Klar ist: Große Mengen erneuerbarer Energien aus dem Norden müssen in den Süden, dafür braucht es in jedem Fall weitere Transportleitungen. Die Bemühungen von Wirtschaftsminister Peter Altmaier hier auf dem heutigen Netzgipfel den Knoten zu durchschlagen und mit verschiedenen Maßnahmen zu schnelleren Ausbau und zur Erhöhung der vorhandenen Transportkapazität zu kommen, sind daher gut und richtig.
Klar ist aber auch: Eine Kupferplatte, die es ermöglicht, jede erneuerbar erzeugte Kilowattstunde zeitgleich an jedem Ort der Republik verbrauchen zu können, wird es nicht geben. Schon allein, weil es nicht bezahlbar ist.
Daraus folgt: Es gilt das Problem von zwei Seiten in die Zange zu nehmen.Das eine zu tun ohne das andere zu lassen. Das Übertragungsnetz auszubauen ist das eine. Das andere meint in diesem Fall die dezentrale Erzeugung und den digital flexibilisierten regionalen Verbrauch zu stärken.
Auch dazu braucht es Netzausbau, nur eben auf Verteilnetzebene und nicht mittels Streckenkilometern im Höchstspannungsnetz. Hinzu kommen Intelligenz und Flexibilisierung. Die Verteilnetze sind sozusagen das verbindende dezentrale „Front-End“ für diejenigen, die letztlich die Energiewende tragen und zahlen müssen. Die Kunden. Und genau hier liegt einiges so sehr im Argen, dass das Gesamtwerk daran scheitern kann.
Der aktuelle Zustand der Energiewende erscheint wie der einer mutigen und wichtigen Expedition, die eigentlich den größten Teil des Weges hinter sich hat und nun aus Angst vor der eigenen Courage in endlosen Diskussionen mit denen aufgehalten wird, die sowieso nie mitwollten. Es gilt sich wieder aufzumachen und die letzten Etappen vorzubereiten und anzugehen.
Dabei ist das Ziel grundsätzlich klar: Erneuerbare Energien müssen so schnell und so viele Aufgaben in den Sektoren Strom, Verkehr und Heizen übernehmen, wie es geht. Dabei gilt es, nicht nur Großanlagenstrom zu verteilen, sondern auch die Bevölkerung – die in jeder Umfrage erneut ihre Loyalität zu Energiewende bekundet – mitzunehmen und teilhaben zu lassen. Es erscheint geradezu paradox, dass den Erneuerbaren, die mit Milliardenaufwand marktreif gemacht wurden, nun der Durchbruch mit allerhand Deckeln und vor allem der Behinderung der privat finanzierten Dekarbonisierung verwehrt wird.
Die Regelungen zur Eigenversorgung im endverhandelten Entwurf der europäischen Erneuerbaren-Energien-Richtlinie („EE-RL“) geben hier den richtigen Impuls, der in den nächsten anderthalb Jahren nun umgesetzt werden muss. Die außerhalb des EEG aufwachsende privat finanzierte erneuerbare Erzeugung auf den Dächern darf nicht länger behindert werden. Hier können in einem markwirtschaftlichen Umfeld die Kräfte freigesetzt werden, die von den Verbrauchern bereitgehalten werden.
Ganz zwanglos wird auf diese Weise auch dem Vorwurf entgegengetreten, dass man den Ausbau der Übertragungsnetze in der geplanten Weise nicht brauche, weil man ja vor Ort die benötigte Energie selber machen könne. Denn die so erzeugten Mengen werden nicht reichen, um den gesamten regionalen Bedarf zu decken. Mit einem solchen klaren Bekenntnis zur Teilhabe kann damit im besten Falle auch die Ausbaudiskussion der Übertragungsnetze versachlicht werden.
Aber nicht nur die dezentrale Erzeugung, auch die dezentrale Verwendung muss forciert werden. Der Mechanismus, wie der zukünftigen Leitenergie „Erneuerbare“ der Weg in die Tanks und Keller zu bahnen ist, liegt offen zu Tage. Als erstes muss der Abbau von überkommenen finanziellen und bürokratischen Wettbewerbsvorteilen für fossile Energien schnell erfolgen. Sie stammen aus der vorerneuerbaren Zeit und haben längst jede Berechtigung verloren. Gleichzeitig ist die übermäßige Belastung von erneuerbarem Strom mit nahezu allen Kosten der Energiewende abzubauen.
Wenn man erneuerbare Energien unter Verzicht auf ausschließlich ordnungsrechtliche Maßnahmen in die Wärme und Mobilität bekommen will, geht das nur über den Preis. Sprich: Die Erneuerbaren müssen konkurrenzfähig sein und dürfen nicht länger künstlich verteuert werden.
Umlagen, Abgaben und Steuern sind stattdessen bei den fossilen Energien zu lokalisieren, deren Verbrauch gesenkt werden muss. Längst gibt es unzählige Lösungen im Heizungsbereich wie Elektrowärme, Hybridheizungen und Wärmepumpen, die ganz oder teilweise erneuerbaren Strom verwenden. Alle diese Lösungen und damit Flexibilität und Klimaschutz sterben täglich vieltausendfach im Keller, wenn es bei investitionswilligen Verbrauchern heißt: „Strom ist aber das Allerteuerste, Gas und vor allem Öl sind doch viel billiger…“
Dass dies alles keine Utopien sind, sondern auch andernorts in Europa ebenfalls als der richtige Weg erkannt ist, zeigt ein Blick über die Grenzen. So hat beispielsweise Dänemark inzwischen entsprechend gehandelt. Dort erfolgt derzeit eine grundlegende Reform der Energiesteuern und -abgaben. So soll eine zunehmende Elektrifizierung der Gesellschaft begünstigt und eine bessere direkte Nutzung des steigenden Anteils erneuerbarer Energien u.a. im Wärmemarkt und Transportsektor sichergestellt werden.
Flankierend dazu bedarf es einer zukunftsfähigen Netzentgeltstrukturreform, die Eigenerzeugung und flexible Abnahme nicht länger bestraft und gleichzeitig eine „Entsolidarisierung“ verhindert. Hier hat das Wirtschaftsministerium im September ein Gutachten veröffentlicht, welches wegweisende Vorschläge und Lösungen anbietet.
Wegweisend ist beispielsweise die Idee, verursachungsgerecht die nutzungsunabhängigen Anschlusskosten der Liegenschaft als Infrastrukturanschlussabgabe den Eigentümern der Liegenschaften zuzuordnen. Natürlich gibt es auch Umverteilungseffekte, die rechtzeitig zu bedenken sind. Diese sind aber bei genauerem Hinsehen nicht so groß und können zudem durch Maßnahmen innerhalb des Systems leicht verhindert oder kompensiert werden. So können Niedrigverbräuche gezielt anders behandelt werden.
Auch die Effizienzanreizfrage steht dem nicht entgegen. Denn Netzkosten sinken weder durch Energiesparen noch durch Eigenerzeugung. Die Effizienzanreize werden im Gegenteil dort allokiert, wo sie hingehören, in den Energiebereich. Ein ausreichender Anreiz für Energieeffizienz ist durch steigende Energie- und CO2-Kosten allemal gegeben und muss nicht länger sachfremd über das Netzentgelt künstlich herbeireguliert werden.
Das alles funktioniert nur, wenn die Netze als das ausgebaut und betrieben werden, was sie sind: leistungsfähige, neutrale Verbindungsnetze und Plattformen, auf denen die wettbewerblichen Angebote um die sicherste und günstigste Versorgung der Kunden kämpfen. Unbedingt notwendig ist die strikte Trennung von reguliertem und wettbewerblichem Bereich, um sowohl die Diskriminierungsversuchung integrierter Unternehmenskonzepte auszuschalten, als auch um nicht wettbewerblich lösbare Aufgaben nicht unnötig in den starren Bereich der Regulierung zu verlagern.
Auch die Zersplitterung der Verteilnetzbetreiber-Landschaft in unzählige Netze und Netzchen stellt sich erneut als Irrweg heraus. Die im europäischen Vergleich einmalige, sehr kleinteilige und ineffiziente Struktur der Verteilnetzbetreiber verursacht jährlich Mehrkosten in Höhe von bis zu vier Milliarden Euro. Warum also nicht endlich Kräfte und Kompetenzen bündeln, Strukturen verschlanken und Netzcluster bilden. Erste Ansätze sind bereits erkennbar und gefördert werden. Regionale Flexibilitätsmärkte, die immer wichtiger werden, funktionieren ohnehin nur in einer gewissen Mindestgröße, die ausreichende Liquidität sicherstellt. Für eine solche Lösung würden lediglich zentrale Dienstleistungen der Netzbetreiber zusammengefasst, die Netzeigentümerschaft bliebe unangetastet.
Deutschland braucht neben dem Übertragungsnetzausbau also ebenso dringend eine umfassende Reform der Verteilnetzentgelte, der Verteilnetzstrukturen und der Um- und Auflagen auf den Strompreis. Nur so werden unnötige Kosten gesenkt, die Netze fit für die Energiewende gemacht und die Kraft des Teilhabewillens der Kunden freigesetzt. Der heutige Netzgipfel sollte der Auftakt sein für eine tiefergehende Diskussion.