten Jahres vom Netz gehen soll. Alle weiteren sechs AKW sollen erst Ende 2021 oder 2022 abgeschaltet werden. Die sieben AKW, die jetzt noch am Netz sind, bedeuten ein ständiges Sicherheitsrisiko. Dies zeigt die vom BUND veröffentlichte neue Studie zu den aktuellen Problemen und Gefahren bei deutschen Atomkraftwerken. Die Risiken der Atomenergie dürfen in der wichtigen Auseinandersetzung um Klimaschutz und Kohleausstieg nicht vergessen werden. Außerdem produzieren die laufenden AKW jeden Tag zusätzlichen Atommüll, von dem wir immer noch nicht wissen, wo er gelagert werden soll.
Auch energiepolitisch hat es Sinn, den Atomausstieg zu beschleunigen. Vor allem die norddeutschen Atomkraftwerke stehen der Nutzung schon heute verfügbaren Stroms aus erneuerbaren Energien im Weg. Für jeden weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien in Norddeutschland sind die Atomkraftwerke ein Hindernis. Sie blockieren die Weiterleitung erneuerbar erzeugter Energie insbesondere aus Windenergieanlagen. Während diese wegen angeblicher Netzengpässe immer wieder abgeregelt werden, laufen die AKW nahezu ungedrosselt weiter. Ihr Atomstrom verstopft die Leitungen, die der Windstrom nutzen könnte.
Selbst am Weihnachtswochenende 2017, als in Deutschland über längere Zeit ein Überangebot an Strom vorhanden war und zu negativen Strompreisen führte, leisteten die Atomkraftwerke mindestens noch 5,5 GW. Ein ähnlicher Effekt war aktuell am 1. Mai 2018 zu beobachten. Dies widerspricht nicht nur den gesetzlichen Regelungen zum Einspeisevorrang für erneuerbare Energien, sondern läuft auch zunehmend den Zielen der Energiewende entgegen. Gleichzeitig werden so unnötige Kosten in dreistelliger Millionenhöhe verursacht, welche die Netzentgelte privater Haushalte, von Gewerbe, Handel und Industrie belasten.
Der BUND fordert das gesetzliche Verbot weiterer Strommengenübertragungen, um den Atomausstieg deutlich zu beschleunigen. In jedem Fall ausgeschlossen werden müssen weitere Strommengenübertragungen auf AKW, die in den sogenannten Netzausbaugebieten liegen (Brokdorf und Emsland). Es ist nicht vermittelbar, dass in diesen Gebieten der Ausbau der Windenergie beschränkt wird, aber weitere Strommengen auf die AKW übertragen werden dürfen.