Die EU fördert vier sogenannte Testing and Experimentation Facilities (TEFs) für Künstliche Intelligenz (KI) und Robotik mit insgesamt 220 Millionen Euro. Die Technical University of Denmark (DTU) leitet das Konsortium für KI-basierte Produkte für Smart Cities and Communities, kurz Citcom AI. Herr Brynskov, Sie koordinieren dieses Konsortium, zu dem 33 Partner aus 11 EU-Ländern gehören. Was ist das Ziel dieses Projekts?
Es geht um eine gemeinsame Aufgabe, die von vielen verschiedenen Netzwerken unterstützt wird. Die TEF ist eine sehr spezifische Einrichtung mit einem Katalog an Services. Die Idee ist, Produkte zu testen, bevor sie auf den Markt kommen, weil Kommunen keine Services mit ungeprüften Funktionen kaufen wollen. Gleichzeitig sind die Unternehmen frustriert: Sie haben Lösungen, aber deren Sicherheit ist nicht bewiesen, also können sie sie nicht verkaufen – aber auch nicht ihre Arbeit verbessern. Wir bauen auf einem Netzwerk aus Städten auf, die bereit sind, Produkte zu testen. Unternehmen sollen wählen können, wo sie ihr Produkt testen wollen, ob in einer kleinen oder großen Stadt in Europa. Also ist die TEF als sicherer, letzter Schritt angedacht, vor dem Markteintritt. Die Institutionen, Organisationen und Firmen, die zur TEF gehören, bilden gemeinsam eine Einrichtung mit einem Katalog solcher Produkte.
Mit was für Produkten genau werden Sie arbeiten?
Die Einrichtung ist in drei sogenannte Superknoten aufgeteilt. „Super“, weil wir bestehende lokale Netzwerke in größeren Knoten gesammelt haben. Wir haben den nordischen Knoten aus Dänemark, Schweden und Finnland, der am Thema Energieverteilung arbeitet – zum Beispiel könnte ein KI-System vorhersagen, welche Unternehmen in einer Stadt zu welcher Tageszeit wie viel Energie brauchen. Der südeuropäische Knoten konzentriert sich auf Themen rund um Interkonnektivität und der zentraleuropäische Teil unserer Partner fokussiert sich erstmal auf urbane Logistik. Das sind die übergreifenden Themen, um loszulegen. Die Knoten sind die Haupt-Kompetenzzentren für jedes Thema, aber sie sind nicht darauf beschränkt.
Der Vorteil für die Unternehmen liegt auf der Hand – sie können ihre Produkte einfacher testen. Warum sollen Kommunen aus Ihrer Sicht aber KI-Produkte nutzen?
Die wichtigste Herausforderung für europäische Kommunen ist der demografische Wandel. Sie haben mehr Menschen, die Hilfe benötigen und weniger, die helfen können. Also brauchen Kommunen mehr technologische Hilfe, um ihre Services anbieten zu können. Man könnte also sagen, dass man KI und Robotik aus Effizienzgründen braucht. Aber man kann auch eine bessere Qualität erreichen. Das bedeutet nicht, dass alles besser wird mit KI. Aber wir müssen erkennen, dass es sich hierbei nicht um einen technologischen Push handelt, sondern, dass die technologische Entwicklung zum Teil eine Antwort auf einen gesellschaftlichen Bedarf darstellt.
Wie wird die TEF die Entwicklung und das Testen von Technologie unterstützen?
Der wichtigste Punkt für die TEF ist, dass Wunschdenken und Behauptungen, was verbessert oder weiterentwickelt werden könnte, nicht helfen, wenn man nicht in einer sicheren, realitätsnahen Umgebung testen und experimentieren kann. Die TEF soll also ein sehr großes Reallabor sein. Die Herausforderung besteht darin, dass niemand in einem Reallabor leben will – wir wollen keine Laborratten sein. Aber wir brauchen bewährte Dienstleistungen.
Wie genau kann dieses Umgebung dann sichere Tests ermöglichen?
Wir fangen nicht bei Null an. Unsere Partner haben Erfahrung im Testen und Experimentieren. Es gibt zum Beispiel das dänische Outdoor Living Lab (DOLL), das bereits das größte Reallabor in Europa für das Testen von intelligenter Beleuchtung im Freien ist. Und es gibt Center Denmark, eine Zusammenarbeit zwischen vielen Energieversorgern und Energiedienstleistern. Sie arbeiten bereits überall, zum Beispiel in Sommerhäusern oder Wohnhäusern, um den Energieverbrauch zu optimieren. Wir haben eine lange Tradition der Zusammenarbeit mit Menschen, Institutionen und Unternehmen.
Wie werden Sie all diese bestehenden Reallabore verknüpfen?
Das Neue wird sein, dass wir all diese Bemühungen mit den sogenannten Minimal Interoperability Mechanisms (MIMs) verbinden, die vom Netzwerk Open And Agile Smart Cities (OASC) entwickelt werden. Wir verbinden also nicht jeden mit allem, was auch gefährlich wäre. Aber wir wollen eine minimale Verbindung zwischen diesen Orten herstellen. Es braucht Zeit, diese MIMs sowohl praktisch als auch allgemein anwendbar zu machen. Speziell im Bereich der KI gibt es einen MIM namens „Fair AI“. Kürzlich sind neue Aktionen und Produkte dazu gestartet, um diesen MIM weiterzuentwickeln, unter anderem Communi City, das 100 Pilotprojekte zu inklusiver KI starten wird. Das ist noch ein laufender Prozess. Wir wollen nicht alles in einem Projekt machen, aber wir wollen die verschiedenen Bemühungen zusammenführen.
Es gibt parallel auch im Rahmen von Gaia-X den Datenraum für intelligente Städte und Gemeinden, der auch einen sicheren und vertrauenswürdigen Weg zur gemeinsamen Nutzung von Daten ermöglichen soll. Der Austausch zwischen der TEF und den Datenraum-Pilotprojekten ist sehr eng.
Wo genau besteht die Verbindung zwischen der TEF und den Datenraum-Pilotprojekten?
Ich stelle mir das wie die Adern in einem Wassernetz vor: Unten haben wir Daten, die aus allen möglichen Quellen mit hoher oder niedriger Geschwindigkeit einströmen. Manchmal kommen sie aus Archiven, Bibliotheken und so weiter – das sind gut entwickelte Datenräume mit Standards. Daten mit hoher Geschwindigkeit stammen dagegen aus Quellen, die sich häufiger bewegen, zum Beispiel von Sensoren. Dann werden alle Daten in Datenräumen gesammelt. Die unterscheiden sich von einem Data Lake, weil sie durch Governance-Regeln, zum Beispiel durch die MIMs, definiert sind. Wenn man diesen strukturierten Zugang zu den Daten hat, kann man darauf aufbauend Dienste anbieten – zum Beispiel KI- oder Robotikdienste, wie wir sie im Rahmen des TEF testen wollen. Das Wichtigste ist, dass wir in unserem Projekt nicht vorwegnehmen wollen, dass diese Struktur funktioniert, sondern wir nutzen die TEF auch, um die Interoperabilitätsmechanismen zu testen.
Das Ziel der TEFs ist es, nachhaltige und verantwortungsvolle KI zu fördern – die europäische Definition dafür ist aber noch in der Diskussion. Der AI-Act wird derzeit noch verhandelt. Ist es eine gute Idee, diese Experimentiereinrichtung jetzt schon zu starten?
Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir jetzt damit beginnen, während die Verordnungen noch diskutiert und die Datenräume entwickelt werden. Wir haben noch im Gedächtnis, wie die DSGVO-Gesetzgebung zu personenbezogenen Daten uns alle etwas unerwartet getroffen hat. Viele waren frustriert, weil der Verwaltungsaufwand nicht richtig verstanden wurde. Die Verordnung hat uns alle überrascht, von Schulen über kleine Sportvereine bis hin zu großen kommunalen und regionalen Diensten wie dem Gesundheitswesen. Das sollte sich mit der KI-Verordnung nicht wiederholen. Die TEF trägt dazu bei, dass Innovationen möglich sind, ohne dass wir den Bürgern unsichere und schlecht verstandene Systeme aufbürden. Wir helfen dabei, die Politik und die Vorschriften zu informieren, um ein Gleichgewicht zwischen Schutz und Hilfe zu finden. Es gibt auch den geplanten Interoperable Europe Act, in dem es um interoperable Dienste in ganz Europa geht. Auch hier sollten wir die bewährten Verwaltungsverfahren für die Auftragsvergabe in den Kommunen klug einsetzen, und das könnte durch den Einsatz von MIMs risikoärmer, billiger und weniger aufwändig werden.
Was wird die größte Herausforderung für die TEF sein?
Das größte Risiko besteht darin, dass sie nicht genutzt wird. Nationale oder lokale Regierungen, die in Technologie investieren, sind sich oft nicht bewusst, wie schwierig es ist, diese Technologien auf sichere Weise einzusetzen. Sie stellen vielleicht erst im Nachhinein fest, dass sie etwas anderes hätten tun sollen. Das würde zu einer Menge Frustration führen, die wir durch die Zusammenarbeit mit Städten und Gemeinden abmildern wollen. Ich bin immer noch besorgt, dass Technologie für mehr Frustration sorgt, als dass sie hilft, wenn wir sie nicht professionell und nützlich genug machen. Aber ich bin optimistisch, dass wir mit der TEF Erfolg haben werden. Wir haben hier eine sehr offene Struktur, und das ist sehr vielversprechend.
Wird die TEF auf die Mitglieder des Konsortiums beschränkt sein oder können auch andere Städte an Tests teilnehmen?
Das ist im Prinzip möglich, aber nicht vom ersten Tag an. Wir haben Anfang Januar begonnen und haben fünf Jahre Zeit, um das Projekt aufzubauen. Hier kommt auch das OASC-Städtenetz ins Spiel, und auch die internationale Normungsarbeit. Wir tauschen uns zum Beispiel sehr eng mit dem deutschen Normungsinstitut DIN aus, und ich bin Vorsitzender des dänischen Ausschusses für intelligente und nachhaltige Städte und Gemeinden. Auch das europäische Sekretariat für KI-Normen ist bei Danish Standards angesiedelt, und zusammen mit offenen Aufrufen wie Communi City gibt es viele Möglichkeiten für europäische Städte und Unternehmen, sich zu beteiligen. Die grundlegendste Möglichkeit besteht darin, sich der Living-in-EU-Bewegung anzuschließen, die allen europäischen politischen Entscheidungsträgern, Organisationen und Institutionen offensteht und von den Netzwerken und Verbänden unterstützt wird, die normalerweise Bürger und Unternehmen vertreten.
Das wirklich spannende Potenzial, das wir mit dem TEF und diesem nachfrageorientierten Ansatz haben, ist, dass wir diese Entwicklungen miteinander verbinden können. Die Investitionen in ganz Europa könnten viel stärker miteinander verknüpft werden. Hier komme ich auf die MIMs zurück: Ihr wirklicher Wert besteht darin, dass Investitionen zusammenwirken können, ohne aus derselben Quelle zu stammen.
Das Gespräch führte Helen Bielawa