Kürzlich startete ich mit meinem Frühjahrsputz und stolperte über meinen uralten Taschenrechner. Dieser ist keines der damaligen Hochleistungs-Exemplare, die man in grauer Vorzeit noch für das Mathe-Abi gebraucht hat, sondern ein handelsüblicher Taschenrechner. Ein Taschenrechner, aber eben mit Solarzelle. Und dann musste ich an KI und Chatbots denken.
Wenn in der Verwaltung nun an KI gedacht wird, sind Chatbots häufig die erste konkrete Maßnahme, die in den Sinn kommt. Und durchaus aus gutem Grund, denn unabhängig von der föderalen Ebene haben Bürgerinnen und Bürger täglich Fragen an ihre Verwaltungen. Fragen, die höchstwahrscheinlich schon mehrfach gestellt und beantwortet wurden – und die meist auch in den Untiefen der jeweiligen Behördenwebsite fundiert und qualifiziert beantwortet werden. Aber wer klickt sich schon durch acht Unterseiten, bis man zur Antwort gelangt? Wer nimmt diese digitale Odyssee auf sich, wenn die Verwaltung solche Fragen auch per Anruf oder Mail beantwortet?
Ein Chatbot mit einem dahinterstehendem Sprachmodell und der eigenen Behördenwebsite als Datenschatz kann solche Anfragen rund um die Uhr kompetent beantworten. Er hört auf einen mal mehr, mal weniger humorvollen Namen, die Bürgerinnen und Bürger sind informiert, die Mitarbeitenden entlastet und die IT der jeweiligen Verwaltung hat eine (hoffentlich kleine) Kostenstelle im Haushalt mehr. Die KI hat Einzug gehalten. Aber soll es das etwa schon gewesen sein? Ist das alles, was wir als Öffentliche Hand mit diesem neuen technologischen Paradigma anzustellen vermögen?
KI-Grundkompetenz in der Belegschaft schaffen
Sicherlich, Chatbots sind ein konkretes Anwendungsfeld für KI. (Wobei nicht jeder Chatbot automatisch eine KI sein muss, wie uns entsprechende Tools auf diversen Unternehmenswebsites seit vielen Jahren bestätigen, indem sie uns von einer Schlagwortsuche zur nächsten lotsen.) Aber die wahre Kraft dieser Technologie liegt nicht darin, dass sie unsere Infozentrale zu den Bürgerinnen und Bürgern übernimmt. Sie liegt darin, dass sie– technisch gesehen – die Axt an den Urwald aus unnötiger Bürokratie, überteuerten und veralteten Fachverfahren und föderalem Wildwuchs legen kann.
Aktuell bemühen wir uns in Schorndorf darum, unseren Mitarbeitenden eine Grundkompetenz rund um das Thema KI anzueignen. Nicht nur weil uns der EU-AI-Act dazu verpflichtet, sondern weil wir glauben, dass man den Grundgedanken einer Technologie verstanden haben muss, um Nutzen aus ihr ziehen zu können. Nur so erklären wir uns, dass Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland leider zu oft als Digitalisat eines schlechten analogen Ablaufs verstanden wurde. So entstehen nämlich Onlineformulare, die man ausdrucken, unterschreiben und aufs Amt bringen muss. So entsteht Dienstleistungsdigitalisierung, die im Frontend aufhört und so entstehen Dokumentenmanagementsysteme, die Datensilos am Leben halten, anstelle eben diese Daten für den Bürger oder die Bürgerin rennen zu lassen.
Aber wie soll die Reise nach der Qualifizierung der Mitarbeitenden weitergehen? Was tun wir, nachdem wir einen Chatbot auf unserer Website integriert haben? Kommt dann ein Chatbot für unsere internen Abläufe im Intranet? Sicherlich auch ein potenzielles Ziel, aber vielleicht machen wir uns ja auch Gedanken, wie wir KI generell zur Vereinfachung unserer Arbeitsabläufe nutzen können.
KI nutzen – jenseits von Chatbots
Wo können wir so vielen Kolleginnen und Kollegen oder Bürgerinnen und Bürgern so viel Arbeit wie möglich ersparen? Wie können wir KI im Bereich der Robotic Process Automation für uns nutzbar machen? Und wie können wir eigene Kompetenzen in diesem Bereich aufbauen? „Low-Code“ ist ebenfalls in aller Munde. Können wir mit damit in Verbindung mit KI möglicherweise auf kommunaler Ebene dazu übergehen ineffiziente Fachverfahren durch leistungsstarke und vernetzte Eigenprodukte abzulösen? Wir glauben, dass das möglich ist. Und wenn wir das geschafft haben, warum geben wir es dann nicht an die nächstbeste Verwaltung weiter, getreu dem Motto: public money, public code.
Wenn wir in unserer Stabsstelle Digitalisierung aber wirklich ins Träumen kommen, träumen wir von einer Welt, in der solche Entwicklungen auf der obersten staatlichen Ebene für alle Verwaltungen ausgerollt werden, anstelle dass 11.000 Kommunen eigene Insellösungen entwickeln. Wir träumen dann vielleicht sogar weiter von einer Welt, in der die kommende Regierung die Entscheidungen und Regelungen in Gang bringt, die den Verwaltungsaufbau von Grund auf revolutionierbar machen. Und wenn wir ausgeträumt haben, fahren wir zur Arbeit vielleicht an einer Fläche vorbei auf der gerade ein Solarpark errichtet wird, der für unsere Bürgerinnen und Bürger kostengünstige umweltfreundliche Energie liefern wird. Und dann denke ich wieder an den Taschenrechner, Chatbots und KI.
Wenn wir mit KI nur Chatbots in Verbindung bringen, tun wir dieser Technologie Unrecht. Dasselbe Unrecht, wenn wir Solarenergie allenfalls dazu in der Lage sehen, einen Taschenrechner zu betreiben. Wir dürfen auch von mehr träumen und daran arbeiten. Arbeiten wir daran unsere Daten aus den Silos in ein Datenmanagement zu hieven, an Grundkompetenzaufbau und der Adressierung von Ängsten und Sorgen unserer Mitarbeitenden, an der Skalierbarkeit von Lösungen für unsere öffentliche IT-Infrastruktur und lassen wir die KI noch mehr Dinge für uns tun, als eine Website auswendig zu lernen.
Philipp Stolz ist Leiter der Stabsstelle Digitalisierung in Schorndorf (Baden-Württemberg). Zuletzt von ihm erschienen: „Positive Fehlerkultur – Warum Verwaltung scheitern muss“