Standpunkte „Neue Mobilität braucht Begeisterung“

Der Geschäftsführer des ADAC, Alexander Möller, antwortet mit seinem Standpunkt auf den Gastkommentar des Berliner Verkehrsforschers Weert Canzler.

von Christoph Möller

veröffentlicht am 25.06.2017

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Alexander Möller wünscht sich eine unideologische Diskussion über die Mobilität der Zukunft. Hier beschreibt er, welche Punkte eine solche Debatte berücksichtigen sollte:

These 1: Mobilität soll vor allem funktionieren. Eine Abneigung gegen Formen der Mobilität bei allem Wissen über Nachteile für die Umwelt besteht ganz überwiegend nicht. Zwar halten 38 Prozent der Bevölkerung den heutigen Verkehr und das Mobilitätsverhalten in Deutschland für eine ernsthafte Bedrohung für die Umwelt. Es gibt aber keine Demos vor Autofabriken oder an den Toren der Lufthansa. Kurz gesagt: Das Auto ist kein Atomkraftwerk, gegen das man demonstriert –  selbst nach dem VW-Dieselskandal. Deshalb muss es hier möglich sein einen Mobilitätspakt anzustreben, der alle wesentlichen Player der Mobilität, aus der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Gesellschaft an einen Tisch bringt und zu Infrastruktur, Verkehrsmitteln und Angeboten der Zukunft berät und Maßnahmen zur Umsetzung empfiehlt. Keine Projekte, keine Modelle, politische Entscheidungen und Taten.

In den Kontext gehört übrigens auch, dass nur sieben Prozent  der Bevölkerung annehmen, dass sie selbst einen überdurchschnittlichen Anteil haben an der Verantwortung für die Umweltschäden durch Verkehr. 38 Prozent sagen übrigens ihr Verhalten trage unterdurchschnittlich dazu bei.

These 2: 60 Jahre ist den Deutschen eingetrichtert worden, dass ihr Wohlstand vom Wohl der deutschen Automobilindustrie abhängt. Eine Verkehrswende, die – da hat Weert Canzler völlig recht – zwingend das Auto einbeziehen muss und die gesellschaftliche Akzeptanz zu ihrer Durchsetzung braucht, muss diesem Umstand Rechnung tragen und nachweisen können, dass es eben auch um die Zukunft dieser Industrie geht. Kurz: Eine Verkehrswende muss ein Bekenntnis zum Pkw abgeben.

These 3: Wir müssen das ganze Land im Blick haben. Wir dürfen keine dieser typischen Berliner Debatten führen. Das Beispiel Carsharing macht das herrlich deutlich: Während wir uns kaum retten können von Angeboten in Berlin, sieht es in Husum, Erfurt oder Castrop-Rauxel anders aus. Jedes Modell eines Carsharing-Angebots im ländlichen Raum ist über den Projektstatus nicht hinaus gekommen. Verkehrswende muss für den Ballungsraum genauso wie für alle Formen des ländlichen Raumes gelten.

These 4: Wir brauchen eine Vision, nennen wir es Zielbild „Wohin wollen wir, was wollen wir erreichen?“

Für die Formulierung des Zielbildes wissen wir heute schon sehr viel: Wir werden emissionsfrei, automatisiert und in einer Systemmobilität aus ÖPNV und IV unterwegs sein. Wir werden Individualität/Emotion/Rationalität in Bezug auf Mobilität neu definieren. Wir machen ÖPNV also individueller und verlässlicher. Wir werden vernetzen und so Verkehr reduzieren, mehr Zeit haben, mehr Platz und weniger Lärm. Und wir werden Mittel und Umwelt dazu effizient einsetzen. Für die Infrastruktur und die Ressourcen.

Ohne kommunales Engagement wird es dabei gerade in der Metropole wie Berlin keine sichere, verlässliche und leistungsstarke Mobilität geben. Dabei muss im Vordergrund stehen: Betriebliche Stabilität, sich verlassen können darauf, dass Straßenbahn, Bus, U-Bahn und S-Bahn wie angekündigt von A nach B fahren und wir keine dauerhafte Alternativen habe, die großen Zahlen von Menschen zu den Hauptverkehrszeiten zu fahren. Und wir brauchen 24/7 Zugang zu allen Informationen und allen Ticketarten. Heute zeigen uns die Studien, vom ADAC über ÖPNV-Nichtnutzer, dass insbesondere mangelnde Preistransparenz und Unzuverlässigkeit Menschen von deren Nutzung abhalten. Deshalb: Auf dem Weg zur Realisierung des Zielbildes das Kundenbedürfnis in den Mittelpunkt, nicht die Show. Das gilt erst recht für den ländlichen Raum. Wir brauchen eine starke Grundversorgung mit öffentlicher Mobilität, individuell nutzbar von allen auf dem Land.

These 5: Die Zeit der Projekte und Versuche, steuerzahlerfinanziert und zeitlich begrenzt, ist vorbei. Rund um die Mobilität brauchen wir zwar Forschung und Entwicklung, wenn es um die beste Batterie geht oder wenn wir lernen, wie wir automatisiertes Fahren bei Pkw und Lkw am besten auf die wie zu verändernde Straße bringen. Wir brauchen aber keine Modellprojekte für die nächste Carsharing-Idee oder Sparkassengeld für Bürgerbusse. Das heißt nicht, dass der Staat sich zurückziehen darf. Im Gegenteil. Wir brauchen eine neue Vorstellung von Regulierung. Weniger Finanzierung von Althergebrachtem.

Zum Beispiel muss der Missbrauch der Finanzierungen für Schülerverkehre weg, der heute nicht die Schüler finanziert, sondern (zu wenig) Mobilität im ländlichen Raum. Wir brauchen keine Lex Uber, wir brauchen Regeln, die Verbraucher und Arbeitnehmer schützen und Innovationen ermöglichen. Wir brauchen keine Dorfbürgermeister, die glauben nur wenn bei ihnen ein Zug durchfährt, haben sie eine Chance der demographischen Falle zu entkommen. Wir brauchen eine sichere, umweltfreundliche und komfortable Mobilitätsgarantie im ländlichen Raum 24/7. Bahn, Bus und Auto genauso wie Potentiale für Fahrrad und Fußgänger. Wir müssen in Verkehrsgebieten, nicht Verkehrsmitteln denken. So wie heute jeder Mieter oder Haussuchende beim Miet- oder Kaufobjekt nach dem nächsten S-Bahnhof guckt, muss morgen klar sein, was ich an sicherer Mobilität wo definitiv habe.

These 6: Insoweit hat Canzler Recht hinsichtlich der Finanzierungsaspekte des Personenbeförderungsgesetzes. Wettbewerb im Interesse der Verbraucher zu organisieren und Verbraucherschutz durch Regeln, die Innovationen ermöglichen, sicher stellen, muss dabei für eine weitere Reform des Personenbeförderungsgesetzes gelten.

Vielleicht kann man es so zusammenfassen: Wir brauchen einen Wettbewerb um die besten Angebote für die Mobilitätswünsche aller Art zu jedem Preis. Dann gelingt das Umsteigen, dann gelingt die Verkehrswende.


Alexander Möller ist Geschäftsführer des Verkehrsclubs ADAC.

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