Standpunkte Polen plant an Paris-Zielen vorbei

Filip Fiasecki, Analyst bei dem Beratungsunternehmen Aurora Energy Research
Filip Fiasecki, Analyst bei dem Beratungsunternehmen Aurora Energy Research Foto: Aurora Energy

Jüngst veröffentlichte das polnische Energieministerium einen ersten Entwurf seiner Energiepolitik bis 2040. Wie trägt die neue Strategie zur CO2-Reduktion des derzeitigen Gastgebers der Weltklimakonferenz bei? Eine Analyse von Filip Fiasecki und Johanna Schiele von Aurora Energy Research.

von Filip Fiasecki

veröffentlicht am 07.12.2018

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Jüngst veröffentlichte das polnische Energieministerium einen ersten Entwurf seiner Energiepolitik bis 2040 („PEP 2040“). Das Strategiedokument wurde bereits 2016 erwartet, verzögerte sich dann aber immer weiter. Noch ist der Entwurf in einer öffentlichen Beteiligungsphase; er wird aber zweifellos weitreichende Auswirkungen auf den polnischen Energiesektor haben. Rechtzeitig zum Klimagipfel in Katowice ist das Dokument auch als Polens Beitrag zur Emissionsreduktion im Stromsektor zu sehen. 

Was sieht der Entwurf vor?

Die Stein- und Braunkohleverstromung definiert den polnischen Energiesektor. Für sie bedeutet die PEP 2040 einen langfristigen Einschnitt. Während 2018 noch rund 80 Prozent der Stromerzeugung aus Braun- und Steinkohlekraftwerken kommen, sieht der Entwurf eine Reduktion auf 62 Prozent 2030 und 32 Prozent 2040 vor. Diese Entwicklung muss allerdings in den Kontext steigender Nachfrage gesetzt werden: Absolut sinkt die Kohleverstromung bis 2030 kaum. Dementsprechend fallen die Kohlekapazitäten auch nur leicht zwischen 2018 und 2030: von heute rund 28 Gigawatt (GW) auf 25,5 GW in 2030. Bis 2040 bleiben noch immer 13,5 GW Braun- und Steinkohlekraftwerke im System.

Insbesondere Strom aus Braunkohlekraftwerken, die ab 2030 vom Netz gehen, soll primär durch Kernkraft ersetzt werden. Seit gut zehn Jahren gibt es in Polen Überlegungen, eigene Kernkraftwerke zu bauen. Obwohl diese in der PEP 2040 mit dem Bau mehrerer Nuklear-Blöcke ab 2033 bestätigt wurden, fehlen weiterhin konkrete Standort- und Finanzierungspläne. Die Nuklearverstromung soll von fünf Prozent 2033 auf 18 Prozent 2040 steigen, um Grundlast-Strom CO2-frei zu ersetzen.

Auch für den Ausbau der erneuerbaren Energien würde die Umsetzung des PEP-2040-Entwurfs einen Richtungswechsel darstellen. Bisher ist Wind an Land mit 5,8 GW Erzeugungskapazität die wichtigste Quelle für emissionsfreien Strom in Polen. Obgleich die PEP 2040 noch den Bau der 2018 verauktionierten Kapazitäten und damit einen Anstieg auf sieben GW bis 2023 vorsieht, wird nach 2023 weder von Neubauten noch von Repowering ausgegangen. Dies führt zu einem Absinken der Windkapazitäten an Land auf fast Null bis 2040. Im Gegenzug hierzu sieht die Regierung einen starken Anstieg der Solarkapazitäten von heute weniger als ein GW auf 20 GW bis 2040 vor. Auch Wind auf See soll ab 2027 zugebaut werden, auf zehn GW bis 2040. Biomasse und Wasserkraft bleiben konstant. Insgesamt ergibt sich damit ein Anteil von 27 Prozent der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen bis 2030 (33 Prozent 2040).

Im Gesamtbild ergibt sich durch die oben genannten Entwicklungen ein Absinken der CO2-Emissionsintensität von heute gut 900 Gramm CO2 pro Kilowattstunde (g CO2/kWh) auf 640 g CO2/kWh 2030 und 360 g CO2/kWh 2040. In absoluten Werten entspricht das einem Ausstoß von circa 140 Millionen Tonnen CO2 2030, 26 Prozent weniger als der 1990er Referenzwert.

Wie realistisch ist der Entwurf?

Aus unserer Sicht ist es fraglich, ob der Anteil der Kohlekapazitäten mittelfristig auf einem derart hohen Niveau bleiben wird. Sowohl die Altersstruktur als auch die Emissionswerte, die in der Europäischen Richtlinie über Industrieemissionen festgelegt sind, erfordern in den nächsten zehn Jahren Investitionen in fast alle polnischen Kohlekraftwerke. Diese werden sich durch gestiegene CO2-Preise und trotz hoher Preise im Kapazitätsmarkt gemäß unserer Modellierung in vielen Fällen nicht lohnen, sodass bereits bis 2025 die Stilllegung von fünf bis acht GW an Kohlekraftwerksleistung zu erwarten ist. Auch langfristig erwarten wir ein wesentlich stärkeres Absinken der Kohleverstromung als die Regierung.

In den 2030ern werden Kohlekraftwerke im Kapazitätsmarkt immer öfter gegenüber Neubauten von Gaskraftwerken den Kürzeren ziehen – die zudem emissionsärmer sind. Dies ist von der derzeitigen Regierung politisch nicht gewünscht, da heimische Arbeitsplätze an der Kohle hängen und man die Abhängigkeit von Importen fürchtet. Jedoch wird es ohne erhebliche Subventionen der polnischen Kohleförderung schwierig, die Industrie zu erhalten. Die Angst vor Gas-Lieferausfällen dürfte sich mit dem weiteren Ausbau des europäischen Gas-Binnenmarktes und der Baltic Pipe von Norwegen über Dänemark nach Polen in Zukunft eher reduzieren.

Auch den Plan, Braunkohlestrom perspektivisch durch Kernkraft zu ersetzen, bewerten wir als unrealistisch. Ein Anfang der 2030er-Jahre neu gebautes Kernkraftwerk wird ökonomisch schlicht nicht wettbewerbsfähig mit anderen emissionsfreien Erzeugungsarten sein, zumal Polen keine Erfahrungen mit Kernenergie hat. Dabei explodieren Kosten und Zeitpläne bei Kernkraftwerks-Neubauten bereits in Ländern wie Frankreich, Großbritannien und den USA, die auf jahrzehntelange Erfahrungen mit der Technologie verweisen können. Von den großen polnischen Versorgern hört man zudem wenig Begeisterung, sich über Jahrzehnte Milliardenrisiken in die Bilanz zu nehmen; internationale Banken haben die Finanzierung wohl bereits abgelehnt. Der Ausbau intermittierender Erneuerbarer ist hier nach unseren Analysen die wesentlich günstigere Option.

Im Kontext sinkender Kapazitäten und der Notwendigkeit, Emissionen zu reduzieren, verwundert vor allem der Ausstieg aus der Windkraft an Land: Nicht nur wird dadurch das EU-weite Ziel von 27 Prozent EE-Erzeugung des Gesamtenergieverbrauchs vermutlich verfehlt (Polen würde lediglich 27 Prozent im Stromsektor erreichen); der Rückbau der Windkapazitäten an Land erscheint auch ökonomisch wenig sinnvoll. Windkraft an Land ist bereits heute in Polen bei Neubauten die Technologie mit den niedrigsten Gestehungskosten. Es besteht großes Potenzial und Interesse von Investoren, weitere Projekte zu entwickeln. Zwar hat die Windkraft in Polen mit ähnlichen Akzeptanzproblemen zu kämpfen wie in Deutschland (NIMBY – „not in my back yard“), jedoch ist von Kernkraftwerken Ähnliches zu erwarten.

Trotz des vorgesehenen Einstiegs in die Kernkraft in den 2030er Jahren würden die europäischen Emissionsziele verfehlt. Mit einer Reduktion im Stromsektor von 26 Prozent gegenüber 1990 läge Polen deutlich über dem sektorenübergreifenden Emissionsziel der EU von minus 40 Prozent. Eine Emissionsreduktion dieser Größenordnung in Polen wird für ein Erreichen des Zwei-Grad-Ziels bei Weitem nicht ausreichen: Der Stromsektor ist einer der am günstigsten zu dekarbonisierenden Sektoren und wird auch die geringere Dekarbonisierung in anderen Sektoren kompensieren müssen.

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