Deutschlands Klimaziele sind ambitioniert. Bis 2020 sollen die CO2-Emissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden, bis 2050 die Dekarbonisierung weitgehend erreicht sein. Stand heute werden diese Ziele verfehlt, die Emissionen in den Sektoren Strom, Verkehr und Gebäude sind weiterhin zu hoch. Gerade im Gebäudebereich ließe sich aber einiges bewegen, wenn endlich die richtigen politischen Weichen gestellt würden. Die mögliche Jamaika-Koalition hat beste Chancen dazu. Sie bringt alle Voraussetzungen mit, die Baustellen, die die große Koalition bei der Energiewende im Gebäude hinterlassen hat, zu beenden.
Was muss dafür geschehen? Das wichtigste zuerst: CDU/CSU müssen mit einer Stimme sprechen und Bundeskanzlerin Merkel muss die Energiewende im Gebäude auf die Agenda der Koalitionsgespräche setzen. Zugleich sollte die Kanzlerin auf die großen Stärken ihrer beiden potenziellen Juniorpartner vertrauen. Bei der FDP ist es die Digitalisierung, bei den Grünen Umwelt- und Klimaschutz. Merkel könnte mit dem punkten, was ihre Aufgabe in einer Jamaika-Koalition wäre: den Prozess zwischen beiden Juniorpartner moderieren und auf eine pragmatische Lösung hinführen. Diese bestünde im Wesentlichen darin, dass die FDP ökologischer und die Grünen liberaler werden. Denn bei der Energiewende im Gebäude geht es nicht um Ideologien, sondern darum, die unterschiedlichen Interessen von Eigentümern, Mietern und Umwelt mit smarten und vor allem bezahlbaren Lösungen unter einen Hut zu bringen. Wie anspruchsvoll das sein kann, hat die Diskussion um das Gebäudeenergiegesetz gezeigt, das die große Koalition nach monatelangem Hin-und-her zum Ende der Legislaturperiode platzen ließ. Das Kompetenzgerangel zwischen den zuständigen Ministerien und überzogene Forderungen nach noch mehr Regulierung waren die Ursache für das Scheitern. Wenn Bundeskanzlerin Merkel weiterhin auch „Klimakanzlerin“ bleiben will, sollte ihre neue Regierung hier ansetzen und ihre Juniorpartner zielsicher positionieren.
Konkret bedeutet das: Die FDP muss ihre digitale und wirtschaftliche Kompetenz einbringen können. Die Energiewende im Gebäude ist bisher vor allem an den zu hohen Kosten gescheitert. Die Immobilienwirtschaft warnt zu recht davor, dass bezahlbares Wohnen und immer schärfere Energieeffizienzvorschriften unvereinbar sind. Die Digitalisierung bietet hingegen die Chance, Effizienzpotenziale kostengünstig zu heben. Anders als beispielsweise Dämmung und Heizungssanierung sind digitale Lösungen in vielen Fällen niedriginvestiv. Dazu braucht es im ersten Schritt mehr Transparenz über den tatsächlichen energetischen Zustand der Gebäude in Deutschland. Energieverbräuche können heute weitgehend digital erfasst und Prozesse durch digitale Infrastruktur verbessert werden. Der Datenschutz, eine weiteres Kernthema der FDP, ist dabei ein wichtiges Gut, darf aber nicht zum Blockierer für technologische Entwicklungen werden.
Die FDP muss hier mehr Augenmaß walten lassen. Denn eines ist klar: Wer wissen will, welche Gebäude wie viel Energie verbrauchen und welche Sanierungsmaßnahmen den Energieverbrauch tatsächlich senken, braucht eine verlässliche umfassende Faktenbasis. Zum Beispiel in Form einer Datenbank, die den CO2-Ausstoß pro Gebäude bundesweit erfasst. Entscheidungen über die Wirtschaftlichkeit von Maßnahmen hätten dann endlich eine aktuelle und belastbare Grundlage. Gemeinsam mit der Immobilienwirtschaft, Dienstleistern, Start-ups und Verbraucherverbänden könnte die FDP dieses digitale Projekt in der Jamaika-Koalition vorantreiben und die technologischen sowie datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen schaffen.
Die Grünen sind hingegen ein unbestrittener Motor bei Umwelt- und Klimathemen. Das Problem ist, dass sie dabei manchmal zu schnell sind und vorhandene Strukturen und Ressourcen überfordern. Das große Ziel: Strom, Verkehr und Wärme koppeln und komplett mit erneuerbaren Energien betreiben. Im Gebäude würde dann nicht mehr mit Gas und Öl, sondern mit Ökostrom geheizt. Dass diese Wärmewende im Gebäude bisher stockt, liegt auch an den Altlasten aus der ersten Phase der Energiewende und die Fokussierung auf den Stromsektor. Wenn der Verbraucher im vergangenen Jahr allein durch die EEG-Umlage Kosten von 25 Milliarden Euro stemmen musste, so ist dies das schmerzhafte Ergebnis einer zu hastigen und zu wenig wirtschaftlich gedachten Umsetzung. Die in diesem Jahr leicht sinkende EEG-Umlage kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die angedachte Elektrifizierung des Gebäudebereichs mit erneuerbaren Energien bis dato schlicht zu teuer ist. Ähnliches gilt für die Sanierungsquote, die seit Jahren bei einem Prozent stagniert und damit hinter den Erwartungen zurückbleibt.
Diese zweifelhafte Bilanz liegt aber keineswegs am Unwillen der Gebäudeeigentümer, die Energiewende ins Gebäude zu bringen. Vielmehr sind die Kosten für die energetische Sanierung und technologische Modernisierung so hoch, dass sie sich für Eigentümer und Mieter nur über sehr langfristige Investitionszyklen rechnen. Wer meint, er könne die Energiewende mit Hochdruck ins Gebäude drücken, überfordert die vorhandenen Strukturen und Ressourcen. Die Grünen müssen ihr Tempo diesen Strukturen anpassen und weniger auf Regulierung als auf Wettbewerb setzen. Statt programmatisch auf die schnellstmögliche Elektrifizierung zu drängen, sollten endlich die Vorteile aller Energieträger in einen pragmatischen Gesamtplan für die Energiewende einfließen. Und das auf Basis von Wettbewerb und Technologieoffenheit und mit einem Minimum von Regulierung und künstlicher Subvention.
Dass Grüne und FDP oftmals gar nicht so weit auseinander liegen, zeigt die aktuelle Debatte um die Stromsteuer. Die Liberalen wollen die Abgabe so schnell wie möglich streichen, um Strom für Industrie und Verbraucher günstiger zu machen. Die Grünen tragen diesen Vorschlag zwar bisher nicht mit, für die Sektorkopplung und die Umrüstung von Gas und Öl auf erneuerbare Energien im Gebäudesektor wäre die Abschaffung der Stromsteuer aber eine wichtige finanzielle Entlastung. Ideen, wie der Steuerausfall kompensiert werden könnte, finden sich bei beiden Parteien. Die Grünen plädieren für eine CO2-Steuer auf alle Energieträger. Strom aus erneuerbaren Energien würde so gegenüber Gas, Öl und Benzin wettbewerbsfähiger und für den Verbraucher und Gebäudeeigentümer attraktiver. Die FDP kann sich ebenfalls mit der Abgabe auf CO2 anfreunden, jedoch in Form eines reformierten europäischen Emissionshandels. Die Verhandlungsmasse für erfolgreiche Koalitionsgespräche ist in diesem zentralen Punkt also gegeben.
Entscheidend wird aber sein, dass beide Juniorpartner nicht auf ihren Kernkompetenzen verharren, sondern sich gegenseitig ergänzen. Die Grünen dürfen ihre Vision der Sektorkopplung nicht mit immer neuen Vorschriften überfrachten, sondern müssen offen sein für marktwirtschaftliche Mechanismen, die garantieren, dass sich die kostengünstigsten Lösungen durchsetzen. Das erfordert vor allem ein klares Bekenntnis zu Technologieoffenheit und Wettbewerb statt Regulierung. Mehr Fortschrittsoptimismus in Hinblick auf neue technische Innovationen wäre angebracht. Genau diesen Optimismus bringt die FDP mit, zugleich müssen sich die Liberalen aber auch in Themen hineindenken, die ihnen bisher eher fremd waren, nämlich Energiepolitik und Klimaschutz.
Der Erfolg hängt in hohem Maße davon ab, ob die neue Regierung den Zielkonflikt zwischen bezahlbarem Wohnraum und energetischen Anforderungen lösen kann. Eigentümer und Mieter erwarten von der Politik dringender denn je eine tragfähige Lösung. Die CDU/CSU kann hier die Diskussion um das Gebäudeenergiegesetzes wieder aufnehmen und deutlich machen, dass niedriginvestive Maßnahmen bei der Energiewende im Gebäude Vorrang haben müssen. Das gelingt vor allem dann, wenn man Eigentümer und auch Mieter aktiv miteinbezieht. Ein gutes Beispiel ist das Nutzerverhalten: Bereits durch kleine Verhaltensänderungen lässt sich der Energieverbrauch pro Haushalt signifikant verringern. Der Schlüssel dazu ist eine zeitnahe Transparenz des Energieverbrauchs, die wesentlich kostengünstiger zu haben ist als Dämmung oder Heizanlagensanierung.
Die Jamaika-Koalition bringt alle Voraussetzungen mit, um die Weichen für eine erfolgreiche Energiewende im Gebäude zu stellen und den Konflikt zwischen bezahlbarem Wohnen und Klimaschutz zu lösen. Vielleicht etwas langsamer und weniger ambitioniert als bisher, dafür mit mittel- und langfristig zählbaren Erfolgen. Es wird sich zeigen, ob Angela Merkel als „Klimakanzlerin“ in die Geschichtsbücher eingeht.