Standpunkte Nicht alles zwei Mal machen

Martin Maslaton, Rechtsanwalt und Professor für das Recht der Erneuerbaren Energien an der TU Chemnitz
Martin Maslaton, Rechtsanwalt und Professor für das Recht der Erneuerbaren Energien an der TU Chemnitz

Der schnellere Ausbau der Erneuerbaren Energien ist zum Scheitern verurteilt, wenn die teuren, langwierigen und widersprüchlichen Doppelgenehmigungen im Bau- und Immissionsschutzrecht für die Erneuerbaren nicht endlich abgeschafft werden, schreibt der Energierechtsanwalt Martin Maslaton. Dann laufen auch gut gemeinte Sonderausschreibungen ins Leere.

von Martin Maslaton

veröffentlicht am 03.10.2018

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Eines vorneweg: Über Monate hat die Regierungskoalition untätig zugesehen, wie ihre Politik des Stillstands reihenweise Unternehmen der Erneuerbaren Energien Branche in die Existenzkrise gedrängt hat. Die Lücken im Ausstellerverzeichnis der jüngsten Windenergiemesse in Hamburg sind erschreckend: Viele Projektierer, alles mittelständische Gesellschaften mit starker regionaler Verankerung, fehlten dieses Jahr in Hamburg. Die Branche hat ihre teils verzweifelte Lage dem Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier immer wieder eindringlich mitgeteilt, sowohl öffentlich als auch im vertraulichen Gespräch.


Mehr Erneuerbare Stellen verloren als in der Braunkohle bedroht?


Die Reaktionen darauf gingen jedoch genauso gegen Null wie die Bewegung in der Energiepolitik. Den Gipfel des Zynismus markierte Altmaiers Äußerung, beim Stellenabbau in der Windenergiebranche handele es sich um ein „Stück Marktwirtschaft“. In der Erneuerbaren Energien Branche arbeiten 338.500 Menschen (nach den Zahlen des BMWi 2016) in einer Zukunftsindustrie mit globaler Ausstrahlung. Das scheint wenig zu stören.


Auf der anderen Seite knickt die Bundesregierung vor einer aufgeheizten öffentlichen Stimmung und den Erfolgen der rechtspolulistischen AfD ein, wenn über 15.000 Stellen in der Braunkohle gestritten wird: Dabei geht es hier längst nicht mehr um die Frage, ob diese Stellen erhalten bleiben, sondern nur darum, ob sie eher 2030, 2035 oder 2038 auslaufen. Denn das ist die Realität einer Wirtschaft, die völlig zu Recht unter dem Primat des Klimaschutzes steht. Die Frage wäre mal zu klären: Hat die Bundesregierung im ersten Jahr der Koalition schon mehr Stellen in der Erneuerbare Energien Branche vor die Hunde gehen lassen, als bei der Braunkohle überhaupt zur Diskussion stehen?


So viel „der-Verärgerung-Luft-machen“ muss sein, bevor man auf die jüngsten Ankündigungen der Bundesregierung schaut: Nun „sollen“ Sonderausschreibungen für Wind an Land und Photovoltaik „rasch realisiert“ werden, zitiert die FAZ Andrea Nahles, die SPD-Chefin. Die Koalition hat also nun beschlossen, den Koalitionsvertag umzusetzen. Chapeau!


Danach „sollen“ je 4000 MW Onshore-Wind und 4000 MW Photovoltaik plus eine nicht weiter benannte Menge an Offshore-Wind zugebaut werden. Und zwar jeweils zur Hälfte 2019 und 2020. Der Koalitionsausschuss, der am 2. Oktober um 2:33 Uhr endete, schränkte aber auch gleich ein, dass dabei auf „eine bessere Netzsynchronisation“ geachtet werden solle – was immer das dann in der (Verzögerungs-) Praxis der Bundesregierung bedeutet.


Keine Umsetzung ohne bessere Umsetzungsplanung


Dabei ist völlig offen, ob eine von oben herab verfügte Erhöhung der Ausbauziele überhaupt noch umgesetzt werden kann. Zu hoch sind inzwischen die Hürden, die hier in der Praxis aufgebaut werden. Diese Fragen sind im Detail kompliziert.


Ein Beispiel aus den Ländern: In Rheinland-Pfalz möchte die dortige Regierung eine Öffnungsklausel des EEG nutzen. Andere Länder wie Bayern haben diese Regelung schon umgesetzt. Grundsätzlich dürfen bekanntlich „Freiflächenanlagen“ zumeist nicht mehr an den Ausschreibungen teilnehmen. Die Klausel (nach § 3 Nr. 7 EEG 2017) erlaubt es Ländern nun, Agrarflächen ausnahmsweise für Solarstrom freizugeben. Und zwar in so genannten „benachteiligten Gebiete“, das sind Flächen mit geringem Ertrag in Gebieten mit abnehmender Bevölkerung. Bundesweit soll es sich um 8,9 Millionen Hektar oder laut Deutschem Bauernverband um stolze 53 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche handeln – also ein ganz erhebliches Potenzial.


Wenn ein Investor hier eine Solaranlage plant, muss er natürlich auch die einschlägigen Fachgesetze der Landwirtschaft sowie des Natur- und Landschaftsschutzes beachten. Diese Vorschriften sind da, um die Interessen der jeweiligen Schutzgüter zu sichern. Sie sind die natürlichen Gegenspieler anderer Interessen, etwa der Solarenergie. Die Behörden prüfen das im Genehmigungsverfahren streng – und das ist auch gut so.


Zu viele Interessen in einem Topf


Rheinland-Pfalz packt nun aber beide Interessen in einen Topf: Den Ausbau der Solarenergie und den Naturschutz. Im Entwurf zur „Landesverordnung über Gebote für Photovoltaik-Freiflächenanlagen auf Grünlandflächen in benachteiligten Gebieten (Photovoltaikfreiflächenverordnung – PV-FF-VO)“ vom September heißt es, die Belange des Naturschutzes etc. seien zu wahren.


Wer jetzt mit den Schultern zuckt und denkt: „Na, das ist doch selbstverständlich und soll auch so sein“, der übersieht, dass das Fachrecht mit der scheinbar harmlosen Übernahme in die Verordnung eine viel bedeutendere Stellung erhält. Wenn hier (auf Landesebene) das Landesplanungsgesetz Rheinland-Pfalz nicht um einen Passus für die Solarenergie ergänzt wird, laufen alle EEG Neuregelungen leer, weil keine Flächen zur Verfügung gestellt werden.


Das gilt analog für die Bundesebene: Die Sonderausschreibungsvolumen aus der Nacht vom 1. auf 2. Oktober setzt voraus, dass es ausreichend Genehmigungen von Windenergieanlagen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz gibt. Doch das dauert zu lange:


Denn in den vorgelagerten Planungs- und Genehmigungsverfahren nach Raumordnungsgesetz und Baugesetzbuch werden Einwendungen von Naturschutz, Luftverkehr, Denkmalschutz oder Artenschutz detailliert geprüft. Wegen einer fehlenden Regelung im Bundesrecht (§ 35 Absatz 3 Satz 2 zweiter Halbsatz BauGB) gelten jedoch die dort gefundenen Ergebnisse bei der konkreten Genehmigung von Windenergieanlagen im Bundesimmissionsschutz-Verfahren eben nicht! So wird dann erneut (doppelt) geprüft – und das dauert.


Politischer Wille und Handlungsfähigkeit unterstellt, müsste die Bundesregierung das Baugesetzbuch an dieser Stelle ändern und so dafür Sorge tragen, dass in vorgelagerten Planungsverfahren abgeprüfte und für nicht stichhaltig erwiesene Einwendungen nicht erneut im Bundesimmissionsschutz-Genehmigungsverfahren vorgebracht werden können. Einen rechtstechnischen terminus technicus für eine solche Ergänzung gibt es bereits: Positive Wirkung des Abwägungsabschichtungsvorbehalts im immissionschutzrechtlichen Verfahren.


Diese Doppelmoral ist ein grundlegender Webfehler des EEG, den die Bundesregierung auf Bundesebene schnellstmöglich bereinigen muss. Ich wage die Wette: Für die geplanten Sonderausschreibungen wird es schon aus zeitlichen Gründen gar nicht genügend Windenergieanlagen geben, die hier mit der notwendigen Genehmigung antreten können.

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