„Stillstand oder gar Rückschritte in der Energiepolitik“

Im Background-Interview spricht sich VCI-Geschäftsführer Utz Tillmann für „klare Anreize“ auch in den Bereichen Verkehr und Wärme aus. Der Bundesregierung stellt er ein mieses erstes Zwischenzeugnis aus und beklagt „Hängepartien“, die Investitionen verhinderten.

veröffentlicht am 09.08.2018

aktualisiert am 15.11.2018

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Herr Tillmann, was hat die schwarz-rote Koalition in den ersten Monaten energiepolitisch geleistet?


Es ist schwer, überhaupt etwas zu finden, was geleistet wurde. Bislang zeichnet sich die Regierungsarbeit in der Energiepolitik durch Stillstand oder gar Rückschritte aus. Natürlich sind die ersten Monate für die große Koalition nicht einfach gewesen – angesichts des Streits um die Flüchtlingspolitik oder des Handelskonflikts mit den USA. Aber es ist wichtig, auch die Energiepolitik im Blick zu behalten. Dort steht ebenfalls viel auf dem Spiel. In der Industrie gibt es akute Probleme, die dringend gelöst werden müssen und bei denen der Schaden jeden Tag wächst: Ein Beispiel ist die volle Belastung vieler neuerer Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen mit der EEG-Umlage.


Die EU-Kommission hat die teilweise Entlastung zur illegalen Beihilfe erklärt und damit zum Jahreswechsel verboten.


Es ist kaum zu verstehen, liegt doch längst ein mit der Kommission abgestimmter Vorschlag auf dem Tisch, wie die Entlastung zumindest teilweise fortgeführt werden kann. Dass man hier gesetzgeberisch bislang nicht tätig geworden ist, ist ärgerlich. Schließlich geht es um dreistellige Millionenbeträge an Investitionen in diese Anlagen. Unternehmen können wir natürlich nicht öffentlich benennen, aber KWK-Kraftwerke in der Industrie werden nun zum Teil sogar geschlossen oder eingemottet. Derartige Hängepartien gefährden das Investitionsklima in Deutschland. Auch nachträgliche Entscheidungen, wie die teilweise Nachzahlung von Netzentgelten für die Jahre 2012 und 2013, sind aus unserer Sicht nicht förderlich und widersprechen der Planungssicherheit.


Die EU-Kommission hat jüngst Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht. Sie stellt infrage, ob die Strom- und Gasnetze überhaupt durch Gesetze und Verordnungen reguliert werden dürfen oder ob die Bundesnetzagentur unabhängig Entscheidungen treffen muss. Eine weitere Belastung?


Generell wäre eine zusätzliche Rechtsunsicherheit schlecht, das ist klar. Allerdings haben wir die Prüfung der Klage noch nicht abgeschlossen, ich kann den Vorgang deshalb noch nicht bewerten.


Worauf Sie sich allerdings – im Großen und Ganzen zumindest – verlassen können, ist die Besondere Ausgleichsregelung, von der die großen Stromverbraucher enorm profitieren. Diese zahlen nur einen Bruchteil der EEG-Umlage. Das hat auch ihre Wettbewerbsfähigkeit innerhalb Europas verbessert.


Das ist teilweise richtig. Die Ausgleichsregelung war und ist sehr wichtig. Sie hat die Wettbewerbsfähigkeit der Grundstoffindustrie in Deutschland zwar nicht verbessert, aber zumindest bewahrt. Letztlich stehen wir aber in vielen Bereichen weiter unter einem harten internationalen Wettbewerbsdruck. Jüngst hat ein Mitgliedsunternehmen bekanntgegeben, in den USA einen hohen Betrag zu investieren.  Dort liegen die Stromkosten bei einem Drittel des deutschen Niveaus. Wie hoch der Druck ist und welche Rolle die Energiekosten dabei spielen, sieht man daran, dass es bereits 2012 mehr Auslands- als Inlandsinvestitionen deutscher Chemieunternehmen gab. Das lag und liegt vor allem am günstigen Shale Gas, das in den USA zur Verfügung steht.


Zurück zur Arbeit der Bundesregierung: Immerhin wurde die sogenannte Kohle-Kommission auf den Weg gebracht, sie hat ihre Arbeit aufgenommen. Ein Erfolg?


Bisher nicht. Es zeichnet sich ja ab, dass ein Konsens schwierig werden wird. Nicht alle Teilnehmer sind Kenner der Materie, das macht die Lösungsfindung nicht einfacher. Die energieintensiven Industrien, und dazu gehört natürlich auch die Chemie, ärgert, dass wir dort nicht mit am Tisch sitzen, obwohl wir darum gebeten haben.  Dies wurde aber abgelehnt.


Die Chemiegewerkschaft IG BCE mit ihrem Vorsitzenden Michael Vassiliadis hat im Background-Interview angekündigt, das Thema Stromkosten im Blick zu haben.


Das ist gut, aber Stromkosten betreffen uns direkt.  Es hängt für die chemische Industrie viel von den Ergebnissen ab. Die Strompreise könnten bei einem übereilten oder schlecht gemanagtem Ausstieg aus der Kohle deutlich ansteigen.


Wer pro Kohle argumentiert, redet meist auch gegen strikten Klimaschutz. Unterstützt die chemische Industrie die Ziele des Pariser Abkommens überhaupt?


Selbstverständlich, wir stehen zu den Zielen von Paris. Mit dem europäischen Emissionshandel, dem ETS, gibt es für die Industrie und die Stromerzeugung auch schon einen klar fixierten Pfad, wie wir sie erreichen. Niemand muss sich mehr im Detail Gedanken machen, wer wie viel beiträgt. Das regeln die Zahl der Zertifikate und der aus Knappheit entstehende Marktpreis. Unsere Belastung ist bereits hoch. Wir können nur einen Teil der Kosten – etwa durch die Gratiszuteilung von Zertifikaten – kompensieren. Ganz anders sieht es im Non-ETS-Sektor, also zum Beispiel Verkehr und Wärme, aus. Da gibt es keine klar sortierten Preis-Anreize für die Verbraucher, systematisch CO2 einzusparen. Aus unserer Sicht muss das ein Ende haben.


Sie plädieren also für einen CO2-Preis in den Non-ETS-Bereichen?


In diesen Bereichen muss etwas passieren. Die Politik tut sich schwer, einen Beitrag von den Autofahrern und den Hausbesitzern einzufordern und zu sagen: Kraftstoff und Brennstoff kosten jetzt mehr, und es wird teurer, wenn beispielsweise die alte Heizung nicht saniert wird. Aber an dieser Entscheidung wird man nicht vorbeikommen. Was mir wirklich fehlt, ist, dass die Politik diese Notwendigkeiten erklärt und deutlich kommuniziert. Das muss die Bundesregierung leisten. Es geht nicht, ein Klimaschutzziel nach dem anderen in die Welt zu setzen und gleichzeitig so zu tun, als ob sich für niemanden etwas ändert.


Das Gespräch führte Jakob Schlandt.

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