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Standpunkte Smart City: Stadtentwicklung nicht Unternehmen überlassen!

Foto: Tobias von dem Berge

Daten sollen dem öffentlichen Vorsorgeauftrag dienen, nicht den Interessen von Konzernen. Besonders beim Aufbau von Smart Cities müsse man darauf achten, sagt Elvan Korkmaz, SPD-Bundestagsabgeordnete.

von Elvan Korkmaz

veröffentlicht am 05.04.2019

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Berlin geht eine strategische Partnerschaft mit London ein. Dazu eröffnete Ramona Pop, Bürgermeisterin von Berlin, mit dem stellvertretenden Bürgermeister der britischen Finanzmetropole, Rajesh Agrawal, im vergangenen Monat Geschäftsräume der Londoner Wirtschaftsförderung in Berlin. „Wir sehen viele Möglichkeiten der Zusammenarbeit, insbesondere in schnell wachsenden Bereichen wie Fintech und Smart Cities“, sagt Agrawal. Ramona Pop twittert dazu: „Gerade in Zeiten von Spaltung rücken wir näher zusammen.“ Da verkennt sie den Kern der Dinge. 

Technologieunternehmen wollen Stadtentwickler sein

Diese Partnerschaft zwischen Berlin und London ist nur ein Baustein. Google in Kreuzberg, der Innovationscampus von Siemens – in der Hauptstadt äußert sich in vielen Formen, was zu ein und derselben Entwicklung gehört: Immer mehr Technologieunternehmen positionieren sich offensiv als Akteure der Stadtentwicklung.

Dabei betätigen sie sich schon längst nicht mehr nur als Projektentwickler in den globalen Metropolen, sondern erschließen sich im Zuge der Digitalisierung auch den Markt der Infrastrukturen: Wohnen, Mobilität, Ver- und Entsorgung, Bildung, Pflege oder auch die einfache Bereitstellung von freiem WLAN – die zentralen Dienste der kommunalen Daseinsvorsorge werden „intelligent“. Natürlich bietet das Potenzial. Sie versprechen uns, Daseinsvorsorge ressourcenschonender und bedarfsorientierter zu gestalten, und besonders Daseinsvorsorge auch in strukturschwachen Regionen aufrechtzuerhalten oder gar zu stärken.

Kommunen fehlen Know-How und Strategie

Aber mal ehrlich, Digitalisierungsstrategien hin oder her: die Kommunen haben – leider – in den meisten Fällen gar nicht das Know-How oder die WoMan-Power, um beim Thema selbstbewusst mitzureden. Nicht mal Berlin und London. Es entstehen vielerorts einzelne Projekte als Bausteine einer Smart City. Eine integrierte Gesamtstrategie? Fehlanzeige. Deshalb läuft das Thema auch über die Wirtschaftsförderung und nicht über die Stadtentwicklung. Hier aber gehört es hin.

Das Recht der kommunalen Selbstverwaltung, die Daseinsvorsorge und der Grundsatz der gleichwertigen Lebensverhältnisse repräsentieren den sozialdemokratischen Konsens in diesem Land. Diese Prinzipien stehen für Souveränität und Solidarität und stützen das Selbstbewusstsein der Kommunen. Damit sind sie Grundpfeiler unserer Demokratie. Geben wir sie preis, dann sorgt das für mehr Spaltung. An diesen Prinzipien müssen wir also bei jeglicher Entwicklung festhalten.

Wer über Daten regiert, regiert über Technikpotentiale

Hierfür aber bedarf es angesichts der neuen Herausforderungen einer differenzierten Auseinandersetzung. Wir sollten sie endlich führen! Für die Bundespolitik und -verwaltung ist dieses ressortübergreifende Thema irgendwie immer noch neu und offensichtlich schwierig. Bei Smart Cities sprechen wir eben nicht nur über Wohngebäude, Schiene und Straße, Zähler und Leitungen, sondern vor allem und insbesondere über Sinn und Unsinn von Daten. Diese sind ihrer Natur nach weder gut, noch schlecht. Wir können also kein pauschales Urteil fällen. Wir können aber feststellen: Wer über die Daten regiert, regiert auch über das Potenzial der Technik. Das müssen wir uns klar machen. Vor der Frage der Datensicherheit kommt deshalb die Frage nach der Datenhoheit, den Geschäftsmodellen und Marktstrukturen, die wir überhaupt ermöglichen wollen.

Den Pauschalverdacht aber sollten wir meiden. Daten sind seit jeher die Grundlage der Verwaltung. Und Verwaltung ist ein entscheidendes Kennzeichen moderner politischer Ordnung. Öffentliche Verwaltung ist jedoch an eine Größe gebunden: das Gemeinwohl. Unternehmen sind das nicht.

Technologische Entwicklung darf Wertediskurs nicht überholen

Daher gehören die Daten der Daseinsvorsorge zunächst in die Hand der Kommune. Und entsprechend sollten wir die Sammlung von Daten begrenzen, wo sie nicht dem öffentlichen Vorsorgeauftrag dienen. Dabei bleibt es unbenommen, dass in den Kommunen über die entsprechende Zielhierarchie gestritten wird: Was soll unsere Infrastruktur können? Macht dies das Leben der Menschen in meiner Kommune einfacher, flexibler? Wie organisieren wir das? Was sind uns gleichwertige Lebensverhältnisse wert? Auf keinen Fall aber darf die technologische Entwicklung den Wertediskurs überflügeln.

Die Schwarmintelligenz kann den demokratischen Austausch sich selbst reflektierender Bürger nicht ersetzen. Ergo müssen wir Räume erhalten, die sich (derzeit noch) ihrer Verwaltung entziehen: Räume der demokratischen Meinungsbildung. Mag das Gemeinwohl auch eine abstrakte Größe sein, ein wichtiger Teil davon gehört dieser Freiheit: Innezuhalten, sich an einen Tisch zu setzen, zu reden, zu diskutieren und gemeinsam etwas zu entwickeln. Ohne diese Freiheit verlieren über kurz oder lang auch unsere Kommunen Ihre Attraktivität.

Elvan Korkmaz, SPD-Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur, spricht am Montag kommender Woche auf der „Future Mobility 2019“, dem zentralen Kongress der Mobilitätsentscheider aus Wirtschaft und Wissenschaft, in Berlin zum Thema Smart Cities.

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